
Viele Gründe für die Massenentlassungen US-Tech-Branche im Umbruch
Der Stellenabbau grassiert bei den US-Tech-Giganten. Ob Amazon oder Facebook: Tausende Mitarbeiter werden schlagartig entlassen. Die Entwicklung hat unterschiedliche Ursachen und sorgt für große Herausforderungen.
Nach Twitter und der Facebook-Mutter Meta nun auch Amazon: Heute machte die Meldung die Runde, dass der weltgrößte Online-Versandhändler Amazon seinen bislang größten Stellenabbau plant. Bei den einst so schnell wachsenden Technologiegiganten herrscht Krisenstimmung.
Amazon wolle noch diese Woche mit der Streichung von rund 10.000 Stellen beginnen, schrieb die "New York Times". Die Zeitung beruft sich auf Insider. Vor wenigen Tagen hatte Meta einen Jobabbau in ähnlicher Größenordnung angekündigt. Und nach der Übernahme des Kurzmitteilungsdienstes Twitter durch Tesla-Chef Elon Musk hatte dieser gar die Hälfte der Belegschaft gefeuert. Selbst eine Pleite sei nicht ausgeschlossen, so Musk zur Bestürzung der verbliebenen Angestellten und des Finanzmarktes.
Bündel an Gründen für die Entlassungswellen
Die Entlassungswelle bei den US-Giganten aus dem Technologiesektor hat viele Ursachen, dazu gehören ökonomische Entwicklungen ebenso wie Veränderungen in verschiedenen Bereichen des Tech-Sektors. Auch mögliche Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen in einzelnen Unternehmen sorgen nun für einen harten Aufschlag in der nicht mehr ganz so rosigen Gegenwart mit weniger günstigen Aussichten für die kommenden Jahre.
"Einige der Firmen aus dem Tech-Sektor nutzen derzeit sicher auch den Moment für einen Jobabbau, obwohl man ihn genauso gut schon vor einem halben Jahr hätte starten können", meint Digitalexpertin Sunnie Groeneveld von der Beratungsfirma Inspire 925. Sie sieht die Phase der Entlassungen vor allem als Reaktion auf das Ende des "Corona-Booms", der vielen der Konzerne aus dem Tech-Sektor eine Art Sonderkonjunktur beschert hatte.
Auslese beim Personal
Meta-Chef Mark Zuckerberg hatte bereits im Sommer auf einer virtuellen Mitarbeiterversammlung gesagt, dass nicht alle Mitarbeiter den hohen Unternehmensstandards genügten. Sundar Pinchai, Chef von Google und der Konzernmutter Alphabet, hatte im August eine Initiative gestartet, die bei den Mitarbeitern zu mehr Effizienz und Produktivität führen soll.
Viele der Firmenlenker reagieren freilich auch auf die drohende Rezession, die nicht nur die USA, sondern wie Weltwirtschaft global erfassen dürfte. Allein die Aussicht auf sinkende Umsätze und Gewinne lässt die US-Manager handeln. Anders als etwa in Europa vollzieht sich der Stellenabbau bei den US-Techs dabei oft deutlich radikaler.
"Die Wirtschaftslage ist angespannt. Das Management neigt dazu, die Restrukturierung in Zeiten anzugehen, in denen es den Unternehmen noch halbwegs gut geht", so Wolfgang Jenewein, Professor für Human Resource Management an der Universität St. Gallen. "Wenn die markoökonomischen Zahlen so eintreffen, wie sie im Moment prognostiziert werden, wollen sie das Unternehmen fit machen und dementsprechend ausrichten für die Zukunft."
Umsätze und Gewinne schrumpfen ungewohnt
Dass die Nachfrage nach ihren Diensten und Produkten nachlässt, können die Tech-Konzerne an den eigenen Bilanzen der vergangenen Quartale ablesen. Facebook etwa hat im abgelaufenen Quartal den ersten Umsatzrückgang seit dem Börsengang 2012 hinnehmen müssen. Der Gewinn halbierte sich zwischen Juli und September auf 4,4 Milliarden Dollar.
Auch Amazon musste im dritten Quartal ein Gewinnminus hinnehmen. Und obwohl die Erlöse bei dem Internet-Konzern noch wuchsen, lagen sie unter den Erwartungen und wurden vor allem noch von der Sparte AWS angetrieben, die riesige Rechenzentren in der "Cloud" betreibt.
Der Nachfragerückgang auf Kunden- und Nutzerseite trifft die großen Tech-Firmen je nach Geschäftsmodell unterschiedlich, meint Mic Hirschbrich, CEO des Softwareunternehmens Apollo.ai. "Während Alphabet und Meta stark von Werbebudgets und Nutzerabonnements abhängig sind, gelten Apple und Microsoft als Hard- beziehungsweise Standard-Software-Anbieter als prinzipiell robuster in einer Werbeflaute". Microsoft etwa leidet derzeit allerdings unter einem deutlichen Einbruch am PC-Markt, der zuletzt in den USA und Europa um mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr schrumpfte.
Zinsumfeld erschwert weitere Expansion
Die Verwerfungen an den Finanzmärkten treffen die erfolgsverwöhnten und expansionshungrigen Tech-Gorillas ebenfalls. Die gesunkenen Aktienkurse von Meta, Microsoft, Apple und Co. gehen mit einem sinkenden Interesse von Investoren einher. Übernahmen von Konkurrenten oder interessanten Start-up-Firmen, die oft in eigenen Aktien bezahlt werden, sind entsprechend schwieriger beziehungsweise teurer geworden.
Auch das gestiegene Zinsniveau sorgt dafür, dass Kapital etwa für die weitere Expansion am Markt nur zu höheren Zinskosten beschafft werden kann, ein weiteres Wachstumshemmnis gerade für die Tech-Branche.
Visionen und Turnaround-Chancen
Fragwürdige Managemententscheidungen bei einigen der Technologieriesen haben das Zeug dazu, einen weiteren Personalabbau zu befeuern. Die Zukunftsvision des "Metaverse" bei der Facebook-Mutter Meta könnte als milliardenschwerer Flop in die Tech-Geschichte eingehen. Die Einführung der kostenpflichtigen Verifizierung bei Twitter durch den neuen Besitzer Elon Musk etwa hat bei einigen Werbekunden zu Unsicherheit und einer Kürzung der Budgets bei dem Kurznachrichtendienst geführt. Experte Hirschbrich sieht bei Twitter aber die Chance auf einen kompletten Turnaround unter der Führung von Musk: "Ich denke, dass Musk in der Lage ist, Twitter zu einer echten Konkurrenz für Medienunternehmen aufzubauen und darüber hinaus auch Dienste wie etwa eine Bezahlfunktion über die Plattform einzuführen."
Nicht zuletzt setzt vielen der US-Technologiegiganten die Konkurrenz aus der eigenen Branche zu. Das gilt etwa für Facebook, dessen Plattform für viele jüngere Nutzer weniger attraktiv erscheint als etwa die des chinesischen Konkurrenten TikTok. "Die Tech-Branche erfindet und kannibalisiert sich auch immer wieder selbst", meint Beraterin Groeneveld, "gut möglich, dass in einigen Monaten viele der jetzt entlassenen Beschäftigten bald an neuen spannenden Anwendungen in anderen Unternehmen arbeiten."