Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.

Vorwurf des Völkermords Israel im Verteidigungsmodus

Stand: 11.01.2024 05:27 Uhr

Ab heute muss sich Israel vor dem Internationalen Gerichtshof dem Vorwurf des Völkermordes im Gazastreifen stellen. Anders als in der Vergangenheit trifft die Klage Südafrikas Israel diesmal ins Mark.

Wenn Israel heute vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag mit dem Vorwurf des Völkermordes konfrontiert ist, dann ist etwas anders als sonst. Denn normalerweise ist die Bereitschaft Israels, mit internationalen Organisationen und Institutionen zu kooperieren, eher gering. Mit den Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen steht Israel seit vielen Jahren auf Kriegsfuß. Und auch beispielsweise den Internationalen Strafgerichtshof erkennt Israel nicht an.

Doch wenn es um die "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords" geht, die Rechtsgrundlage in diesem Verfahren, dann geht es auch um Israels Identität. Denn die Völkermord-Konvention wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen - unter dem Eindruck der Verbrechen des Holocaust. Israel hat diese Konvention unterzeichnet - und sie könnte Israel jetzt in Schwierigkeiten bringen, sagt die Anwältin Yael Vias Gvirsman.

"Die Chancen sind nicht so hoch, dass dem südafrikanischen Eilantrag stattgegeben wird", Tim Aßmann, ARD Tel Aviv, mit Einzelheiten zur Anklage gegen Israel wegen Völkermord-Vorwürfen

tagesschau24, 11.01.2024 09:00 Uhr

"Das muss man sehr ernst nehmen, und deswegen bin ich auch nicht überrascht, dass der Staat Israel diese Anschuldigungen ernstnimmt", sagt sie. "Sie könnten Auswirkungen auf die weiteren Kampfhandlungen und den Fortlauf des Krieges haben. Südafrika muss seine Behauptung nur theoretisch beweisen." Südafrika fordere eine Eilanordnung des Gerichts, da müssten nicht alle Behauptungen geklärt werden, es müsse lediglich bewiesen werden, dass es theoretisch eine wirkliche Gefahr eines Völkermords an der Bevölkerung im Gazastreifen gebe.

Südafrika brachte Klage ein

Südafrika steht hinter dieser Klage. Das Land wirft Israel Handlungen im Gazakrieg vor, die die Kriterien des Völkermordes erfüllten. Dazu sollen wahllose Gewalt gehören, die Vertreibung von Bevölkerung, der Entzug von Nahrung, Wasser und humanitärer Hilfe.

Vorwürfe dieser Art haben auch schon Vertreter der Vereinten Nationen geäußert. Angesichts von rund 23.000 Toten und 59.000 Verletzten. Und auch angesichts von Aussagen wie dieser von Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant aus diesen Kriegswochen: "Wir werden eine absolute Blockade um die Stadt Gaza legen. Kein Strom, keine Nahrung, kein Wasser, kein Treibstoff. Alles wird abgeriegelt sein. Wir kämpfen gegen 'menschliche Tiere' und handeln entsprechend."

Aussagen mehrerer Minister im Fokus

Der Internationale Gerichtshof muss einerseits die Taten in diesem Krieg prüfen - aber auch die Absichten. Da werden dann auch Aussagen vorgetragen, wie von Avi Dichter, dem Landwirtschaftsminister der israelischen Regierung. Er sagte vor einigen Wochen in einem Interview, Israel veranstalte nun die "Nakba von Gaza".

Die Nakba, das ist die massenhafte Flucht und Vertreibung von Palästinensern nach der Staatsgründung Israels. Dazu passt auch der Vorschlag von Israels Finanzminister Bezalel Smotrich, Israel solle die, so wörtlich, "freiwillige Ausreise" von Palästinensern aus dem Gazastreifen unterstützen.

Anwältin Yael Vias Gvirsman sieht das sehr kritisch: "Das ist ein echtes Eigentor", sagt sie. "Lasst uns für sie eine Lebenssituation schaffen, in der sie leben wollen. Ein Teil der Anschuldigungen gegen Israel besteht darin, dass der Staat Israel aktiv eine Situation schafft, in der den Palästinensern nicht mehr ermöglicht wird, im Gazastreifen zu leben."

Israel weist Anschuldigungen zurück

Israel wird sich gegen die Vorwürfe verteidigen. Aus dem Außenministerium hieß es bereits, es fehle die faktische und rechtliche Grundlage, man sei im Krieg mit der Hamas, die Terrororganisation allein trage die Verantwortung für die Opfer im Gazastreifen. Auch Israels Staatspräsident Itzhak Herzog zeigte sich gestern aufgebracht.

"Es gibt nichts Abscheulicheres und Absurderes als diese Behauptung", so Herzog. "Tatsächlich fordern unsere Feinde, die Hamas, in ihrer Charta die Zerstörung und Vernichtung des Staates Israel, des einzigen Nationalstaates des jüdischen Volkes. Die Konvention gegen Völkermord wurde von der internationalen Gemeinschaft nach den schlimmsten Gräueltaten der Menschheit, der Shoah, dem Holocaust, erlassen, die sich speziell gegen die Juden, das jüdische Volk, richtete, um das jüdische Volk auszulöschen."

Israels Verteidigung wird sich erst am Freitag äußern. Eine Eilentscheidung des IGH, die Kampfhandlungen im Gazastreifen einzustellen, könnte schon in Kürze fallen - das gesamte Verfahren aber könnte sich über Jahre hinziehen.

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 10.01.2024 23:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 11. Januar 2024 um 09:37 Uhr.