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Folgen hoher Temperaturen "Klimawandel macht krank von Kopf bis Fuß"

Stand: 16.10.2022 03:04 Uhr

Temperaturrekorde prägten diesen Sommer. Wie und warum diese Hitze Menschen krank macht, erläutert Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann im Interview. Sie fordert Frühwarnsysteme für Patienten und eine Umgestaltung der Städte.

tagesschau.de: Welche Aspekte des Klimawandels wirken sich auf unsere Gesundheit am heftigsten und am stärksten aus?

Claudia Traidl-Hoffmann: Das Schlimmste für den Körper in Bezug auf Klimawandel bedingte Auswirkungen ist wirklich die Hitze. Die Hitze ist das, was uns am meisten zu schaffen macht, was uns krank macht und was auch wirklich Menschenleben kostet. Insofern ist die Hitze das Gefährlichste. Aber der Klimawandel macht natürlich noch mehr als nur Hitze, Kranke und Hitzetote.

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Zur Person

Claudia Traidl-Hoffmann leitet die Umweltmedizin am Universitätsklinikum in Augsburg. Sie erforscht die Interaktion zwischen Umwelt und Mensch. Eines ihrer Kernthemen sind die Folgen des Klimawandels auf Umwelt und Gesundheit.

tagesschau.de: Was löst die Hitze in einem Körper aus? Also was muss der Körper an Mehrarbeit leisten, wenn es zu heiß wird, und an welchem Punkt ist er dann eventuell überfordert?

Traidl-Hoffmann: Die vornehmste Aufgabe des Körpers ist es, die Kerntemperatur bei 37 Grad zu halten. Und das ist wichtig für den Körper, für das Gehirn - da funktionieren wir am besten. Wenn es draußen also heiß wird, dann muss der Körper noch mehr Energie aufwenden. Und das erste, was passiert, ist: Gefäße werden weit gestellt und deswegen haben auch Menschen, die dann draußen sind und unter der Hitze leiden, meistens einen hochroten Kopf, fangen an zu schwitzen. Wir versuchen dann, die Körpertemperatur loszuwerden - über die Haut, über die Gefäße. Dann steigt der Blutdruck. Und wenn der Blutdruck steigt, dann ist das erkrankte Herz auch irgendwann überfordert. Oder dann platzt letztendlich ein Gefäß im Gehirn und dann kommt der Schlaganfall oder dann kommt der Herzinfarkt. Und das Wichtige ist: Das passiert natürlich bei Vorerkrankungen, kann aber auch bei völlig Gesunden passieren.

"Stadt wird an heißem Tag zum Chemiebaukasten"

tagesschau.de: Sind die Menschen in der Stadt eher gefährdet oder die Menschen auf dem Land?

Traidl-Hoffmann: Gerade in der Stadt haben wir diese sogenannten Hitzeinseln. Hier ist es manchmal noch mal vier, fünf Grad heißer als auf dem Land. Dann kommen in der Stadt auch noch andere Umweltfaktoren dazu. Das ist dann eben Umweltverschmutzung, aus der Verkehrsbelastung zum Beispiel. Und dann wird eine Stadt wie Berlin, Hamburg oder München an einem heißen Tag zum Chemiebaukasten. Da entstehen ganz neue chemische Verbindungen, die dann unsere Lungen schädigen, die Schleimhaut schädigen, die Haut schädigen und dann wird alles noch mal schlimmer.

Wissenschaftsredakteurin Anja Martini, NDR, im Gespräch mit Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin für Umweltmedizin am Universitätsklinikum in Augsburg

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tagesschau.de: Gibt es Untersuchungen dazu, ob vielleicht Kinder oder Erwachsene besondere Krankheiten ausbilden?

Traidl-Hoffmann: Ja, da sprechen Sie diese vulnerable Gruppen an. Gerade bei diesen Klimawandel bedingten Erkrankungen oder was Hitze anbetrifft, wissen wir, dass kleine Kinder, aber auch Alte und insgesamt Kranke, zu den Empfänglichen, zu den vulnerable Gruppen gehören. Und hinzu kommt, dass wir die Hitze als Thema bagatellisieren. Ich kann nur zitieren aus unsere Zeitung, eine Überschrift vom Sommersportfest: "Rätselhaft. 20 Schüler kollabieren." Es war 35 Grad. Warum ist das rätselhaft? Das heißt, wir verbinden Hitze nicht mit Gefahr, sondern wir verbinden Hitze mit Eisessen und baden.

tagesschau.de: Es gibt ja noch ganz andere Probleme, die der Klimawandel bei uns auslösen kann - mentale Probleme gehören dazu?

Traidl-Hoffmann: Ja, tatsächlich macht der Klimawandel wirklich krank von Kopf bis Fuß. Wir haben mentale Erkrankungen, wie zum Beispiel Erkrankungen des Nervensystems, Alzheimer oder aber Multiple Sklerose. Das sind Erkrankungen, die während Hitzeperioden schlimmer werden. Neurodermitis zum Beispiel ist eine Erkrankung, bei der die Haut vereinfacht gesagt löchrig ist. Sie wird löchrig durch Schadstoffe und die Umwelt, die die Haut schädigen. Und diese Menschen sind dann empfänglicher für die Entwicklung von Allergien. Durch diese löchrige Haut können dann zum Beispiel Pollen ihr Werk vollbringen und eine Allergie auf dem Weg bringen.

Und jetzt kommt der Effekt des Klimawandels dazu, der die Pollen-Saison länger werden lässt. Wir haben mehr Pollen pro Tag, wir haben aggressivere Pollen und wir haben auch noch neue aggressivere Pollen. Durch die Umweltverschmutzung haben wir einfach mehr Menschen, die an Allergien leiden.

tagesschau.de: Was müsste sich ändern, damit wir besser mit der Situation klarkommen?

Traidl-Hoffmann: Wir müssen mindestens zwei Dinge tun. Erstens müssen wir uns natürlich anpassen an den Klimawandel. Das nennt sich Klimaresilienz, denn der Klimawandel ist da. Wir müssen Frühwarnsysteme entwickeln für Patienten. Wir müssen aber auch gleichzeitig unsere Städte anders gestalten. Wir brauchen grüne Städte, wir brauchen Städte mit einer hohen Artenvielfalt. Wir brauchen Städte, die gesund machen oder gesund halten und nicht krank machen. Und die zweite Sache ist ganz wichtig: Wir haben in dieser Anpassung einfach Grenzen. Ab 42 Grad Körpertemperatur ist Leben nicht mehr möglich, dann sterben wir. Das bedeutet, dass wir auch gleichzeitig versuchen müssen, dass der Klimawandel abgemildert wird, weil sonst ein Überleben der Menschen nicht möglich ist.

Das Interview führte Anja Martini, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Oktober 2022 um 17:00 Uhr.