Recherchen zu Abgas-Manipulationen VW-Betrug hatte offenbar System

Stand: 08.10.2015 17:12 Uhr

Die Schummel-Software sei das Werk Einzelner - diesen Satz wiederholen Volkswagen-Chefs seit Beginn der Affäre. Doch Recherchen von NDR, WDR und SZ zeigen: Dahinter muss ein System stecken. Die Software gibt es offenbar in vielen Varianten, eigens angepasst an immer andere Testsysteme und Motorvarianten.

Von Thorsten Hapke, NDR

Die erste Software-Variante ist in den USA aufgefallen. Bei Fahrzeugen des Typs Passat mit dem 2,0-Liter-TDI-Motor sorgt sie dafür, dass im Testbetrieb die Stickoxid-Werte besonders niedrig sind. Dieser Motor ist mit einer hochaufwendigen Katalysator-Technik ausgestattet, der sogenannten Adblue-Technik. Dabei wird das Abgas in einem speziellen sogenannten SCR-Katalysator gereinigt, in den eine Harnstofflösung (Adblue) eingespritzt wird. Der Harnstoff zersetzt die Stickoxide in Stickstoff und Wasser. Die Software sorgt dafür, dass im Testbetrieb viel Adblue in den Katalysator gespritzt wird, damit die Stickoxid-Werte besonders niedrig sind.

Allerdings ist der Adblue-Tank im US-Passat nicht sonderlich groß. Volkswagen wollte vermeiden, dass die Kunden den Tank außerhalb der regulären Inspektionsintervalle in einer Werkstatt nachfüllen lassen müssen. Deshalb sorgte man dafür, dass im Straßenbetrieb weniger Adblue in den Katalysator gegeben wird, was natürlich zu höheren Stickoxid-Werten im Straßenbetrieb führt. Die erste Variante der Software, die im Zuge des Skandals bekannt wurde, erkannte also den US-Abgastest und regelte im VW-Motor die Adblue-Pumpe.

Extra-Manipulations-Software für verschiedene Modelle

Allerdings kam der Passat mit dem 2,0l-TDI-Motor mit Adblue-Technik erst 2011 auf den Markt. Eine andere Manipulationssoftware wurde aber schon vorher eingesetzt, in den ersten Dieselmotoren vom betroffenen Typ EA189, die in den USA auf den Markt kamen. Diese Motoren arbeiteten im Modell Jetta. Dieses ist ein eher preiswertes Fahrzeug, die aufwendige Adblue-Technik wurde darin nicht eingesetzt. Stattdessen wurden die Abgase mit einem preisgünstigeren Stickoxid-Speicherkatalysator gereinigt.

Auch für dieses Abgasreinigungskonzept gab es eine Manipulations-Software: Sie sorgte dafür, dass im Testbetrieb die Abgasrückführung verstärkt wurde. Wird das Abgas mehrfach verbrannt, sinkt die Menge an Stickoxiden. Die Grenzwerte können leichter eingehalten werden. Allerdings hat das Verfahren mit der verstärkten Abgasrückführung einen Nachteil: Der Rußanteil im Abgas steigt, das heißt der Rußfilter ist schneller mit Rußpartikeln gefüllt und muss früher gereinigt werden. Bei dieser Reinigung wird der Ruß im Filter verbrannt, indem Kraftstoff eingespritzt und gezündet wird.

Jeweilige Software-Einstellungen für Test und Straße

Die simple Folge: Bei der Russfilter-Regenerierung steigt der Kraftstoffverbrauch und damit auch der CO2-Ausstoß. Das ist beim Abgastest egal, im Straßenverkehr aber ein Nachteil, weil der Kunde den erhöhten Dieselverbrauch natürlich spürt und der wesentliche Vorteil dieses Motors gegenüber den Benzinmotoren, der geringe Verbrauch, schwindet. Die Manipulationssoftware sorgte also dafür, dass der Motor unterschied: Im Testbetrieb wurde er auf niedrigste Stickoxidwerte getrimmt unter Inkaufnahme höheren Verbrauchs. Im Straßenbetrieb lag der Fokus auf niedrigem Verbrauch unter Inkaufnahme höherer Stickoxid-Werte.

Damit hatten die Software-Ingenieure bereits zweimal programmieren müssen, für den Adblue-Katalysator und für den Stickoxid-Speicherkatalysator.

Spezielle Versionen für die Tests der jeweiligen Länder

Doch die Software gibt es noch in einer weiteren Variante. Sie erkennt nämlich auch noch unterschiedliche Abgastests. In den USA wird nämlich ein wesentlich strengerer Testzyklus angewandt als in Europa. Das Muster, in dem der Motor beim Test beschleunigt und abgebremst wird, in dem bestimmte Fahrsituationen simuliert werden, ist in den Tests verschieden. Dieses Muster muss aber in der Software hinterlegt sein, damit sie den Test spezifisch erkennt. Das heißt auch hier sind wieder Software-Anpassungen notwendig gewesen.

Das alles spricht dafür, dass das Vergehen bei Volkswagen kein einmaliger Vorstoß gegen Vorschriften war, der in irgendeiner Unterabteilung ausgeheckt wurde. Tatsächlich muss hinter dem Betrug ein System stecken mit mehrfacher Anpassung der Software, einerseits auf die unterschiedlichen Motorvarianten, andererseits auf die unterschiedlichen Testsysteme der verschiedenen Länder.