Chipkarte für Privatversicherung

Karlsruher Urteil Hohe Rückzahlungen für Privatversicherte?

Stand: 17.12.2020 18:46 Uhr

Nach einem BGH-Urteil hoffen viele Privatversicherte auf Rückerstattungen. Verbraucherschützer warnen aber vor dubiosen Firmen und Anwaltskanzleien, die ihre "Hilfe anbieten".

Von Angela Göpfert, tagesschau.de

Die teils drastischen Beitragserhöhungen der privaten Krankenversicherer sind für viele Versicherte ein Dauerärgernis. Regelmäßig sehen sich die 8,7 Millionen Kunden der Privaten Krankenversicherungen (PKV) mit Erhöhungen konfrontiert, die in Einzelfällen über 100 Euro pro Monat betragen können. Einige setzen sich dann juristisch zur Wehr.

Am Mittwoch hat der Bundesgerichtshof (BHG) Beitragserhöhungen der Axa Krankenversicherung für teilweise unwirksam erklärt (Az.: IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19). Bei unzureichender Begründung einer Beitragserhöhung haben Privatversicherte prinzipiell Anspruch auf Rückzahlungen, entschieden die BGH-Juristen.

Der Berliner Klägeranwalt Knut Pilz spricht von einem Grundsatzurteil und erwartet demnächst weitere Klagen, mit denen Privatversicherte Prämien zurückfordern werden.

Bund der Versicherten: "Nullsummenspiel"

Dagegen sieht der Bund der Versicherten (BdV) das Urteil deutlich skeptischer, da die Karlsruher Juristen die Beitragsanpassung als solche nicht in Frage gestellt hätten. Zwar könnten Versicherte die Erhöhungsbeträge zunächst zurückfordern, wenn die Gründe für die Erhöhung unvollständig mitgeteilt wurden.

Im Gegenzug würden dann aber die zukünftigen Beiträge besonders stark steigen. "Für die meisten Versicherten läuft es bestenfalls auf ein Nullsummenspiel heraus", kommentiert Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV, in einer Mitteilung.

Stärkerer Anstieg künftiger Beiträge?

"Es mag sein, dass sich die privaten Versicherer auf längere Sicht die Erhöhungen doch wiederholen können", betont Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz, gegenüber tagesschau.de.

Das werde aber "nicht einfach so" mit dem nächsten Erhöhungsschreiben passieren. Schließlich müssten sich die Gesellschaften an die gesetzlichen und nun auch richterlichen Vorgaben der Beitragserhöhung halten.

"Da wäre ich extrem misstrauisch!"

Die Frage, ob es sich für Privatversicherte nun lohnt, gegen frühere Beitragserhöhungen zu klagen, lässt sich aus Expertensicht nicht pauschal beantworten. In jedem Falle sollten Verbraucher aber hier nichts überstürzen und zunächst versuchen, auf außergerichtlichem Weg die Erhöhungen rückgängig zu machen, betont Wortberg gegenüber tagesschau.de.

Der Mainzer Versicherungsexperte warnt zudem vor vermeintlichen "Helfern", die nun schon bald im Internet und den sozialen Medien auftauchen oder Verbraucher sogar direkt kontaktieren und damit werben dürften, hohe Rückzahlungen zu erstreiten. "Da wäre ich extrem misstrauisch!"

Wortberg gibt dazu ein eingängiges Beispiel: "Es kauft sich ja auch niemand einen neuen Fernseher oder ein neues Auto, nur weil ihn der Verkäufer ungefragt anruft." Im schlechtesten Falle könne es passieren, dass man Hunderte von Euro oder mehr ohne Gegenwert zum Fenster hinauswerfe.

Beitragserhöhung "auf einen Schlag"

Doch wieso steigen eigentlich die PKV-Beiträge oft so drastisch? Immer wenn die Kosten im Gesundheitssystem deutlich anziehen - Branchenkenner sprechen hier auch von einer "medizinischen Inflation" - und dabei einen bestimmten Schwellenwert übersteigen, steigen auch die Beiträge der PKV.

Dabei würden die gestiegenen Kosten des medizinischen Fortschritts den Versicherten quasi "nachträglich 'auf einen Schlag' in Rechnung gestellt", heißt es auf der Homepage des PKV-Verbands.

Versicherer in der Zinsfalle?

Die PKV-Beiträge steigen aber auch bei Änderungen des Rechnungszinses. Dabei handelt es sich um eine recht abstrakte Größe, der Grundgedanke dahinter ist aber simpel. So legen private Krankenversicherungen einen großen Teil der Beitragseinnahmen der Versicherten am Kapitalmarkt an. Die Rendite, die sie damit erwirtschaften, wird als Rechnungszins bezeichnet. Jahrzehntelang lag der Rechnungszins bei 3,5 Prozent.

Die anhaltende Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank stellt aber auch die PKV vor Herausforderungen, fallen dadurch doch die Erträge bei neuen festverzinslichen Geldanlagen deutlich geringer aus. In der Folge wurde der Rechnungszins bei sämtlichen PKV-Unternehmen abgesenkt, weitere Reduzierungen drohen.

Der Rechnungszins als unbekannte Größe

Sinkt aber der Rechnungszins, erhöhen sich unmittelbar die Beiträge. Der BdV sieht in Änderungen des Rechnungszinses sogar den Haupttreiber der Beitragssteigerung.

Die privaten Krankenversicherer dürfen jedoch laut BdV auch nach dem gestrigen BGH-Urteil Änderungen des Rechnungszinses verschweigen. Beitragserhöhungen bleiben damit auch künftig - ganz legal - für viele Privatversicherte eine "Black Box".