
Krieg statt Baustelle Abwanderung verschärft Polens Fachkräftenot
Tausende ukrainische Arbeiter verlassen ihre Betriebe in Polen, um in den Krieg zu ziehen. Das bringt die Bauwirtschaft und das Transportgewerbe in echte Not. Geflüchtete Ukrainerinnen können nicht einfach einspringen.
Sie sind die Anheizer in den Brennkammern des polnischen Dauerbooms der vergangenen Jahrzehnte, der Polen vom Armenhaus zur europäischen Mittelklasse befördert hat: ukrainische Gastarbeiter wie Sergej Serochin. "Ich arbeite hier seit 29 Jahren. 1993 bin ich das erste Mal gekommen, solange geht das schon", erzählt er vor seiner vorerst letzten Warschauer Baustelle.
"Ich komme aus einer Stadt in der Nähe von Hrubieszow, zwölf Kilometer hinter der ukrainischen Grenze. Meine Frau und meine Schwestern sind geblieben." Nun aber fällt Sergej bis auf Weiteres aus: Er fährt in die Ukraine, um sein Land zu verteidigen. Viele Tausende, wohl Zehntausende, tun es ihm gleich, und noch mehr stehen auf dem Sprung.
"Keine zusätzliche Personalbasis"
Die polnische Bauwirtschaft, die schon zuvor unter Fachkräftemangel und den höheren Preisen für Baumaterialien litt, trifft das mitten im Konjunkturlauf wie ein Schlag. "Wir haben keine zusätzliche Personalbasis. Unsere Basis waren Arbeiter aus Belarus und aus der Ukraine", erklärt Jan Stylinski, Chef des polnischen Bauarbeitgeberverbands. "Man kann sogar sagen, dass die polnische Bauindustrie auf Arbeitern aus dem Osten fußt: Etwa 400.000 Arbeiter, knapp jeder dritte, kommt von dort."
Es gebe Fälle, wo die Arbeiter nur Bescheid gesagt hätten, dass sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Und das sei es dann gewesen. Es gebe aber auch positive Erscheinungen. So hätten Firmen ihren Arbeitern Urlaub gegeben oder den Lohn weiter auf das polnische Konto gezahlt, obwohl diese nicht mehr da seien. "Einige Firmen halfen sogar, die Familien der Angestellten nach Polen zu holen", erzählt Stylinski.
Arbeit gibt es offenbar genug
Auch im Transportgewerbe, wo ebenfalls viele Ukraine arbeiten, hat der russische Angriff alles verändert: Gewohnt mit den Lastern nach Westen zu fahren, fuhren viele mit Kriegsbeginn nach Osten, um Angehörige in Sicherheit zu bringen. "Bei uns gibt es eine Transportfirma, in der Ukrainer arbeiten. Diese Leute haben ihre Frauen geholt", sagt der Bürgermeister der schlesischen Kleinstadt Lesnica, Lukasz Jastrzebski. Sie würden nach Arbeit fragen und hofften darauf, dass sich etwas ergeben würde, da ihre Männer bereits hier gearbeitet hätten. Zudem wollten die Kinder in den Kindergarten.
Könnten die Frauen also teilweise die ukrainischen Männer ersetzen, die nun in den Krieg zogen und in den Firmen fehlen? Der Wille zu arbeiten ist groß, bestätigt Renata Nachtygal vom Sozialamt in Krapkowice, einer anderen schlesischen Kleinstadt. "Die Frauen sind mit einem Koffer oder einer kleinen Tasche gekommen, sie sind bescheiden, erschrocken und ängstlich. Sie bedanken sich für alles", sagt sie.
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schock erholt hätten, würden sie nach Arbeit fragen. Nachtygal rät ihnen dann erst einmal, auszuschlafen. Arbeit gebe es genug, sagt die Sozialamtschefin - etwa im Verkauf. Auch in ihrem Amt könne sie sofort drei oder vier Frauen gebrauchen.
Viele Betriebe müssen wohl schließen
Dabei gibt es aber durchaus Schwierigkeiten: Zwar ist die polnische Sprache mit der ukrainischen verwandt, aber eben doch anders. Die Wege zur Arbeitsgenehmigung dauern teils Monate. Vielfach ist die Frage nach der Kinderbetreuung ungeklärt. Da Ukrainer oft in klassischen Männerberufen arbeiteten, können ihre Frauen nur selten genau da einspringen, wo Lücken nun zu Abgründen werden.
Sozialamtschefin Nachtygal erzählt von einem Bekannten, der eine Transportfirma hat. Seine Männer seien alle weggefahren. Er hätte nun niemanden mehr zum Arbeiten. Auch am Bau würden viele Betriebe jetzt schließen müssten, heißt es in der Branche. Um die wenigen verbliebenen Bauarbeiter werde jetzt wohl auch mit deutlich höheren Lohnzusagen gebuhlt, sagt Branchenvertreter Stylinski. Da aber würden viele Betriebe nicht mehr mithalten können.