Passanten in Shanghai

Eine Woche Lockerungen Shanghais Wirtschaft läuft mühsam an

Stand: 08.06.2022 13:05 Uhr

Zwei Monate war Chinas Finanzmetropole Shanghai im strikten Lockdown. Seit einer Woche gelten Lockerungen: Die Wirtschaft soll wieder anspringen. Doch wie sieht es in der Stadt wirklich aus?

Endlich wieder Jianbing verkaufen, die chinesischen Pfannkuchen - auf diesen Moment hat die Verkäuferin, deren Name zu ihrem Schutz ungenannt bleibt, im Lockdown zwei Monate lang hingefiebert. Doch eine Woche nach den Lockerungen ist sie ernüchtert. "Das Geschäft läuft schlecht", sagt sie. "Es gibt fast keine Kunden. Viele Leute, die in den Büros arbeiten und sich auf dem Weg oder in der Mittagspause etwas kaufen, sind noch nicht zurück."

Andere sind verhalten, trauen sich noch nicht direkt zurück in die Cafés oder ins Fitnessstudio, erzählen Geschäftsleute in Shanghai. Der zweimonatige Lockdown in Shanghai hat der Pfannkuchenverkäuferin alle Einnahmen genommen. Shanghai, die Großstadt, war ihre Hoffnung gewesen als sie herkam. Und daran will sie festhalten. Sie hat es aus der Landwirtschaft in die Stadt geschafft, in China ein Zeichen des Aufstiegs. Ihr Geschäft will sie auf keinen Fall verlieren: "Was sollen wir tun? Das Leben geht weiter. Es gibt für uns keine Alternative. Zurück aufs Land wollen wir nicht."

Wie sie hat es einige in Shanghai getroffen. Alle Geschäfte, gar Supermärkte, waren während des Lockdowns geschlossen. Viele Geschäftsleute sagen, drei oder vier Monate ohne Einnahmen wären das absolute Limit gewesen. Danach hätten wohl viele die Rollläden nicht mehr hochfahren können. Trotzdem ist fraglich, wie viele Geschäfte tatsächlich den strikten Lockdown in der größten und modernsten Stadt Chinas überlebt haben.

Arbeiterinnen überprüfen eine Produktionslinie im Lianyungang Economic and Technological Development Area in Lianyungang in der ostchinesischen Provinz Jiangsu.

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Weniger Industrieproduktion, weniger Konsum

"Viele Geschäfte werden schließen, weil sie die Miete oder Rechnungen nicht mehr bezahlen können", sagt ein Friseur aus Shanghai. Viele hätten ihre Mitarbeiter verloren. Niedriglöhner und jüngere Mitarbeiter seien enttäuscht nach dem Lockdown und verließen größere Städte.

Die Lockdowns in der Finanz- und Hafenmetropole Shanghai und in anderen chinesischen Städten haben die chinesische Wirtschaft stark belastet. Die Industrieproduktion ist gesunken, der Konsum ist zurückgegangen, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Wang Dan ist Chefökonomin der Hang Seng Bank in Shanghai und beobachtet die Entwicklungen der chinesischen Wirtschaft genau. Sie zeigt sich besonders besorgt darüber, dass Toptalente aus den Bereichen der IT- und der Finanzindustrie aus Shanghai abwandern.

Sie glaubt nicht, dass die derzeitigen Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung ausreichen werden, um das selbstgesetzte Ziel der Staats- und Parteiführung von 5,5 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zu halten. "Die meisten Maßnahmen zielen darauf ab, den Unternehmen Liquidität zu verschaffen und Steuern und Abgaben zu senken, um sie über diese äußerst schwierige Zeit hinweg zu bringen", sagt Wang Dan. "Aber die endgültige Lösung muss auf der Nachfrageseite liegen. Derzeit verfügen die Verbraucher in China und die Investoren jedoch nicht über das nötige finanzielle Polster, um die für das hohe Wachstum erforderlichen Ausgaben tätigen zu können."

Containerschiffe liegen im nächtlich beleuchteten Containerterminal des Hafens von Qingdao.

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Immer wieder Wohnblocks abgeriegelt

Auch deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, sind von den Lockdowns stark getroffen. Die meisten durften in dieser Zeit gar nicht produzieren. Auch jetzt, eine Woche nach den Lockerungen, könne von Normalität nicht die Rede sein, meint Jens Hildebrandt von der Deutschen Auslandshandelskammer in China: "In den Büros sind Mitarbeiter zu 50 Prozent teilweise anwesend und die Unternehmen agieren noch vorsichtig, weil sie die Befürchtung haben, dass es weitere Lockdowns geben könnte."

Tatsächlich gab es auch in den Tagen nach der Öffnung Shanghais wieder Abriegelungen von einzelnen Wohngebäuden und Wohnblocks, weil weitere Corona-Fälle entdeckt wurden oder es Verdachtsfälle gab. Nach Angaben der Deutschen Auslandshandelskammer arbeiten viele Unternehmen immer noch in einem geschlossenen Kreislauf. Das bedeutet, dass immer noch Mitarbeiter in den Fabriken arbeiten, essen und schlafen.

Schlafstelle für Arbeiter bei Rheinmetall China.

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Lieferketten könnten monatelang gestört bleiben

Das gilt auch für den größten Containerhafen der Welt in Shanghai. Jedoch wird dort der Deutschen Auslandshandelskammer zufolge wieder nahezu mit voller Kapazität gearbeitet. Das heißt: Schiffe können wieder wie vor dem Lockdown abgefertigt werden. Durch den Stau der Containerschiffe komme es aber immer noch zu einer Verzögerung von etwa einer Woche. Außerdem ist der Transport von Waren aus anderen Landesteilen zum Shanghaier Hafen hin immer noch kompliziert. "In der Regel dauert es Wochen bis Monate, um gestörte Lieferketten wieder in Funktion zu bringen, und ich denke, das ist auch die Aussicht, die die deutschen Unternehmen in Shanghai vor sich sehen", sagt Hildebrandt.

Was bleibt, ist die Unsicherheit - sowohl für internationale als auch für lokale Unternehmen. Viele befürchten, dass die Lockdowns immer wiederkehren. "Die lokalen Maßnahmen ändern sich derzeit gefühlt alle drei Tage. Wir sind immer in Alarmbereitschaft", sagt der Friseur aus Shanghai. "Niemand weiß, ob die Lockdowns zurückkommen. Ich glaube nicht, dass der komplette, stadtweite Lockdown zurückkommt. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Gebäude wieder abgeriegelt werden können."

Eva Lamby-Schmitt, Eva Lamby-Schmitt, ARD Shanghai, 08.06.2022 12:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 08. Juni 2022 um 13:38 Uhr.