Benjamin Netanyahu

Hamas-Angriff am 7. Oktober Netanyahu macht Geheimdiensten Vorwürfe - und rudert zurück

Stand: 29.10.2023 13:17 Uhr

Seit dem verheerenden Hamas-Angriff beschäftigt ganz Israel die Frage, wie die Terroristen unbemerkt ins Land gelangen konnten. Nun warf Regierungschef Netanyahu Geheimdiensten vor, ihn nicht gewarnt zu haben - und entschuldigte sich daraufhin.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hat in einem Post auf der Plattform X israelischen Geheimdiensten vorgeworfen, ihn nicht vor den Angriffen der Hamas-Terroristen am 7. Oktober gewarnt zu haben. Kurz darauf löschte er den Post wieder und veröffentlichte einen anderen mit einer Entschuldigung.

Im Ursprungspost erhob Netanyahu schwere Vorwürfe gegen die Geheimdienste: "Unter keinen Umständen und zu keinem Zeitpunkt wurde der Ministerpräsident vor kriegerischen Absichten der Hamas gewarnt. Im Gegenteil, alle Sicherheitsvertreter, einschließlich des Militärgeheimdienstchefs und des Chefs von Schin Bet (Inlandsgeheimdienst) waren der Einschätzung, dass die Abschreckung gegen die Hamas wirkt und diese eine Verständigung anstrebt."

Diese Einschätzung sei dem Ministerpräsidenten und der Regierung immer wieder vorgelegt worden, bis zum Ausbruch des Kriegs, hieß es weiter.

Oliver Feldforth, ARD Tel Aviv, zur Lage in Nahost

tagesthemen, 29.10.2023 23:30 Uhr

Zurückrudern nach zehn Stunden

Die in der Nacht geposteten Äußerungen hatten umgehend Kritik ausgelöst, etwa beim Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, der jetzt Netanyahus Kriegskabinett angehört. Gantz erklärte auf X, Netanyahu solle die Äußerungen zurücknehmen und die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Wenn man sich im Krieg befinde, gehe es darum, "die Streitkräfte so zu stärken, dass sie das ausführen können, was wir von ihnen verlangen".

Später löschte Netanyahu den Post wieder und schrieb, insgesamt etwa zehn Stunden später: "Ich habe mich geirrt." Dinge, die er nach der Pressekonferenz am Vorabend gesagt habe, hätten nicht gesagt werden dürfen, und er entschuldige sich dafür. "Ich gebe allen Chefs der Sicherheitskräfte meine volle Unterstützung. Ich stärke den Stabschef, den Kommandeuren und Soldaten der IDF, die an der Front stehen und für uns kämpfen, den Rücken. Gemeinsam werden wir gewinnen."

Nach Medienberichten ist der Hintergrund von Netanyahus X-Post eine Frage, die ihm ein Journalist des Armeesenders bei einer seltenen Pressekonferenz am Samstagabend gestellt hatte. Der Journalist hatte gesagt, Netanyahu habe vor dem Massaker von dem Militärgeheimdienst und Schin Bet Dokumente erhalten, die vor einer wachsenden Kriegsgefahr gewarnt hätten. Er fragte den Regierungschef, ob er diese Briefe ignoriert habe.

Ein israelischer Militärsprecher, der am Sonntag während eines täglichen Briefings mit Reportern auf Netanyahus X-Nachrichten angesprochen wurde, lehnte eine Antwort ab und sagte: "Wir sind jetzt im Krieg und konzentrieren uns auf den Krieg."

Forderungen nach Rücktritt

In den Kommentaren unter dem Entschuldigungs-Post waren zahlreiche Forderungen nach einem Rücktritt Netanyahus zu lesen. Anders als führende Repräsentanten von Militär, Geheimdienst und Verteidigungsminister Yoav Gallant weigert sich der Premierminister bislang, eine Mitverantwortung für das israelische Versagen am 7. Oktober zu übernehmen.

Terroristen war es vor gut drei Wochen gelungen, überraschend auf israelisches Gebiet vorzudringen. Sie hatten dort Massaker unter Zivilisten verübt und fast 230 Menschen als Geiseln genommen. Israel hat seitdem mehr als 1.400 Tote zu beklagen.

"Nicht an Geiseln interessiert, nur an Politik"

Der israelische Oppositionelle und ehemaliger Verteidigungsminister Avigdor Liebermann sagte in einem Radiointerview, der zurückgezogene Beitrag zeige nur eines: "Er (Netanyahu) ist nicht an Sicherheit interessiert, er ist nicht an Geiseln interessiert, nur an Politik."

Yossi Cohen, der unter früheren Netanyahu-Regierungen den Geheimdienst Mossad leitete, sagte dem israelischen Rundfunk: "Man übernimmt die Verantwortung von Anfang an, nicht erst in der Mitte der Arbeit."

Soldaten meldeten offenbar bedrohliche Bewegungen

Die für die Beobachtung des Gebiets an der Grenze zum Gazastreifen zuständigen Soldatinnen und Soldaten hatten berichtet, sie hätten in den Wochen und Monaten bedrohliche Bewegungen im Gazastreifen bemerkt und davor gewarnt. Diese Warnungen seien jedoch von den Vorgesetzten ignoriert worden. Was am 7. Oktober folgte, war das schlimmste Massaker der Staatsgeschichte Israels.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Oktober 2023 um 13:05 Uhr.