Simulation des Raumschiffs Orion mit den Phantomen Helga und Zohar | NASA/LM/DLR

Überleben im All Mit Weltraumpuppen Strahlung messen

Stand: 19.02.2022 09:53 Uhr

Wie gefährlich ist Weltraumstrahlung für Astronautinnen und Astronauten? Wissenschaftler wollen das anhand von Kunststoffpuppen herausfinden, die sie ins All schicken.

Von Ute Spangenberger, SWR

50 Jahre nach dem letzten Apollo-Flug plant die NASA, im April oder Mai wieder Richtung Mond zu fliegen. Ziel der Artemis-1-Mission ist zunächst, den Mond mit dem unbemannten Orion-Raumschiff zu umrunden. Ab Mitte der 2020er-Jahre sollen dann Astronauten mitfliegen, wieder auf dem Mond landen und dort eine Mondbasis aufbauen.

Ute Spangenberger

Das Programm wurde in Anspielung auf das Apollo-Programm Artemis benannt. Artemis ist in der griechischen Mythologie die Mondgöttin und Zwillingsschwester Apollons. Die Amerikaner haben sich zum Ziel gesetzt, die erste Frau zum Mond zu bringen.

Mit Messgeräten ausgestattet

Auch wenn der Artemis-1-Flug unbemannt sein wird, werden drei der vier Sitzplätze in dem Orion-Raumschiff belegt sein. Neben einem Crashtest-Dummy sitzen zwei Kunststoffpuppen, sogenannte Phantome, in der Kapsel. Sie sind mit Strahlenmessgeräten ausgestattet. So möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie viel Weltraumstrahlung während eines Flugs zum Mond auf die Körper einwirkt und welche Schutzmaßnahmen man für zukünftige Missionen mit Astronauten entwickeln müsste.

Sowohl Weltraumagenturen als auch private Unternehmen planen in den nächsten Jahrzehnten Langzeitaufenthalte von Menschen auf dem Mond und dem Mars. Allerdings stellt Weltraumstrahlung ein großes gesundheitliches Problem dar.

Wie hoch ist die Strahlenbelastung?

Die Projektleitung für das Phantom-Experiment mit dem Titel MARE (Matroshka AstroRad Radiation Experiment) liegt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Strahlenphysiker Thomas Berger erklärt:

Im Prinzip wollen wir mit diesem MARE-Experiment grundlegende Fragen klären: Wie ist die Strahlungsbelastung des Menschen im freien Weltraum? Derzeit sind wir limitiert auf die Internationale Raumstation (ISS). Wir wollen wissen: Wie hoch ist die Strahlenbelastung und ist sie erhöht im Vergleich zur Raumstation? Und: Ist somit das Krebsrisiko erhöht?

Um das herauszufinden, schicken die Forscher zwei Frauenkörper in den Weltraum. Die Phantome tragen die Namen Helga und Zohar. "Wenn man das Krebsrisiko von Männern und Frauen vergleicht, so ist das bei Frauen höher, etwa durch die höhere Inzidenz von Brustkrebs. Außerdem haben wir jetzt auch mehr Astronautinnen, die fliegen werden. Daher macht es absolut Sinn, hier zwei Damen zum Mond zu schicken und wieder zurück", führt Berger aus.

Aufgeschnittene Puppe | NASA/LM/DLR

In die aufgeschnittenen Puppen werden Strahlungsdetektoren eingesetzt. Bild: NASA/LM/DLR

Aufgeschnitten in 38 Scheiben

Der Wissenschaftler sitzt an einem großen Labortisch. Vor ihm liegen die Phantome, aufgeschnitten in je 38 Scheiben. Die Scheiben haben eine unterschiedliche Dichte und bilden so die verschiedenen Organe des Menschen nach.

Thomas Berger ist gerade dabei, mit einer Pinzette kleine Kristalle in eine graue Scheibe einzusetzen und erklärt: "Das hier ist eine Kopfschicht, also quasi das Gehirn. Wir statten diese Schicht von Helga gerade mit Strahlungsdetektoren aus. Sie messen während des Weltraumflugs genau an diesem Punkt die Strahlung. Indem wir insgesamt an 1400 Messpunkten in den Testkörpern diese kleinen Kristalle einbringen, können wir nach der Weltraummission so etwas wie eine dreidimensionale Verteilung der Strahlungsdosis über den ganzen Körper messen."

So wollen die Forscher herausfinden, wie viel Weltraumstrahlung an den strahlungsempfindlichsten Organen des Körpers, unter anderem der Lunge und dem Magen, ankommt.

Neben diesen Kristallen, den sogenannten passiven Strahlungsdetektoren, bekommen die Phantome zusätzlich aktive Strahlungsdetektoren. Diese batteriebetriebenen Messgeräte wurden am DLR entwickelt und zeichnen während der Mission alle fünf Minuten aktuelle Daten auf. So erfahren die Forscher nach der Rückkehr der Phantome aus dem Weltraum ganz genau, an welchem Ort im Weltraum die Phantome welcher Strahlung ausgesetzt waren.

Verschiedene Arten von Weltraumstrahlung

Christine Hellweg, die Leiterin der Abteilung Strahlenbiologie am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin beim DLR, erklärt, welche Strahlenarten es im Weltraum gibt:

Eine Strahlung kommt von unserer Sonne, das sind die solaren energiereichen Teilchen. Und die andere kommt von außerhalb unseres Sonnensystems: die galaktische und extragalaktische kosmische Strahlung. Unsere Sonne bläst die Teilchen immer von sich und schützt uns damit zum Teil vor dieser galaktischen kosmischen Strahlung. Wenn die Sonne sehr aktiv ist, kommt weniger von außen in unser Sonnensystem hinein. Aber wir haben immer ein gewisses Level an energiereichen Teilchen, ionisierte Teilchen, alles von Wasserstoff bis Eisen bis zum Uran ist in der galaktischen kosmischen Strahlung enthalten.

Strahlenweste als Schutz

Um zu testen, ob und wie sich Astronauten gegen Weltraumstrahlung schützen können, wird eine der beiden Phantome bei dem Flug eine Strahlenschutzweste tragen, die in Israel entwickelt wurde. 

Christine Hellweg erläutert: "Die Strahlenweste ist vor allem etwas für die Teilchenereignisse von der Sonne, wenn wir eine Eruption auf der Sonnenoberfläche haben. Dann könnten so die inneren Organe und vor allem das Knochenmark besser geschützt werden. Die Weste wird vielleicht auch ein bisschen die Dosis durch die galaktische kosmische Strahlung reduzieren, aber sie ist eigentlich nicht dafür gedacht, dass die Astronauten sie dauerhaft tragen."

"Es gibt noch kein Wundermittel"

Auf dem Mond oder Mars könnte man die Strahlung zumindest reduzieren, in dem die Astronauten die meiste Zeit in gut geschützten Habitaten verbringen. Derzeit wissen die Forscher aber noch nicht, wie man die Weltraumstrahlung in Raumschiffen auf null bringen könnte.

Raumschiffe komplett strahlenschutzsicher zu verkleiden, würde schon allein wegen des Gewichts der Materialien nicht funktionieren. Für die monatelangen Flüge etwa zum Mars, gäbe es noch keine praktikable Lösung, sagt Christine Hellweg: "Eine Lösung wäre schneller zu fliegen. Oder strahlenschützende Medikamente zu finden. Aber da gibt es eben einfach noch kein Wundermittel."