Luftaufnahme einer Seychelleninsel | ARD Nairobi

Seychellen Wenn der Klimawandel Inseln schluckt

Stand: 02.11.2021 03:28 Uhr

Der steigende Meeresspiegel nagt an den Seychellen. Die Küstenabbrüche nehmen zu, ganze Inseln drohen unterzugehen. Präsident Ramkalawan spricht von einem Überlebenskampf. Er hat eine klare Forderung an die reichen Länder.

Von Norbert Hahn, ARD-Studio Nairobi

"Wenn die Ozeane steigen und die Donner grollen, werde ich mit Dir, Vater, über dem Sturm schweben", singen sie in der Sonntagsmesse in der anglikanischen Kirche des Heiligen Lukas von Viktoria, der Hauptstadt der Seychellen. Ohne Priester Wavel Ramkalawan wäre diese Kirche vor zehn Jahren nicht gebaut worden. Nun sitzt er auf einer Bank in der ersten Reihe, als gewählter Präsident der Inselrepublik; neben ihm seine Frau, die den Laptop bedient, durch den die Lieder auf den Bildschirmen an der Wand erscheinen. Wird die Kirche dem Ozean und dem Sturm standhalten, wenn der Klimawandel zuschlägt? Wie kann der Präsident seine knapp 100.000 Inselbewohner schützen? Und die 115 Inseln der Seychellen?

Norbert Hahn ARD-Studio Nairobi

"Für mich hat die Bibel-Passage große Bedeutung, in der Salomon Gott um Weisheit bittet", sagt uns Ramkalawan später in seinem Amtssitz. Es seien diese Worte, die ihn leiten würden. Den Glauben an die westlichen Amtskollegen in den reichen Ländern hat er anscheinend verloren. "Haltet uns keine Vorträge. Nehmt Geld in die Hand, anstatt immer nur zu reden." Für die Seychellen habe der Kampf ums Überleben schon längst begonnen.

Gefährdet: die Hälfte aller Inseln

Und der sieht so aus: Sollte der Meeresspiegel wie befürchtet steigen, könnten flachere Inseln untergehen. Besser geht es nur den Inseln aus Granitgestein, auf denen auch die meisten Einwohner leben. Mehr als die Hälfte der Inseln könnten aber verschwinden.

Betroffen wäre davon in jedem Fall die Biodiversität, denn auf den Seychellen existiert eine reiche Flora and Fauna - auf dem Aldabra-Atoll findet man zum Beispiel die mit 150.000 Tieren weltgrößte Kolonie von Riesenlandschildkröten. Und womöglich letzte Exemplare der Cuvierralle, eines flugunfähigen Vogels. Die rote Liste der Seychellen ist aber viel länger.

Riesenlandschildkröte auf den Seychellen | ARD Nairobi

Für die Riesenlandschildkröten sind die Seychellen ein geschütztes Gebiet. Doch auch das kann sich mit dem Klimawandel ändern. Bild: ARD Nairobi

Betonkorsett gegen die Unterspülung

Schon jetzt sind überall auf der Hauptinsel Mahe und den kleineren Nachbarinseln Küstenabbrüche zu sehen. Straßen müssen mit schwerem Gestein gegen das andrängende Meer geschützt werden, Restaurants bekommen ein Betonkorsett. Ranger auf einer kleinen Naturschutzinsel mussten erstmals seit Jahrzehnten umziehen - das Meer hat ihre Häuser unterspült. Nebenan verschwindet Sandstrand, der eigentlich Brutstätte für Meeresschildkröten ist. Tankstellen, Rettungsstationen, Feuerwehr - viele wichtige Dienstleister sind im Küstenbereich zu finden und potentiell gefährdet.

Betroffen ist schon jetzt die Fischerei als die, neben dem Tourismus, wichtigste Einnahmequelle der Insel. "Der Thunfisch wandert zu anderen Plätzen, und auch die Fangsaison wechselt", sagt Johnny Louys von der Fischereibehörde der Seychellen. "Das betrifft unsere Einnahmen direkt." Steigt die Temperatur des Indischen Ozeans, gibt es zudem weitere Folgen für viele Meeresvögel der Seychellen. "Viele Fische oder der Tintenfisch kommen dann nicht an die Oberfläche", sagt Nirmal Shah, Chef der NGO Nature Seychelles. "Wir haben Probleme bei der Fortpflanzung der Vögel beobachtet. Küken sind an fehlender Nahrung gestorben."

Eine Dimension, zu groß für einen Inselstaat

Die Seychellen sind sich all dieser Gefahren bewusst, doch völlig überfordert. Künstlich wird ein Korallenriff erneuert, mit widerstandsfähigen Korallen - zeitraubend und teuer ist das. Der größte Schritt bislang war die Ausweitung der Meeresschutzzone um das Archipel. Sie ist nun so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Von 1,4 Millionen Quadratkilometern Ozean ist jetzt ein Drittel geschützt. Hinzu kommt eine gemeinsame Schutzfläche mit dem Inselstaat Mauritius: Die Seegrasflächen von der Größe der Schweiz speichern mehr CO2 als ein gleich großer Wald.

 

Ein Taucher überprüft die Züchtung von Korallen vor den Seychellen | ARD Nairobi

Die Züchtung von Korallen ist ein langwieriger Prozess - aber ein wichtiges Element beim Kampf der Seychellen gegen den steigenden Meeresspiegel Bild: ARD Nairobi

Die Seychellen leisten einen großen Beitrag für die Welt. Doch die muss zumindest einen messbaren Beitrag leisten, um die Seychellen und viele der kleinen Inselstaaten zu retten. "Wenn dieser eine Planet verschwindet, dann ist es egal, ob Länder reich sind oder viel Geld auf der Bank haben. Wir werden einfach verschwinden", sagt der Präsident. Das werde er in Glasgow klar machen. Nach dem Gespräch im "State House" zeigt uns Ramkalawan sein privates Arbeitszimmer, auf dem Tisch: eine prächtige Bibel. Das Lesezeichen steckt beim "Buch der Weisheit".

Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 01. November 2021 um 22:30 Uhr.