Markus Söder
analyse

Söder erhöht Druck auf Aiwanger "Koalitionen hängen nicht an einer einzigen Person"

Stand: 29.08.2023 19:43 Uhr

Bayerns Ministerpräsident Söder vertagt die Entscheidung über die Zukunft seines Vizes Aiwanger - und verschafft sich damit Zeit. Erstmals spricht er über ein mögliches Bündnis ohne Aiwanger. Was heißt das für den Wahlkampf?

Eine Analyse von Petr Jerabek, BR

Dieses Mal ist es eine One-Man-Show. Normalerweise tritt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zusammen mit mehreren Ministern vor die Presse, an diesem Dienstagmittag steht nur ein einziges Mikrofon im Prinz-Carl-Palais in München. Und anders als sonst gibt Söder auch nur ein kurzes Statement, Fragen sind keine zugelassen. Nach gut sechs Minuten ist der CSU-Politiker schon wieder weg.

Es ist eine heikle Situation für den Ministerpräsidenten angesichts der Vorwürfe gegen seinen Vize Hubert Aiwanger. Sechs Wochen vor der Landtagswahl, nach der er die Koalition mit den Freien Wählern eigentlich fortsetzen will, erschüttert ein den Holocaust verharmlosendes Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit das Bündnis.

Da viele Fragen offen sind, hatte Söder Aiwanger zu einem Sonder-Koalitionsausschuss einbestellt. Hinter verschlossenen Türen wurde der Wirtschaftsminister befragt. Was er gesagt hat, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Nur so viel: Es reicht Söder nicht. 25 Fragen zu den "schwerwiegenden" Vorwürfen soll Aiwanger nun schriftlich beantworten. Damit verschafft sich der Ministerpräsident in einer aufgeheizten Debatte vor allem etwas Zeit.

Söder will bis zur Klärung der Vorwürfe gegen Aiwanger an der Regierungskoalition festhalten

Julian von Löwis, BR, tagesschau, 29.08.2023 20:00 Uhr

Söder sieht den Ruf Bayerns beschädigt

Aber er findet auch deutliche Worte: zum "ekelhaften, widerlichen Flugblatt" und dem "übelsten Nazi-Jargon" darin - und an die Adresse seines Ministers Aiwanger. Zwar bekannte sich mittlerweile dessen Bruder Helmut dazu, Verfasser des Papiers zu sein. Noch immer steht aber zumindest eine Beteiligung von Hubert Aiwanger im Raum. Schließlich hatte ihn die Schule vor 35 Jahren als Schuldigen ausgemacht, nachdem in seiner Schultasche ein oder mehrere Exemplare gefunden worden waren, wie er selbst einräumte. Ob er es verteilt hat, daran erinnert er sich nach eigenen Angaben nicht mehr.

Sein Statement verliest Söder - es kommt in dieser schwierigen Lage auf jede Formulierung, auf jedes Wort an. Umso bemerkenswerter ist der eine oder andere Satz, den die Journalisten zu hören bekommen: Wie zuvor bereits Oppositionsvertreter sagt Söder, dass schon jetzt der Schaden für den Ruf Bayerns groß sei. Der Ministerpräsident sieht auch die persönliche Glaubwürdigkeit seines Vizes Aiwanger beschädigt und sogar die Handlungsfähigkeit der Staatsregierung beeinträchtigt.

Vor allem aber nennt Söder erstmals ein Szenario, das von ihm in früheren Auseinandersetzungen mit Aiwanger noch nicht zu hören war: Er erwähnt explizit die Möglichkeit einer Regierung mit den Freien Wählern ohne deren Landes- und Bundeschef Aiwanger. "Koalitionen hängen übrigens auch nicht an einer einzigen Person. Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso", so Söder.

"Hier geht es nicht um Vorverurteilung"

Die Entscheidung über Aiwangers Zukunft vertagt der Ministerpräsident nach dem Koalitionstreffen - ungeachtet der Forderungen aus der Opposition, seinen Vize zu entlassen. Als Ministerpräsident müsse er den Sachverhalt fair, objektiv und seriös bewerten, betont Söder. "Hier geht es nicht um Vorverurteilung oder gar ein Übermaß." Und Aiwanger jetzt zu entlassen, ohne abschließende Klärung oder neue Beweise gegen ihn, wäre aus Söders Sicht "ein Übermaß".

Kein Freispruch oder Freibrief

Zugleich gibt es laut Söder aber auch keinen Freispruch oder Freibrief. "Es darf jetzt auch nichts dazukommen", mahnt er. Eine solche Warnung hat der Ministerpräsident gegen Aiwanger bisher noch nicht ausgesprochen. Und die Opposition wird ihn sicher rasch daran erinnern, falls es neue belastende Erkenntnisse geben sollte.

Ein Ultimatum setzt er Aiwanger zwar nicht, verlangt aber eine rasche und umfangreiche Beantwortung der 25 Fragen. Dies sei wichtig "für die Glaubwürdigkeit", aber auch für "mögliche Debatten im bayerischen Landtag, die ja denkbar sind".

Eine solche Debatte im Landtag ist nicht nur denkbar, sondern höchst wahrscheinlich. Grüne, SPD und FDP kündigten an, eine Sondersitzung des Landtags einberufen zu wollen. Laut bayerischer Verfassung ist dafür ein Drittel der Landtagsmitglieder nötig - und das stellen die drei Fraktionen. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Aiwanger seien keine exklusive Sache zwischen CSU und Freien Wählern, betont der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen. "Das betrifft ganz Bayern und darf nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden."

Opposition wirft Söder Schwäche vor

Die Opposition hat längst nicht nur Aiwanger im Visier, sondern auch den Ministerpräsidenten. Nach seinem Statement zum Koalitionsausschuss werfen ihm die Fraktionschefs von Grünen und SPD, Ludwig Hartmann und Florian von Brunn, Schwäche im Umgang mit Aiwanger vor.

Alle drei Ampel-Parteien haben zu erkennen gegeben, dass sie die Freien Wähler gern als Koalitionspartner ablösen und selbst regieren würden. Allzu wahrscheinlich ist das derzeit trotz des Wirbels um Aiwanger nicht. Söder hatte schon am Montagabend, also vor dem Treffen mit Aiwanger, bei einer Bierzelt-Rede bekräftigt, an Schwarz-Orange festhalten zu wollen.

Ob eine Fortsetzung der Koalition ohne Aiwanger tatsächlich ein realistisches Szenario sein könnte, ist unklar. Bisher stehen Spitzenvertreter von Fraktion und Partei hinter ihrem Vorsitzenden - zum Teil aus Überzeugung, zum Teil aus strategischen Überlegungen. Aiwanger ist das absolute "Zugpferd" der Partei.

Nach Meinung der Politologin Ursula Münch hält Söder den Fall Aiwanger mit dem heutigen Tag "selber am Köcheln" - um sich von den Vorgängen vor 35 Jahren zu distanzieren, vermutlich aber zugleich vom heutigen Aiwanger. Sie sieht darin auch den Versuch, die Freien Wähler "weiterhin unter Druck zu halten" und die eigene Machtposition zu untermauern.

Der bayerische Landtagswahlkampf nimmt eine Dynamik auf, die vor wenigen Wochen noch niemand für möglich gehalten hätte. Ausgang ungewiss.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. August 2023 um 20:00 Uhr.