
Prognos-Studie Westen verliert wirtschaftliche Dominanz
Demografische und ökonomische Verschiebungen sorgen laut einer Studie dafür, dass der Westen in der Weltwirtschaft künftig deutlich weniger Gewicht haben wird. Auch den Wohlstand in Deutschland könnte das gefährden.
Europa und die USA werden einer Studie zufolge in den kommenden 20 Jahren massiv an ökonomischer Dominanz einbüßen. Besonders der asiatische Wirtschaftsraum werde im Zuge von "demografischen und ökonomischen Verschiebungen" bis 2040 aufholen, heißt es in einer Analyse des Forschungs- und Beratungsinstituts Prognos im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw).
"Die Weltwirtschaft befindet sich im Umbruch, eine Kräfteverschiebung ist im Gange", sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Während das Wachstumspotenzial "in den klassischen Industriestaaten" in Nordamerika sowie West- und Mitteleuropa wegen der stagnierenden Bevölkerungsentwicklung begrenzt sei, "erleben viele Schwellenländer vor allem im asiatischen Raum einen dynamischen Aufholprozess". Etwa Ostasien und Pazifik werde "an wirtschaftlichem Gewicht gewinnen". Der wichtigste Treiber in der Region sei China.
Zudem könne ein Ende der Globalisierung und eine mögliche Aufteilung der Welt in chinesisch und amerikanisch dominierte Blöcke den Wohlstand in Deutschland stark gefährden, warnte Prognos. Der Wirtschaft hierzulande könnten beträchtliche Teile ihrer Exporte verloren gehen. Hintergrund sind Sorgen unter Ökonomen und Außenpolitikern, dass die Handelskonflikte zwischen den USA und China in eine dauerhafte Konfrontation der beiden Großmächte münden könnten.
"Deglobalisierung wäre fatal"
Die Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse von West nach Ost könne neue Spielregeln für den internationalen wirtschaftlichen Austausch bedeuten. "Deglobalisierung ist zunehmend eine realistische Gefahr und führt weltweit zu Wohlstandsverlusten", betonte Bossardt.
Sollte Europa sich einem US-dominierten Block anschließen, könnten damit nach der Prognos-Schätzung 22 Prozent der Exporte und 30 Prozent der Importe verloren gehen. Eine Annäherung an China und größere Distanz zu den Vereinigten Staaten würde die europäischen Exporte um geschätzt 18 Prozent schrumpfen lassen.
Und sollte sich die EU als dritte Option für eine Art Blockfreiheit entscheiden und zwischen China und den USA als eigenständige Kraft auftreten, könnten geschätzt immer noch 12 Prozent der Ausfuhren verloren gehen. "Eine Deglobalisierung wäre fatal für die hiesige Wirtschaft", sagte Studienautor Michael Böhmer bei der Online-Veranstaltung.
EU gefordert
Für die globale Wirtschaftsordnung gibt es laut Bossardt deshalb keine Alternative zu Freihandel und internationaler Arbeitsteilung. Protektionismus und Handelskriege bringe Schaden für alle beteiligten Akteure. Für die Europäische Union sei es als großer Wirtschaftsraum nun notwendig, einen zentralen Beitrag zur langfristigen Stabilisierung und Weiterentwicklung der globalen Wirtschaftsordnung zu leisten, forderte der vbw-Hauptgeschäftsführer.
Industrie-Präsident Siegfried Russwurm warnte etwa vor einer dauerhaften Entfremdung zwischen den USA und Europa. Ein gleich großer Abstand zu den USA und China könne nicht das Ziel sein, sagte der frühere Siemens-Vorstand. Die Europäer seien den USA geschichtlich und kulturell sehr viel näher als China, der BDI-Präsident.
Gleichzeitig plädierte er für eine starke EU, damit die europäischen Staaten gemeinsam ihre Interessen durchsetzen können. "Wir wären gut beraten, für die EU Werbung zu machen", sagte Russwurm zu nationalistischen Strömungen in europäischen Ländern. "Jedes Land der EU, auch das starke Deutschland, ist ein Zwerg gegen die beiden großen Antipoden USA und China."
Wachstumschancen bei Maschinen, Straßen und Energie
Auf die langfristigen Veränderungen der globalen Wirtschaftsverhältnisse seien deutsche Unternehmen nur in Teilen vorbereitet, heißt es in der Studie weiter. "Deutsche Exporteure von Maschinen und Anlagen sowie Straßen- und Energieinfrastruktur bedienen in den Zukunftsregionen Ostasien und Pazifik, Nordamerika sowie Südasien bislang nur einen niedrigen bis mittleren Teil der regionalen Nachfrage. Hier bestehen noch Wachstumschancen“, so Brossardt.
In den Produktkategorien Fahrzeuge und medizinische Produkte seien die deutschen Firmen allerdings schon heute auf den wichtigsten Absatzmärkten Ostasien und Pazifik sowie Nordamerika stark aufgestellt.
USA beim Thema KI führend - noch
In einem zunehmend wichtigen Technologiebereich droht China unterdessen nach Angaben einer US-Denkfabrik die gesamte EU abzuhängen: bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI). Laut einer Studie der Information Technology and Innovation Foundation sind die USA bei KI unter anderem wegen ihrer Forschung und hoher Investitionen in Startups noch führend.
Doch Peking habe dem Bereich höchste Priorität gegeben und hole stark auf. Die EU hängt nach Angaben der Denkfabrik hinterher und muss unter anderem die Finanzierungsbedingungen für Technologiefirmen und Startups verbessern und steuerliche Anreize schaffen. Mit einem Rückstand bei KI-Technologien riskierten Staaten auch ihre "Wettbewerbsfähigkeit in Schlüsselindustrien", warnte Studienautor Daniel Castro.