
BiB-Studie Mehr Jugendliche mit depressiven Symptomen
Homeschooling und Distanzunterricht im ersten Corona-Lockdown haben einer Studie zufolge die Psyche von Kindern und Jugendlichen stark belastet. Auch Defizite beim Bildungsstand haben sich demnach verstärkt.
Die Zahl der Jugendlichen mit Anzeichen einer Depression ist laut einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) im ersten Corona-Lockdown im vergangenen Jahr deutlich angestiegen.
"Durch die Pandemie sind zusätzlich 477.000 Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren von depressiven Symptomen betroffen", sagte Forschungsdirektor Martin Bujard bei der Vorstellung der Studie. Das sei eine "erhebliche Größenordnung", auch wenn es sich um Selbsteinschätzungen handele und nicht alle Betroffenen auch "krank geworden" seien. Die Symptome reichten von stillem Rückzug bis zu Verhaltensauffälligkeiten und Essstörungen.
Offene Schulen als Priorität
Für seine Untersuchung, die sich unter anderem auch mit den Auswirkungen von Schulschließungen auf Bildungsstand und Familien befasste, rechnete das Institut Analysen aus dem sogenannten Familienpanel pairfam aus dem Frühsommer 2020 hoch.
Vor der Pandemie hatten demnach zehn Prozent der Jugendlichen von 16 bis 19 Jahren depressive Symptome, am Ende des ersten Lockdowns waren es 25 Prozent. Dabei gebe es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Bei weiblichen Jugendlichen kam es demnach zu einem Anstieg depressiver Symptome von 13 auf 35 Prozent in der Pandemie, bei den männlichen Jugendlichen zu einem Anstieg von sieben auf 15 Prozent.
Von Auswirkungen der Schulschließungen auf die psychische Gesundheit seien insbesondere Mädchen und auch Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger betroffen, sagte Bujard. "Das Offenhalten der Schulen sollte deshalb hohe Priorität haben, damit sich psychische Belastung und Lernrückstände nicht noch weiter verstärken können."
Lernrückstände nur langfristig aufzuholen
Der Untersuchung zufolge wirkte sich die Zeit von Homeschooling und Distanzunterricht dabei unterschiedlich auf den persönlichen Lern- und Entwicklungsstand von Jugendlichen aus. Rund zwei von drei jungen Menschen seien "trotz mancher Schwierigkeiten relativ gut" durch die bisherigen Einschränkungen gekommen. Es sei davon auszugehen, dass sie in dieser Phase auch zusätzliche Kompetenzen etwa im Bereich Digitalisierung und Selbstständigkeit erworben hätten.
Auf der anderen Seite hätten die Auswirkungen der Pandemie laut Analyse aber insbesondere Kinder und Jugendliche aus sogenannten bildungsfernen Familien besonders benachteiligt. Gleiches gelte für junge Menschen, bei denen zu Hause kein Deutsch gesprochen werde. Zudem könnten sich bei einigen Kindern auch Lernrückstände und psychische Probleme nun wechselseitig verstärken. Wichtig sei aber, kurzfristig auch nicht zu viel Lerndruck aufzubauen. Der Ausgleich von Bildungsdefiziten sei ein langfristiger Prozess.
Aufforderung an die Politik
Der Blick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie muss nach Einschätzung der Experten ebenso wichtig sein wie das Schließen von Bildungslücken. "Kontakte mit Gleichaltrigen, Lebensfreude und altersgerechte Erlebnisse in Sport, Freizeit oder Reisen sind daher zukünftig zentral, nicht nur Nachhilfeangebote", heißt es in der Studie.
Psychisch gesunde und selbstsichere Kinder könnten mögliche Lernrückstände besser aufholen, erklärten die Experten. Hilfreich seien etwa Programme, die Kindern aus sozial schwachen Familien die Teilnahme an Ausflügen und Schulfahrten finanzierten. Psychosoziale und gesundheitliche Beeinträchtigungen sollten demnach umfangreich bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.