Lage der portugiesischen Wirtschaft "Man muss hier nicht mehr, sondern besser arbeiten"

Stand: 16.05.2011 15:24 Uhr

Ein hohes Außenhandelsdefizit und immense Produktionskosten: Die portugiesische Wirtschaft kommt nicht in Schwung, trotz massiver EU-Hilfe. Experten glauben: Nur mit ausgefallenen, hochwertigen Produkten hat das Land eine Chance. Erste Unternehmen haben damit Erfolg.

Von Reinhard Spiegelhauer, ARD-Hörfunkstudio Madrid

Wie wäre es mit Computer-Speicherchips im Eigenbau? Vor kurzem gab's alles, was man dazu braucht, in einer Online-Auktion: Belichtungsgeräte, die Schaltkreise zusammen mit einem Ätzverfahren auf Siliziumscheiben dazu bringen, Messstationen für die Qualitätskontrolle, und Anlagen, in denen die fertigen Chips im sogenannten Burn-in nochmal so richtig auf Herz und Nieren getestet werden.

Die High-Tech-Komponenten stammten aus dem Qimonda-Werk im portugiesischen Vila do Conde, ein paar Kilometer nördlich von Porto. Es hätte ein Vorzeigeprojekt werden sollen für den Strukturwandel der portugiesischen Wirtschaft - und wurde zur Mega-Pleite - obwohl Millionen in den Standort gepumpt wurden, ärgert sich Gewerkschaftssprecher Miguel Moreira: "Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren immer wieder Zuschüsse vom Staat und von der EU bekommen, um die Zukunft zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen."

Die neuen Technologien könnten Teil eines Strukturwandels sein, der Portugal nach vorne bringt, was Portugals Politiker noch vor wenigen Jahren hofften. Doch die Konkurrenz ist hart, der Erfolg alles andere als sicher, wie das Beispiel Qimonda zeigt.

EU-Osterweiterung macht Portugals Wirtschaft Konkurrenz

Bei ihrem EU-Beitritt 1986 waren die Portugiesen noch ein Niedriglohnland, das alleine mit diesem Standortvorteil punkten konnte. Seitdem sind die Löhne deutlich gestiegen. Auch wenn sie im Vergleich zu deutschen Gehältern teilweise lächerlich niedrig wirken - 600 Euro bekamen die Qimonda-Arbeiter zuletzt im Schnitt - andere arbeiten noch billiger. Nicht nur die Konkurrenz aus Asien, auch die EU-Osterweiterung machte die portugiesischen Lohnstückkosten unattraktiv. Die Folge: Internationale Konzerne, zum Beispiel Autohersteller, verlagerten die Produktion aus Portugal weg. Allein in den Jahren 2003 bis 2006 waren 25 Prozent der Jobverluste in Portugal die Folge solcher Produktionsverlagerungen.

Experten beklagen nicht nur zu hohe Produktionskosten: "Die Frage ist der Wert, der geschaffen wird. Man muss hier nicht mehr, sondern besser arbeiten" sagt der Chef des größten Industrieverbandes in Portugal. Denn mit Massenware machen traditionelle Sektoren wie die Textil- oder Schuhproduktion international eben keinen Stich mehr. Kleine und mittlere Betriebe gingen deswegen massenhaft ein, im Gegensatz zu einer Schuhfabrik im nordportugiesischen Lousada.

Erste ausländische Firmen kehren zurück

"Wir haben keine Krise, sogar einen zwölfprozentigen Zuwachs. Die Firmen sind voll, könnten sogar noch mehr produzieren, aber sie schaffen es nicht", sagt Geschäftsführer Antonio Machado. In den vergangenen Jahren hätten viele internationale Firmen, auch deutsche Unternehmen, Portugal verlassen. Seit vergangenem Jahr würden sie wieder zurückkehren.

Hochwertige Qualität und ausgefallene Produkte mit hoher Wertschöpfung sind die einzige realistische Chance für die traditionelle Industrie Portugals. Mit 180 Mitarbeitern produziert die Fabrik in Lousada unter anderem für die Designer-Marke Joop. Die Kosten seien zwar höher als in Asien, "aber das Produkt hat eine Qualität, die Asien nicht hat, und wir sind flexibler und näher an Europa", ergänzt Machado.

Zu wenig Importe

Solche Erfolgsmeldungen sind noch die Ausnahme. Und sie alleine reichen bei weitem nicht, das Außenhandelsdefizit Portugals zu senken: Das Land importiert wesentlich mehr als es exportiert. Drei Viertel der Exporte gehen in andere Staaten der EU, der Löwenanteil nach Spanien. Der Nachbar hat es wiederum besser verstanden, sich neue Exportmärkte zu erschließen und ist sogar in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Brasilien weit präsenter, obwohl Portugiesen und Brasilianer sich kulturell und sprachlich viel näher sind.

Immerhin ist das Problem erkannt, in der ehemaligen Kolonie Angola zum Beispiel sind portugiesische Unternehmen erfolgreich aktiv. Auch im Schwellenland Brasilien versucht man, Versäumtes nachzuholen. Ein Beispiel dafür ist die staatliche Fluggesellschaft TAP, die zugleich zeigt, dass die Portugiesen durchaus in der Lage sind, marode Unternehmen wieder nach vorne zu bringen. Jahrelang galt die Airline als Sanierungsfall, dann wendete sich das Blatt. Aus der europäischen Randlage machten die Portugiesen eine Tugend und spezialisierten sich auf Verbindungen nach Südamerika, Schwerpunkt Brasilien. Im vergangenen Jahr flog TAP mehr als 60 Millionen Euro Gewinn ein.

Bitter für die Portugiesen: Die staatliche Fluggesellschaft, gerade zum Tafelsilber geworden, muss jetzt zu Geld gemacht werden. Denn die Privatisierung der TAP ist eine der Auflagen für das EU-Hilfspaket.