Der frühere Wirecard-Manager Martin Osterloh (l.) und der Unternehmer Joachim Sedlmeir

Kollaps des DAX-Konzerns Wie Wirecard ein Augsburger Start-up ruinierte

Stand: 08.12.2022 10:12 Uhr

Ein Augsburger wird beim Start des Wirecard-Prozesses genau hinschauen. Sein Start-up arbeitete einst mit Wirecard zusammen - und wurde in den Strudel der Konzernpleite hinein gerissen.

Von Andreas Herz, BR

Joachim Sedlmeir schultert seinen Rucksack und macht sich auf den Weg zu einem Hochhaus im Münchner Osten. Der Augsburger Unternehmer atmet tief durch. Er ist aufgeregt. Denn gleich wird er den Mann wiedertreffen, mit dem er seine größte berufliche Niederlage verbindet: den früheren Wirecard-Manager Martin Osterloh.

Es ist 2019, als Sedlmeir das erste Mal Kontakt zur Wirecard hat. "Das war für ein Start-up unserer Größe eigentlich gar nicht möglich", berichtet der Augsburger. Seine Firma Stampay hat auf frühere Anfragen nicht mal eine Antwort bekommen. Doch dieses Mal hat Sedlmeir einen Namen im Gepäck: Frank Thelen, der bereits über ein anderes Start-up mit Wirecard kooperiert.

Es lockte das große Geschäft

"Als sie bei Wirecard erfahren haben, dass ich mit den Start-ups, bei denen Thelen involviert war, in Kontakt bin, war plötzlich Vertrauen da." Es folgt ein erstes Gespräch mit Martin Osterloh, der damals bei Wirecard Vize-Präsident für den digitalen Vertrieb ist. Nun kann Sedlmeir seine Idee präsentieren: bargeldloses Bezahlen per QR-Code. Osterloh signalisiert Interesse.

Joachim Sedlmeir

Joachim Sedlmeir verbindet Wirecard mit seiner größten beruflichen Niederlage.

Unter Hochdruck feilen Sedlmeir und sein 15-köpfiges Team nun an der Idee. Was sie Wirecard dann vorlegen, überzeugt. "Die fanden das super", erinnert sich Sedlmeir. Der Zahlungsdienstleister aus Aschheim verspricht Sedlmeir das große, weltweite Geschäft. Sedlmeir sieht sich am Ziel.

Dann folgt der 18. Juni 2020. Joachim Sedlmeir sitzt in seinem Auto, da läuft ein Radiobericht über die Pressekonferenz, die Wirecard eilig einberufen hat. Der damalige Wirecard-Chef Markus Braun spricht über die vielen Ungereimtheiten beim Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München. Doch erst ganz am Ende der Pressekonferenz fallen die entscheidenden Worte: "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist."

"Ich habe geweint"

Als Sedlmeir die Worte hört, weiß er, dass es vorbei ist mit seinem Start-up Stampay: "Es war ein Riesenschock. Weil wir große Visionen hatten und von heute auf morgen keine Technologie mehr hatten, weil es unseren Partner Wirecard nicht mehr gab", erinnert sich der Unternehmer. "Ich erzähle es nur ungern. Aber als der letzte Mitarbeiter unser Büro verlassen hatte, bin ich dagesessen und habe geweint."

Zehn Jahre Arbeit fallen in sich zusammen. Stampay muss Insolvenz anmelden. Rund fünf Millionen Euro sind vernichtet. Für Sedlmeir auch ein tiefer persönlicher Einschnitt. Immer wieder, wenn er die Bilder der einstigen Wirecard-Chefs Braun und Marsalek sieht, kommen die Erinnerungen hoch.

Der Prozess ist für Sedlmeir auch ein Anlass, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Dazu gehört auch, sich noch einmal mit Martin Osterloh auszusprechen, seinem einstigen Mentor bei der Wirecard.

Mit 70 deutschen Digital-Firmen zusammengearbeitet

Als Sedlmeir am vereinbarten Treffpunkt ankommt, erwartet ihn Osterloh bereits. Der 52-Jährige spricht mit leichtem englischen Akzent und macht wenig Aufhebens um seine Person. Kein Slim-Fit-Anzug, kein Manager-Sprech. Nur seine teure Uhr deutet auf die illustre Firma hin, bei der Osterloh bis zuletzt eine wichtige Rolle innehatte.

Sedlmeir treibt vor allem eine Frage um: Wie ist es Osterloh damals gegangen? "Selbstverständlich fühlt man sich ein Stück weit mitschuldig", antwortet Osterloh. "Einerseits hat man den Job bei Wirecard gut gemacht. Stampay war ein toller Partner für uns, innovative Technologie. Natürlich habe ich ein schlechtes Gefühl aufgrund der nachfolgenden Insolvenz. Wir haben sie mitgerissen."

Sedlmeir freut sich über die Aussagen seines ehemaligen Geschäftspartners: "Zu hören, dass man einem nicht egal war, das tut auf jeden Fall gut." Mit rund 70 deutschen Digital-Unternehmen habe Wirecard kooperiert, berichtet Osterloh. Rund die Hälfte der Firmen sei aus Bayern gekommen. Doch nur wenige traf es so hart wie Sedlmeir.

Partner für viele in der Start-up-Szene

Der Fall Stampay zeigt auch, dass Wirecard gerade für die Start-up-Szene ein wichtiger Partner war. Was Wirecard technologisch zu bieten hatte, sei in Deutschland einzigartig gewesen, sagt Sedlmeir. Dort sei man innovativer und risikofreudiger gewesen. "Viele der heutigen deutschen Fin-Tech-Firmen hätte es ohne die Wirecard nicht gegeben."

Zugleich seien externe Partner wie sein Start-up Stampay auch eingehend geprüft worden, berichtet er: "Wir hatten eine Bezahl-Kooperation mit einem österreichischen Betrieb, der CBD-haltige Hanfprodukte im Angebot hatte. Das war für Wirecard gleich ein Problem."

Weniger genau hat man es bei Wirecard ganz offensichtlich mit der internen Kontrolle genommen. Manager Osterloh hat nach eigener Aussage nichts von dem Betrug geahnt. Nur die Gewinne der Abteilung in Südostasien hätten ihn stutzig gemacht: "Ich dachte immer: Wie schaffen die es, sechs- bis siebenmal so viel zu verdienen wie meine Abteilung?"

Was kann das Gericht aufklären?

Auch Osterloh wurde nach der Pleite von den Ermittlern vernommen, ihm konnten laut eigener Aussage aber keine Verfehlungen nachgewiesen werden: "So wie es aussieht, war Jan Marsalek der Täter oder Kriminelle. Es wäre ein Wunsch von mir, dass man durch den Prozess mehr Aufklärung bekommt, was die Rolle von Herrn Braun war", sagt Osterloh.

Das wünscht sich auch Joachim Sedlmeir. Beruflich hat er sich nach der Insolvenz von Stampay aufgerappelt und sein Unternehmen neu aufgebaut. Es gibt auch schon Interessenten für die neue Geschäftsidee: digitales Trinkgeld.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. Dezember 2022 um 11:00 Uhr.