
Artenschutz Zeit der Ausreden ist vorbei
Der Artenschutzbericht offenbart Zahlen des Grauens. Da alle bisherige Strategien scheiterten, ist ein Umdenken nötig. Sowohl die Agrarpolitik der EU muss zur Debatte stehen - als auch das tägliche Stück Fleisch.
Jetzt wurde es mal wieder ganz deutlich gesagt: Die Menschen ruinieren ihre Lebensgrundlagen - weltweit und mit ungeheurer Geschwindigkeit. Und nahezu alle Lebensräume sind inzwischen betroffen. Jede achte Art ist vom Aussterben bedroht, eine Million Arten etwa. Die Meere sind zu zwei Drittel verschmutzt, überfischt, die Todeszonen ohne jedes Leben breiten sich aus und haben jetzt schon die Fläche Großbritanniens erreicht.
Während die Regenwälder schrumpfen, hat sich die Stadtfläche - global gesehen - in nur 25 Jahren verdoppelt. Und so weiter und so weiter: Seitenlang enthält der heute veröffentlichte Bericht Zahlen des Grauens, der Vernichtung von Leben, der Verschlechterung von Lebensverhältnissen. 132 Staaten haben den Bericht des Weltrats für biologische Vielfalt abgezeichnet. Soll also keiner kommen und sagen: Oh, das wussten wir nicht. Und nun? Wie geht's weiter?
Von gescheiterten Strategien
Der Bericht zeigt ja, dass alle bisherigen Versuche gescheitert sind, den Verlust an Vielfalt zu stoppen. Es gab ja schon einige. Das gilt für die nationale deutsche Strategie zur biologischen Vielfalt wie die EU-Strategie wie die weltweiten Versuche, das Artensterben zu bremsen. Es gibt ja bereits eine UN-Konvention zur biologischen Vielfalt und zwar so lange, wie es auch eine gegen den Klimawandel gibt, seit mehr als 25 Jahren also. Nur war die bisher kaum ein gesprächswertiges Thema.
Ach, eine Mücke mehr oder weniger, macht das was? Natürlich nicht auf den ersten Blick. Es sind zunächst vor allem jene gut zehn Prozent der Menschheit vom Rückgang der Leistungen der Ökosysteme betroffen, die besonders arm sind, unter Nahrungsmangel leiden und sich Lebensmittel nicht zukaufen können. Weniger zu jagen, weniger zu sammeln - indigene Völker trifft es besonders hart - und das obwohl gerade sie, einen besonders schonenden Umgang mit biologischer Vielfalt leben, wie der Bericht zeigt.
Hochrisikopolitik mit gravierenden Folgen
Es wird aber auf Dauer auch die Industrieländer treffen, wenn wir weiter eine Hochrisikopolitik im Umgang mit der Natur fahren. Auf erodierten Böden wächst weniger, verschwundene Arten helfen nicht gegen Schädlinge und liefern keine neuen Medikamente - und Geld kann man nicht essen. Ein grundsätzliches Umdenken ist nötig.
Der Pariser Bericht des Weltrats zeigt der Politik sechs grundsätzliche Szenarien auf, wie sich die Vielfalt bis 2050 weiter entwickeln könnte, je nach Art der Politik. Deutlich wird hier: In der Komfortzone zu bleiben, wird auf Dauer nicht funktionieren. Alle Szenarien, die nicht schleunigst auf nachhaltiges Wirtschaften umsteuern, verschlechtern die ohnehin schon angespannte Situation auf dem Planeten weiter.
Fleischkonsum muss überdacht werden
Ja, das tägliche Stück Fleisch steht da auch zur Debatte. Wenn das nämlich nur kostengünstig produziert werden kann, weil das Kraftfutter dafür in Form von Sojabohnen auf gerodeten Waldflächen in Südamerika wächst, dann ist das unverantwortlich. Und wenn für die zahlreichen Produkte, in denen Palmöl befindet, in Südostasien die Wälder brennen, dann hat das auch eine Menge mit uns zu tun.
Aber jenseits der individuellen Verbraucherverantwortung geht es vor allem um politische Rahmenbedingungen. Die EU zum Beispiel sollte sich endlich und schleunigst von ihrer mörderischen Subventionspraxis für industrielle Agrarwirtschaft verabschieden und die Bauern dafür bezahlen, dass sie umweltfreundlicher wirtschaften. Da könnte die Bundesregierung klare Kante zeigen - wenn sie denn wollte.
Nötig sind Finanzsysteme und ein Welthandel, die sich an Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit orientieren und nicht nur an Profit. Ja, das hat eine Menge mit dem Artensterben zu tun, das zeigt der IPBES-Bericht deutlich. Geld stinkt nicht, sterbende Ökosysteme im Zweifel schon.
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