
Sanierung im Ahrtal stockt Auch der zweite Winter wird kalt
Vor einem Jahr hatten viele Menschen im Ahrtal Angst vor dem Winter. Die Flut viele Heizungen zerstört; Handwerker kamen mit Reparaturen kaum hinterher. Ein Jahr später gibt es zwar Fortschritte, aber warm haben es längst nicht alle.
Während zurzeit bei vielen Menschen erstmals die Angst umgeht, aufgrund der Energiekrise im Winter in kalten Wohnungen zu sitzen, droht den Menschen im Ahrtal schon zum zweiten Mal in Folge ein kalter Winter: Die Flut im Sommer 2021 zerstörte mehrere Tausend Heizungsanlagen. Auch mehr als ein Jahr nach der Katastrophe gibt es Menschen im Ahrtal, die nur in ihrem oberen Stockwerk leben, während der untere Bereich ihres Hauses und damit auch meist die alte Heizungsanlage nach wie vor zerstört ist. Stromfressende Heizlüfter und Radiatoren: im Dauereinsatz.
"Es ist immer noch ein Problem, weil Gelder fehlen und Handwerksfirmen ausgebucht sind", sagt Iris Münn-Buschow aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Im Frühjahr und Sommer organisierte sie Demonstrationen von Flutbetroffenen wegen schleppender Hilfen beim Wiederaufbau. Einer ihrer Beweggründe damals war auch die Angst vor einem zweiten kalten Winter. Seit diesen Demonstrationen, zunächst im Landkreis und später auch in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz, werden ihr immer wieder Geschichten aus dem Tal zugetragen. "Viele sind mürbe geworden und überlegen zu verkaufen."
Viele Häuser seien noch nicht wieder bewohnbar, oftmals entkernt und damit auch ohne Heizungsanlage, sagt Münn-Buschow und ist sich sicher: "Die Menschen von außerhalb des Flutgebiets, im Rest von Deutschland, haben gar keine Vorstellung, wie es hier immer noch aussieht. Wenn ich morgens am Fenster stehe, freue ich mich über jeden Lkw, der Baumaterial bringt. Es sind viele. Und trotzdem ist es immer noch viel zu wenig." Dann erzählt sie von einer älteren Frau in der Nachbarschaft: "Sie hat nur einen beheizbaren Raum. Sie hat sich ihren Lebensabend sicher anders vorgestellt."

Freude über jeden Lkw und jeden Handwerker: Der Aufbau im Ahrtal geht langsam voran.
"Wärmflaschen sind rar geworden"
Jene Frau ist Ilse Schulzki. Zum Glück gehört ihrer Familie in der Nähe ihres bei der Flut schwer beschädigten Fachwerkhauses noch eine kleine Wohnung. Und zum Glück hat sich deren bisherige Mieterin bei den Aufräumarbeiten nach der Flut in einen Helfer verliebt, ist zu ihm gezogen und hat den Mietvertrag gekündigt. So können Schulzki und ihre Tochter Claudia gemeinsam diese Wohnung nutzen.
Einen Raum können sie beheizen, mit Hilfe eines Radiators. "Und mit Hilfe einer Wärmflasche. Ich habe noch eine letzte ergattern können. Ja, die sind hier tatsächlich rar geworden", sagt Claudia Schulzki. Sie schmunzelt dabei, obwohl ihr die derzeitige Situation oft zusetze: "Wir fragen uns oft, wie es weitergeht. Oft hat man hier einen schlechten Tag. Wenn wir dann aber die Straße runter gehen und die anderen Häuser sehen, denken wir, es geht anderen schlechter als uns."
Es fehlt an Technik
Ihr eigentliches Wohnhaus wurde entkernt, nachdem der sonst kleine Fluss Ahr das Erdgeschoss überschwemmt hatte. Auch hier: die Heizungsanlage zerstört. Die Gaszuleitung des Versorgers ist zwar wieder intakt. "Die Anschlüsse sind da. Aber eine Therme könnte nirgends aufgehängt werden, weil die Wände noch nicht fertig sind", sagt Claudia Schulzki.
Doch auch die Therme selbst lasse auf sich warten: Vor Monaten bestellt, ist das Gerät immer noch nicht eingetroffen - aus allgemeinem Materialmangel? Wegen der Lücken in der Lieferkette? Schulzki weiß es nicht und viele im Ahrtal sehen sich in derselben Lage: So konnte zwar in einzelnen Ortschaften des Ahrtals das Versorgungsnetz bis zum einzelnen Haus in beeindruckend kurzer Zeit wiederhergestellt werden.
Doch auf der anderen Seite der Hausmauer fehlt nicht selten die Technik, Energie in Wärme zu verwandeln. Gasthermen oder Wärmepumpen: Mangelware. Was die Menschen außerhalb des Ahrtals umtreibt - Lieferengpässe durch Materialmangel - es schlägt in den Flutgebieten noch stärker durch.
Multiple Krise für das Handwerk
Dieser Tage kamen in Mainz rheinland-pfälzische Bauwirtschaft, Landesregierung und Wissenschaft zum zweiten Runden Tisch "Wiederaufbau im Ahrtal" zusammen. Dabei sprach Kurt Krautscheid, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der rheinland-pfälzischen Handwerkskammern, von einer "kompliziert bis schwierigen" Lage: "Materialengpässe und gestörte Lieferketten, rasant steigende Preise beim Einkauf, Fachkräftemangel und Inflation treffen auf steigende Energiekosten." Das sei eine multiple Krise, in der das Handwerk leider auch weitere, neue Schwierigkeiten erwartet.
Jene Schwierigkeiten machen auch vor den Ortschaften nicht halt, die sich nach der Flutkatastrophe für einen Neuanfang weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien entschieden haben. Mehrere Dorfgemeinschaften - bisher ohne Fernwärmenetz, nur mit einzelnen Heizungsanlagen in jedem Haus - haben sich für Nahwärmenetze entschieden: Heizkraftwerke gewinnen etwa aus Holzpellets oder Erdwärme Energie. Diese Energie wird in Form von Warmwasser über das Leitungsnetz in mehrere Wohnhäuser verteilt.
Doch noch ist nur eine von 14 Nahwärmenetzen kurz vor Inbetriebnahme. "Bis die Anlagen in Betrieb gehen, müssen wir alternative Lösungen anbieten", sagt Paul Ngahan. Er berät Kommunen im Auftrag des Landes Rheinland-Pfalz in nachhaltiger Energieversorgung und analysierte seit kurz nach der Katastrophe die Wärme- und Energie-Bedürfnisse der Menschen im Ahrtal.
50 Notheizungen in Form von mobilen Brennwertölkesseln werden dieses Jahr neu gebaut, um die Zeit bis zum fertigen Nahwärmenetz zu überbrücken. Und auch bei diesen Bauprojekten drohen Materialmangel und Lieferengpässe. Trotzdem ist Ngahan zuversichtlich: "Keiner hätte vor einem Jahr davon geträumt, eine Heizzentrale nach einem Jahr einweihen zu können."
Heizung als Ort der Begegnung
Münn-Buschow lebt mit ihrem Mann übrigens in einem Jahrhunderte alten Haus. Die Ahr überflutete nicht nur Wohn- und Esszimmer, sondern auch die Heizungsanlage. "Die Ölheizung wurde mit Hilfe der Heizungsbauer aus Leidenschaft kostenlos repariert. Gleichzeitig heizen wir mit einem Feststoffbrenner, um Heizölkosten niedrig zu halten." Vielleicht wollen sie andere an ihrem Glück einer funktionierenden Heizung teilhaben lassen: "Wir haben ein großes Erdgeschoss und überlegen, ob wir an den kältesten Tagen nicht hier mit anderen Menschen zusammensitzen sollen."