Kameras und Kameraleute stehen vor dem Podium einer Hauptversammlung.

Virtuelle Hauptversammlungen Mit Aktionären in der Videokonferenz

Stand: 13.05.2022 08:23 Uhr

Börsennotierten Firmen soll es dauerhaft erlaubt sein, Hauptversammlungen virtuell abzuhalten. Unternehmensverbände kritisieren die Regierungspläne ebenso wie Aktionärsschützer - aus unterschiedlichen Gründen.

Von Von Johannes Jolmes, NDR

Was sich in der Pandemie bewährt, soll nun dauerhaft ermöglicht werden: die virtuelle Hauptversammlung. Börsennotierte Unternehmen müssen einmal jährlich ihren Aktionären Rede und Antwort stehen und Rechenschaft ablegen. Wichtige Entscheidungen für das Unternehmen werden ebenfalls auf der Hauptversammlung getroffen. Weil während der Pandemie Präsenzveranstaltungen aus Gründen des Infektionsschutzes mitunter unmöglich waren, erlaubte die Bundesregierung virtuelle Hauptversammlungen.

Dieses Instrument soll nun nach dem Willen der Bundesregierung dauerhaft ermöglicht werden - so sieht es ein Regierungsentwurf, der gestern zum ersten Mal im Bundestag diskutiert wurde. Er freue sich, so Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP, dass aus einem "coronabedingten Provisorium eine dauerhafte Lösung" werde.

Streitpunkt Fragerecht

Laut dem Entwurf kann eine Hauptversammlung beschließen, sich nur noch digital zu treffen. Abstimmungen, Anträge und Fragen sollen auch weiterhin im Digitalen möglich sein. Ein erster Entwurf hatte vor allem diesem Fragerecht noch viel stärkere Beschränkungen auferlegt. Die Bundesregierung korrigierte in diesem Punkt aber ihre Position und fasste das Fragerecht nun wieder weiter - auch auf Druck von Aktionärsschützern. Zwar können Fragen weiter vor der Versammlung eingereicht und auch schriftlich beantwortet werden, aber auf der eigentlichen Tagung können weiter zusätzliche Fragen und Anträge gestellt werden.

Dieser Punkt geht vielen Unternehmensverbände viel zu weit. In einem dem NDR vorliegenden Verbändebrief, unter anderem unterzeichnet vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Verband der Chemischen Industrie und dem Deutschen Aktieninstitut, heißt es, der Entwurf gehe an der "Praxis vorbei".

BDI sieht Klagerisiken

Mit dem Entwurf der Regierung gehen die Verbände hart ins Gericht: Eigentlich sei der Gesetzesentwurf nur eine "unreflektierte Übertragung" der bereits bekannten Präsenzveranstaltung in die virtuelle Welt. Die Verbände hätten gerne gehabt, dass das Fragerecht der Aktionäre auf der Versammlung nur noch eingeschränkt ausgeübt werden kann. Ähnliches soll auch für Anträge gelten. Nur unter bestimmten Voraussetzungen könnten dann noch während der Versammlung Anträge eingereicht werden.

Die Verbände erhoffen sich dadurch eine "Straffung" der Hauptversammlung. "Der Gesetzgeber muss sich von der Idee lösen, dass eine virtuelle Hauptversammlung nichts anderes ist als eine große Teams-Konferenz," so, Christine Bortenlänger vom Deutschen Aktieninstitut. Sollte der Entwurf so Gesetz werden befürchtet der BDI einen "Rohrkrepierer" und sieht Klagerisiken durch möglicherweise unvollständig beantwortete Fragen auf die Unternehmen zukommen.

Weniger kritische Fragen?

Aber warum sollen gut bezahlte Manager mit einem üppig ausgestatteten Mitarbeiterstab nicht spontan auf Kritik ihrer Eigentümer antworten können? Muss nicht jeder Vereinsvorstand auch Rede und Antwort für sein Tun stehen? Und führt so eine "Straffung" am Ende nicht dazu, dass der Vorstand bereits im Vorfeld kritische Fragen "abräumt"?

Spricht man mit Aktionärsschützern wie Markus Kienle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), dann solle die Regierung lieber die Präsenzversammlung um virtuelle Elemente erweitern. So sei etwa die Verlagerung von Fragen in das Vorfeld der Tagung ein richtiger Schritt, aber es müsse die weiterhin Möglichkeit zum ausführlichen Nachhaken auf der Versammlung geben. Nur so könne ein lebendiger Austausch stattfinden, und nur so könne auch ein Aktionär die Reaktion des Vorstandes auf Fragen beobachten. "Sie würden doch auch gerne von einem Vertragspartner wissen, wie jemand in kritischen Situationen reagiert", so Kienle.

Bessere Debattenkultur nötig

Große Hauptversammlungen zeichnen sich meist dadurch aus, dass viele Menschen zusammenkommen und zum Beispiel im Foyer oder in Pausen diskutieren. Solche Elemente fehlen laut Aktionärsschützer Kienle bei einer virtuellen Versammlung komplett - zum Schaden der Debattenkultur. Auch von Unternehmensverbänden hört man immer häufiger, dass die Debattenkultur aktuell nicht vorhanden sei und unbedingt verbessert werden müsse.

Einig sind sich Unternehmensverbände und Aktionärsschützer darin, dass stundenlange Hauptversammlungen wenig produktiv sind. Oft werden immer wieder ähnlich lautende Fragen gestellt - bisweilen nutzen Aktionäre ihre Fragerecht fast schon missbräuchlich aus.

Keine Rolle spielt in der Diskussion übrigens, dass virtuelle Versammlungen kostengünstiger sind. "Wenn ein Unternehmen nicht mehr die Kosten für die Hauptversammlung tragen kann, dann hat es ganz andere Probleme als die Dividende", so Aktionärsschützer Kienle.