
Türkische Währung auf Rekordtief Wie Erdogan die Lira-Krise befeuert
Der türkische Präsident Erdogan will nicht mehr länger auf niedrigere Zinsen warten - und setzt seinem Zentralbankchef die Pistole auf die Brust. Damit spitzt sich die Krise der Landeswährung Lira weiter zu.
Recep Tayyip Erdogan verliert die Geduld. In einem Fernsehinterview mit dem Staatssender TRT Haber am Dienstag hat der türkische Präsident seine Forderung nach Zinssenkungen bekräftigt. Er habe mit Notenbankchef Sahap Kavcioglu gesprochen: "Wir müssen die Zinsen auf jeden Fall senken". Auf den Notenbanksitzungen im Juli oder August könne damit begonnen werden.
Esther Reichelt, Devisen-Expertin der Commerzbank, zeigt sich überrascht, "wie offen und deutlich Erdogan seinem Zentralbankchef die Pistole auf die Brust setzt". Offenbar glaube Erdogan tatsächlich, mit niedrigeren Zinsen die wirtschaftlichen Probleme der Türkei lösen zu können - "auch wenn er damit sehenden Auges in eine neue Lira-Krise läuft".
Neue Rekordtiefs zu Euro und Dollar
Tatsächlich verfehlen Erdogans deutliche Ansagen an den Devisenmärkten ihre Wirkung nicht: In der Nacht zum Mittwoch wurden für einen Dollar zeitweise bis zu 8,80 Lira gezahlt und damit so viel wie noch nie. Auch im Handel mit dem Euro rauschte die Lira auf ein Rekordtief.
Bereits in der Vorwoche hatte Erdogan an den Märkten für Aufruhr gesorgt, als er einen weiteren Vizegouverneur der türkischen Zentralbank per Erlass seines Amtes enthoben hatte. Damit hat Erdogan in den vergangenen zwölf Monaten vier der sieben Gouverneure der Zentralbank ausgetauscht, inklusive des Präsidenten.
Erdogan verspielt Vertrauen
Mit seinem autoritären Führungsstil und seiner Einmischung in die ureigenen Belange der Zentralbank hat Erdogan Experten zufolge die Glaubwürdigkeit der türkischen Geldpolitik ruiniert und das Vertrauen an den Finanzmärkten verspielt. Die immer neuen Tiefstände der türkischen Lira sind dafür der wohl offensichtlichste Beleg.
Seit der Entlassung des damaligen Notenbankpräsidenten Naci Agbal Ende März hat die türkische Devise rund 20 Prozent abgewertet. Agbal hatte in seiner kurzen Amtszeit seit vergangenem November versucht, die galoppierende Inflation mit Zinserhöhungen zu bekämpfen - sehr zum Missfallen Erdogans.
Billige Währung, hohe Inflation
Sein Nachfolger Kavcioglu, ein ehemaliger AKP-Abgeordneter, gilt dagegen als Befürworter niedriger Zinssätze. Er dürfte Erdogans Forderungen wohl kaum etwas entgegenzusetzen haben. Damit steigen auch die Risiken für die türkische Wirtschaft.
Unter Kavcioglu dürfte die Abwärtsspirale aus einer immer weiter abwertenden Währung und einer hohen Inflation weiter an Fahrt aufnehmen. Im April war die Inflationsrate auf über 17 Prozent gestiegen.
Eine fallende Lira erhöht die Inflation, da viele Waren und in Dollar notierende Rohstoffe für teures Geld aus dem Ausland importiert werden müssen, was wiederum die Kosten für die Unternehmen und die Lebenshaltungskosten vieler Türken steigen lässt.
Gefahr von Unternehmenspleiten
Hinzu kommt: Viele türkische Unternehmensanleihen und -kredite lauten auf Fremdwährungen wie Dollar oder Euro. Fällt die Lira, können die türkischen Schuldner ihre Gläubiger nicht mehr bedienen. Das birgt die Gefahr von Unternehmenspleiten und steigender Arbeitslosigkeit, was wiederum den inländischen Konsum schmälern würde.
Sollte aus der türkischen Devisenkrise tatsächlich eine Wirtschaftskrise werden, würde das die türkische Währung weiter unter Druck setzen - und die Abwärtsspirale begänne von Neuem.
Risiko steigende US-Zinsen
Die von Erdogan geschürten Zinssenkungsfantasien kommen für die Türkei zur Unzeit, spekulieren die Märkte aktuell doch auf steigende Zinsen in den USA. Wie einst 2013 könnte das Investoren dazu veranlassen, Gelder aus Schwellenländern abzuziehen, um sie in den Vereinigten Staaten anzulegen.
Das würde die Währungen der betroffenen Länder zusätzlich unter Druck setzen. Besonders anfällig für ein solches Szenario sind Experten zufolge Währungen von Ländern wie Südafrika, der Türkei und Brasilien, die nur über eine geringe Bonität, sprich Kreditwürdigkeit, verfügen.
Weitere Herabstufung droht
Ein möglicher Auslöser für die nächste Lira-Abwertung und die nächste Flucht der Investoren aus der Türkei zeichnet sich bereits ab: Am Freitag entscheidet die Ratingagentur Moody’s über die Kreditwürdigkeit der Türkei. Experten rechnen mit einer erneuten Herabstufung. Für die Türkei würde es dann noch teurer, sich an den Märkten Geld zu leihen.
Erst im September hatte Moody’s - nicht zuletzt unter Verweis auf die mangelnde Unabhängigkeit der türkischen Notenbank - die Kreditwürdigkeit des Landes auf "B2" gesenkt. Damit steht die Türkei aktuell bereits auf dem Niveau von Ländern wie Kirgisistan oder Kambodscha.