Steffi Lemke | AFP

Umweltministerin Lemke zu COP15 Es hakt an vier wichtigen Stellen

Stand: 16.12.2022 16:27 Uhr

Die Weltnaturkonferenz geht auf die Zielgerade. Umweltministerin Lemke erklärt im tagesschau-Interview an welchen vier Stellen die Verhandlungen haken - und warum sie dennoch optimistisch ist, dass es zu einer Einigung kommt.

tagesschau.de: Wie ist der Stand der Verhandlungen im Montreal?

Steffi Lemke: Es sieht so aus, dass viele Fortschritte in Detailfragen auf der technischen Ebene, auch bei wichtigen Punkten begonnen wurden. Aber die politischen Kontroversen, die liegen in den nächsten drei Tage noch vor uns.

tagesschau.de: Was werden die großen Streitpunkte sein?

Lemke: Knackpunkte werden die Finanzen sein, die Frage, ob man auch Qualitätskriterien für diese Schutzgebiete festlegt, die Frage der Pestizid-Reduktion und die des Abbaus umweltschädlicher Subventionen. Dazu gibt es nach wie vor Kontroversen.

Streit ums Geld

tagesschau.de: Was sind das für Kontroversen? Gibt es da Probleme, dass nicht gezahlt werden will oder dass keine Qualitätsstandards gesetzt werden können?

Lemke: Es gibt durchaus Länder, die sagen: Wir wollen keine strengen, verbindlichen Kriterien anlegen. Und es gibt die Forderung des globalen Südens, der sagt: Die Industrieländer müssen uns unterstützen, wenn wir Schutzgebiete aufbauen sollen. Wir haben nicht so viel Geld wie die Industrieländer, um Naturschutz zu betreiben. Wenn wir Wälder nicht mehr abholzen sollen für den Klima- und Naturschutz, dann brauchen wir dafür finanzielle Hilfen.

Es gibt zwar Zusagen aus den Industrieländern - gerade Deutschland hat ja auch sehr früh eine sehr große finanzielle Zusage gemacht - aber den Ländern des Südens reicht das bisher nicht aus. Und deshalb müssen wir jetzt eine Einigung finden, auf die wir uns in den nächsten drei Tagen gemeinsam verständigen. Und das ist, das wird Sie nicht überraschen, nicht leicht.

"Gibt großen Willen, Fortschritte zu erreichen"

tagesschau.de: Sind Sie ein bisschen frustriert, jetzt, wo Sie angekommen sind und den Stand der Verhandlungen gesehen haben?

Lemke: Nein, ich gehöre zu der Fraktion, die sagt: Wir sind hier, um Fortschritte zu erreichen. Ich denke nicht so viel darüber nach, was nicht geht, sondern darüber, was geht, und wie wir hier eine internationale Verständigung erreichen können. Es ist schwierig bei fast 200 Staaten, bei dem vielen Geld, um das es hier geht, und bei den wirklich strengen Kriterien, die wir anlegen wollen. Da liegt es in der Natur der Sache, dass gestritten wird.

Ich bin ja angereist, um das deutsche Verhandlungsteam und das der EU-Kommission zu unterstützen. Das haben viele andere Minister auch gemacht, die gestern im Laufe des Tages eingetroffen sind. Und es gibt schon einen großen Willen, Fortschritte zu erreichen. Das kann man definitiv sagen. Die Sorge um den Verlust unserer Natur, die eint die Staaten hier.

Keine "Paper Parks"

tagesschau.de: Deutschland ist ja, wenn man das so sagen kann, auch nicht gerade Vorreiter in Sachen Naturschutz. Gut sechs Prozent der Flächen in Deutschland sind Naturschutzgebiete. Eigentlich ist das noch relativ wenig, oder?

Lemke: Das ist die Frage, welche Schutzgebiete man dazuzählt. Wenn wir alle Schutzkategorien Deutschlands nehmen würden, wären wir schon bei den 30 Prozent. Wenn wir zum Beispiel die Landschafts-Schutzgebiete mit einbeziehen. Genau das ist dieser Streit hier um Qualitätskriterien.

Ich will, dass wir nicht nur sogenannte "Paper Parks" bekommen, also Schutzgebiete, die nur auf dem Papier existieren, sondern dass wir auch so etwas haben wie Biosphärenreservate oder unsere Nationalparks, wo es dann die verschiedenen Zonen gibt: ganz streng geschützte Gebiete und solche, in denen nachhaltige Nutzung erlaubt ist. Genau das ist hier der Verhandlungsgegenstand, wie wir das international ausgestalten.

1,5 Milliarden für internationalen Naturschutz

tagesschau.de: Artenreiche Gegenden sind zum Beispiel Madagaskar und Sri Lanka, oder die Gegend um den Himalaya herum. Das sind alles Länder, wo nicht sofort an Artenschutz gedacht werden kann, weil das Geld fehlt. Wie viel Unterstützung können diese Länder denn bekommen von Ländern, die reicher sind?

Lemke: Ich habe für die Bundesregierung hier 1,5 Milliarden Euro ab spätestens 2025 - und zwar pro Jahr - für den internationalen Naturschutz zugesagt. Es gibt eine Zusage der EU-Kommission, es gibt einzelne Länder, die bereits Zusagen gemacht haben. Und wir werben auch darum, dass die Privatwirtschaft sich hier engagiert. Es gibt ja Milliardengewinne weltweit. Jeden Tag wird mit dem Raubbau an Natur Geld verdient - das muss aufhören.

Und wir werben darum, dass Firmen auch hier in internationale Fonds einzahlen, sodass ich hoffe, dass am Ende des Tages eine ausreichend große Summe zustande kommt, um solche wertvollen Gebiete - wie auch den Amazonas-Regenwald, den wir für den Klimaschutz unbedingt erhalten müssen, aber der eben auch sehr artenreich ist - zu schützen. Und die Hoffnung ist, dass wir als internationale Staatengemeinschaft genug Geld mobilisieren, um auch solche inhaltlichen Punkte festzuzurren, die kein Greenwashing ermöglichen, sondern wo klar ist: Hier hat die Natur Vorrang.

"Sind über Artenschutz vernetzt"

tagesschau.de: Glauben Sie, dass Konferenzen wie diese jetzt in Montreal noch der richtige Raum sind, um so etwas zu verhandeln? Denn am Ende könnte es wieder dazu kommen, dass einige Länder blockieren und es eben doch keine Einigung gibt. Könnte es nicht besser sein, wenn einfach einige Länder, wie zum Beispiel Deutschland, vorangehen und sagen: Wir machen das jetzt einfach?

Lemke: Das ist die große Frage, die sich ja auch auf der Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh gestellt hat. Aber wir müssen miteinander sprechen. Wir sind auf der Welt über die Natur und über das Klima miteinander vernetzt. Und wir müssen deshalb gemeinsame Vereinbarungen treffen.

Das schließt ja nicht aus, dass einzelne Staaten vorangehen. Deutschland tut das sowohl international mit den 1,5 Milliarden Euro, aber auch mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, mit dem wir vier Milliarden in den nächsten vier Jahren in die Renaturierung von artenreichen Ökosystemen wie zum Beispiel Flussauen stecken. Auch hier setzt die Bundesregierung so viel Geld ein wie keine andere zuvor. Und ich hoffe, dass mir das hier in Montreal in den nächsten drei Tagen noch den nötigen Rückenwind gibt, um tatsächlich ein Verhandlungsziel hinzubekommen, auch für den internationalen Naturschutz.

tagesschau.de: Aber wenn Sie jetzt wieder nach Hause kommen von dieser Konferenz und sagen, was Sie erreichen und welche Gebiete Sie in Deutschland weiter schützen möchten - dann können die Länder sagen: Gut, aber Naturschutz ist unsere Sache. Und wir können uns das im Moment nicht alles leisten. Das heißt, Deutschland geht nicht richtig weit voran. Oder doch?

Lemke: Das sehe ich anders. Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz umfasst vier Milliarden Euro - so viel Geld stand für den Naturschutz in Deutschland noch nie zur Verfügung. Und wir haben gerade mit allen Umweltministern der Bundesländer darüber gesprochen, wie wir auch dort, wo es nötig ist, den Schutz bei uns verbessern können. Das heißt, ich sehe hier durchaus ein großes Engagement.

Aber Sie haben insoweit recht, dass wir auch Vertragsverletzungsverfahren der EU vor uns haben, weil nicht genug Naturschutz passiert ist. Das ist genau die Balance, die wir sehr schnell besser hinbekommen müssen, weil uns die Arten unter den Händen wegsterben.

"Ich bleibe optimistisch"

tagesschau.de: Was passiert, wenn diese Konferenz scheitert und es kein wirkliches Ergebnis geben wird?

Lemke: Ich bin hier, damit diese Konferenz nicht scheitert. Daran werde ich in den nächsten Stunden und Tagen arbeiten. Wir sind mit einem großartigen Verhandlungsteam hier und die EU ist einer der Treiber der Verhandlungen mit einer starken Position. Ich spreche jeden Tag mit vielen Kolleginnen, mit vielen Umweltministern und es gibt Annäherung in vielen Punkten. Ich bleibe deshalb optimistisch, dass wir eine Vereinbarung abschließen können.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Dezember 2022 um 15:00 Uhr.