Stromleitung

Kritische Infrastruktur "Stromautobahn" vor Teilprivatisierung

Stand: 10.11.2022 08:08 Uhr

Das grün regierte Baden-Württemberg will ein Höchstspannungsnetz teilprivatisieren - obwohl das dem grünen Bundeswahlprogramm widerspricht. Längerfristig droht dem Landeshaushalt ein Schaden, wie Kontraste-Recherchen zeigen.

Von Ursel Sieber, rbb

In Baden-Württemberg plant der grüne Finanzminister Danyal Bayaz, ausgerechnet ein Herzstück kritischer Infrastruktur zu 49,9 Prozent zu privatisieren: das über 3000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz von TransnetBW. Es ist eines von insgesamt vier Übertragungsnetzen in Deutschland. Mit diesen "Stromautobahnen" soll zum Beispiel Windstrom aus dem Norden Deutschlands in den Süden transportiert werden.

"Merkwürdige" Eigentümerstrukturen

Der Teilverkauf steht dabei im Widerspruch zum grünen Bundestagswahlprogramm. Darin heißt es: "Da Stromübertragungsnetze natürliche Monopole und kritische Infrastruktur darstellen, wollen wir den öffentlichen Einfluss darauf stärken." Und: "Wenn möglich" wolle die Partei den staatlichen Anteil an den vier Übertragungsnetzbetreibern "erhöhen". Die Netze sollten sogar in eine Bundesnetzgesellschaft in Bundeshand überführt werden. Das grüne Vorgehen in Baden-Württemberg geht also in die gegenteilige Richtung.

Die Stromübertragungsnetze sind für Deutschland von zentraler Bedeutung. Dennoch haben die vier Übertragungsnetze schon heute eine Eigentümerstruktur, die Beobachter als merkwürdig einschätzen - eines davon gehört etwa dem holländischen Staat, ein weiteres überwiegend einem öffentlichen belgischen Energieunternehmen. Das einzige Übertragungsnetz, das sich aktuell komplett im öffentlichen deutschen Eigentum befindet, ist das Netz der TransnetBW, und ausgerechnet das steht jetzt teilweise zum Verkauf. TransnetBW ist eine Tochterfirma des Stromkonzerns EnBW, der wiederum dem Land Baden-Württemberg und seinen Kommunen gehört.

Geschäft soll frisches Kapital für EnBW-Konzern bringen

Der EnBW-Konzern will zwei Anteile von je 24,95 Prozent von TransnetBW verkaufen, also insgesamt 49,9 Prozent. Das Bieterverfahren läuft bereits. Interesse sollen laut Berichten von "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Handelsblatt" Investoren wie BlackRock, die Allianz, aber auch Sparkassenverbände und weitere Fonds bekundet haben. Die staatliche KfW-Bank bietet zwar nicht mit, aber ihr wurde ein Vorkaufsrecht für 24,95 Prozent eingeräumt. 

Mit dem Teilverkauf der Tochterfirma Transnet will die EnBW frisches Kapital für weitere Investitionen in die Energiewende ins Haus holen. Im Gespräch sind Erlöse jenseits einer Milliarde Euro. Die Beteiligung an einem solchen Übertragungsnetz in Deutschland ist für private Anleger lukrativ, weil es sich um eine absolut risikolose Investition handelt, die zudem mit einer garantierten Rendite einhergeht.

"Keine gute Idee"

Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält die geplante Teilprivatisierung von TransnetBW für falsch: "Gerade in Krisen- und Kriegszeiten ist es keine gute Idee, kritische Infrastruktur nicht mehr komplett in staatlicher Hand zu haben", sagt sie. Zumal Geld nicht das Problem sei: Der Staat könne durch Bürgschaften, Eigenkapitalerhöhung oder Anteilsübernahme die Investitionen für den Netzausbau aufbringen und dafür entsprechende Kredite aufnehmen.

Scheut der grüne Minister Bayaz die politische Auseinandersetzung über eine Neuverschuldung, da "Schuldenmachen" im Schwabenland ziemlich verpönt ist? Dabei ließe sich die Kreditaufnahme für den Anteil an TransnetBW mit der Schuldenbremse, die auch in Baden-Württemberg gilt, problemlos vereinbaren, sagt der Frankfurter Verfassungsrechtler Georg Hermes auf Anfrage des ARD-Politikmagazins Kontraste. Denn der Erwerb von Anteilen wie bei TransnetBW gelte als "finanzielle Transaktion", die mit einer entsprechenden Vergrößerung des staatlichen Vermögens einhergehe. In dem Fall dürfte der grüne Minister trotz Schuldenbremse den nötigen Kredit aufnehmen.

Auch das Land könnte die Anteile übernehmen

Eine derartige Kapitalbereitstellung durch das Land anstelle einer Teilprivatisierung empfiehlt auch der Infrastrukturexperte Thorsten Beckers. Er leitet den Lehrstuhl für Infrastrukturwirtschaft an der Bauhaus-Universität in Weimar. Das Land-Baden-Württemberg könnte die zum Verkauf stehenden 49,9 Prozent von TransnetzBW selbst übernehmen und so statt der privaten Investoren als Anteilseigner einsteigen, so Beckers. Die Erlöse, die mit dem Übertragungsnetz erwirtschaftet werden, würden die jährlichen Finanzierungskosten eindeutig übersteigen und dann Jahr für Jahr dazu führen, dass Gewinne in den Haushalt von Baden-Württemberg fließen - und nicht in die Taschen privater Investoren.

Beckers erläutert das an einem Beispiel: "Wenn das Land Baden-Württemberg anstelle privater Investoren einen Kaufpreis von 1,5 Milliarden Euro zahlen würde und man den staatlichen Finanzierungsvorteil auf 1,5 Prozent schätzt, dann würden jedes Jahr 22,5 Millionen Euro in den Landeshaushalt fließen". Mit diesen Millionen könne man einige Schulen sanieren und Kindergärten bauen, sagt Beckers. "Flapsig formuliert stellt sich die Frage: Will oder kann der grüne Finanzminister Bayaz nicht rechnen?"

Das grüne Finanzministerium sieht kein Problem

Warum das Land bei TransnetBW dennoch nicht als Anteilseigner einsteigen will, beantwortete das Finanzministerium auf Kontraste-Anfrage nicht. Auch nicht die Frage, wie das Vorhaben mit dem grünen Bundeswahlprogramm zu vereinbaren ist. Vom Ministerium heißt es lediglich, für den Ausbau der Erneuerbaren Energien benötige man privates Kapital. Und: "Der Staat alleine wird diese und weitere notwendigen Investitionen nicht stemmen können". 

EnBW selbst hält den Teilverkauf an private Investoren für unproblematisch; die Anleger hätten keinerlei Einfluss, so ein Sprecher gegenüber Kontraste. Genauso argumentiert auch das grün geführte Finanzministerium: Mehrheit und Kontrolle liege weiterhin bei der EnBW, das Geschäft sei "hoch reguliert durch die Bundesnetzagentur.

Renditedruck nach Teilprivatisierung

Dass für die Energiewende privates Kapital gebraucht wird, ist unstrittig. Doch der Einbezug privaten Kapitals bringe bei Strom-Übertragungsnetzen, bei denen alle Entscheidungen staatlich gefällt und durch die Bundesnetzagentur genehmigt werden, keine Vorteile, kritisiert Experte Beckers. Eher bestehe die Gefahr, dass private Anteilseigner die Unternehmen drängen, die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde zu "beschummeln", um höhere Renditen zu erwirtschaften.

Das befürchtet auch der Ökonom Uwe Leprich von der Hochschule Technik und Wirtschaft des Saarlands: Obwohl der Netzbereich reguliert sei, könnten private Anleger die Regulierung "häufig austricksen". Deren Interesse sei beispielsweise, den Netzausbau möglichst teuer zu machen, denn für jeden Netzausbau, den die Bundesnetzagentur genehmige, winke eine garantierte Verzinsung auf das in den Netzausbau investierte Kapital. Leprich sieht das Risiko steigender Kosten für Verbraucher und Industrie. Er habe oft genug selbst erlebt, wie private Investoren im Aufsichtsrat die Geschäftsleitung in eine bestimmte Richtung drängen - und zwar schon mit einer Beteiligung von zehn Prozent.  

DIW-Expertin Kemfert verweist noch auf ein anderes Problem: Sie sieht die Gefahr, dass bei einem späteren etwaigen Weiterverkauf die öffentliche Hand die Kontrolle verlieren könnte. "Und wo das enden kann, haben wir doch gerade erst bei Gazprom gelernt." Ob bei einem Weiterverkauf der privatisierten Anteile die öffentliche Hand ein Vorkaufsrecht bekommen soll, wollte das grüne Landesfinanzministerium nicht beantworten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Kontraste im Ersten am 10. November 2022 um 21:45 Uhr.