Weggeworfene Lebensmittel

Fehlende Gesetze Zu viele Lebensmittel landen im Müll

Stand: 02.02.2022 14:47 Uhr

Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich weggeworfen - Essen, das noch genießbar ist. Andere EU-Länder haben längst gehandelt und Gesetze gegen die Verschwendung erlassen. In Deutschland ist bislang wenig passiert.

Von Johannes Thürmer, BR

Hunderte Brötchen, mehrere Paletten Joghurt oder noch frische Tomaten: Der Blick in die Mülltonnen von Supermärkten ließ die Reporter des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus während ihrer Recherchen immer wieder erschrecken. Auch Lebensmittel, die noch genießbar sind, liegen in den Containern. Deutschlandweit seien es zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel, die jedes Jahr weggeworfen würden, sagt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. 18 Millionen Tonnen, sagt eine Studie der Umweltschutz-Organisation WWF. Doch warum landen so viele Lebensmittel in der Tonne?

Das Problem der Haftung

Aussortierte Waren einfach an die Kunden verschenken wäre besser - könnte man meinen. Doch viele Händler scheuen sich. Grund ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf vielen Artikeln. Bis zum Erreichen des MHD haftet der Hersteller für die Ware, danach der "Inverkehrbringer", also der Händler - und zwar auch dann, wenn er die Lebensmittel verschenkt. Und das Haftungsrisiko will kaum ein Supermarkt übernehmen. Christian Böttcher, Leiter für die Bereiche Politik und Kommunikation beim Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels, bekräftigt gegenüber Plusminus: "Es ist ja nicht so, dass wir Lebensmittelhändler gerne Lebensmittel, die wir nicht verkaufen können, wegschmeißen. Jedes nicht verkaufte Lebensmittel ist ein monetärer Verlust für den Händler."

Bei Obst und Gemüse gibt es dagegen kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Aber haben Apfel, Gurke und Co. eine kleine Macke, sind sie zwar noch genießbar, werden von den Kunden aber nicht mehr gekauft und deshalb weggeschmissen, so sagen Insider.

Wegwerfverbote und Steueranreize

In Frankreich wurde bereits im Jahr 2016 ein Gesetz erlassen, das das Wegwerfen von brauchbarem Essen verbietet. Mit großem Erfolg: Seitdem können die Tafeln und Armenküchen auf wesentlich mehr Lebensmittelspenden zurückgreifen als vor der Einführung des Gesetzes.

Nur wenige Monate später folgte Italien mit einem ähnlichen Gesetz. Dort gibt es zwar keine Verbote, dafür Steuererleichterungen. Und vor allem haften die Lebensmittelspender nicht dafür, dass Waren einwandfrei sind. Allein die Haftungsfreistellung hat viel bewegt: So stiegen die Lebensmittelspenden zum Beispiel beim Banco Alimentare, der römischen Tafel, innerhalb eines Jahres nach Gesetzeseinführung um 20 Prozent. Seit der Einführung 2016 haben sich die Spenden sogar mehr als verdoppelt. Auch Finnland folgte den Beispielen von Frankreich und Italien und brachte 2017 ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung auf den Weg, Tschechien folgte 2018.

Was plant die neue Bundesregierung?

Kommen entsprechende Gesetze auch in Deutschland? Die ehemalige Bundesregierung baute auf Freiwilligkeit und hatte sich vorgenommen, die Menge der weggeworfenen Lebensmittel bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, fordert angesichts dessen gegenüber Plusminus: "Das halten wir für ein gutes Vorgehen. Aber das darf auch jetzt nicht nur im Reden oder in Appellen steckenbleiben. Das muss konkret werden. Und da sind viele Baustellen offen."

Doch wie geht es nach dem Wechsel der Bundesregierung weiter? Im Koalitionsvertrag ist das Ziel, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, ausdrücklich festgeschrieben. Aber gibt es schon erste Schritte zur Umsetzung? Auf Nachfrage von Plusminus beim Bundesjustizministerium heißt es dazu lediglich: "Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung zu der Frage, ob hinsichtlich der unentgeltlichen Weitergabe von Lebensmitteln mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, ist noch nicht abgeschlossen."

Klar ist aber: Solange sich die Gesetzeslage nicht ändert, werden auch weiterhin Lebensmittel massenhaft im Müll landen.

Über das Thema berichtet das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung Plusminus am 02. Februar 2022 um 21:45 Uhr.