Eine Hummel sammelt in der Abenddämmerung auf einer Wiese Pollen. | dpa

Insektenschwund in Europa Es summt und zwitschert immer leiser

Stand: 28.09.2022 14:21 Uhr

Für manchen sind sie kaum mehr als lästiges Krabbelgetier, doch für das Gleichgewicht in der Natur spielen Insekten eine wichtige Rolle. Aber es gibt von ihnen immer weniger, ebenso geht die Zahl der Brutvögel zurück. Der Rückgang ist ein europaweites Problem.

Von Demian von Osten, WDR

"Man merkt, dass man auf seinem Sonntagsspaziergang keine Kiebitze, Feldlerchen oder Rebhühner mehr sieht und als Autofahrer seltener Insekten von der Scheibe putzen muss", stellt Lars Lachmann fest. Der Experte für Vogelschutz von der Umweltschutzorganisation NABU ist besorgt. "15 Prozent weniger Vogelbrutpaare in nur zwölf Jahren - das ist extrem dramatisch. Das hat mich selber schockiert, als ich es ausgerechnet habe."

Demian von Osten ARD-Studio Moskau

Zwei verschiedene Untersuchungen sind es, die gerade für Aufsehen sorgen. Zum einen hat ein Forscherteam untersucht, wie sich die Zahl der Insekten in Deutschland entwickelt hat. Das Ergebnis: In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse von fliegenden Insekten demnach um mehr als 75 Prozent ab. Kleinere Studien zu einzelnen Insektengruppen hatten schon vorher auf einen solchen Trend hingewiesen. Eine vergleichbare Untersuchung in dieser Dimension gab es aber noch nicht.

Im Sommer 82 Prozent weniger Insekten

Die Daten zu den Insekten stammen von freiwilligen Insektenforschern in Nordrhein-Westfalen. Der Entomologische Verein Krefeld hat sie seit 1989 in 63 Schutzgebieten an verschiedenen Stellen in Deutschland gesammelt. Nordrhein-Westfalen ist dabei, aber auch Rheinland-Pfalz und Brandenburg. Mithilfe von Fallen haben die Forscher Fluginsekten gesammelt und sie gewogen. Der Rückgang an Masse lässt auf einen Rückgang der Anzahl der gefangenen Insekten schließen.

Wissenschaftler um den Insektenkundler Caspar Hallmann von der Radboud-Universität in den Niederlanden haben die Daten analysiert und herausgefunden, dass die Masse dramatisch abgenommen hat, am stärksten im Sommer. Da gibt es 82 Prozent weniger Insekten.

Eine zweite Untersuchung der Naturschutzorganisation NABU hat die Verbreitung von Vögeln untersucht. Das Ergebnis: Innerhalb von zwölf Jahren ist die Zahl der Vogelbrutpaare in Deutschland um 12,7 Millionen zurückgegangen. Der Star, der Haussperling, das Wintergoldhähnchen und der Buchfink sind besonders stark betroffen.

"Der Vogelrückgang hat sicherlich nicht nur mit dem Insektenrückgang zu tun", sagt Lachmann. Aber beide Entwicklungen fielen in den etwa gleichen Zeitraum.

"Gepimpte" Felder bieten keine Nahrung

Lachmann hat Vermutungen, woran der Rückgang liegt: "Wir denken, dass die Veränderung der Landwirtschaft die Hauptursache für den Vogelrückgang ist." Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, aber auch der Wegfall von Brachflächen zählen für ihn dazu. "Viele Vögel verschwinden, weil die Felder so 'gepimpt' werden, dass die Vögel dort keine Nahrung mehr finden."

Wolfgang Fiedler, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, bestätigt den Trend: "Wir sehen einen schleichenden Rückgang von Vogelarten - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa." Auffällig sei, dass bei den Vogelarten, die zurückgehen, sehr viele Insektenfresser dabei seien.

Was lässt sich tun? "Es geht eigentlich nur, wenn man ökologische Belange stärker vornan stellt, wenn man auf jedem Quadratmeter den Umweltschutz mitbeachtet", sagt Fiedler. Biologisch zu wirtschaften, wäre die einfachste Lösung.

Ein Bauer besprüht mit Unkrautvernichtungsmittel sein Feld. | dpa

Führt der Einsatz von Pestiziden auf Feldern zum Nahrungsmangel für Vögel? Bild: dpa

Bauernverband gegen voreilige Schlüsse

Der Deutsche Bauernverband pocht auf weitere Untersuchungen. "Es ergeben sich aus der Studie mehr Fragen, als Antworten gegeben werden", teilte der Verband in Bezug auf die Insektenstudie mit - und verteidigt auch den Einsatz von Insektiziden. "Wenn wir die Ernten nicht den Schadinsekten opfern wollen, müssen diese zielgerichtet bekämpft werden, aber in einer Kombination aus acker- und pflanzenbaulichen Maßnahmen, biologischen und chemischen Mitteln."

Weitere Untersuchungen fordern auch die Autoren der Insektenstudie. "Es gibt einen dringenden Bedarf, die Gründe für den Rückgang aufzudecken", heißt es im Schlusswort. Dringend deshalb, weil die Zahl der Insekten und Vögel dramatisch abnimmt. Bei den Vogelbrutpaaren warnt Lachmann vom NABU bereits: "Wenn man diese Entwicklung fortrechnet, dann wird in naher Zukunft nicht mehr viel übrig sein."

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 19. Oktober 2017 um 17:00 Uhr.