
Kinobetreiber hoffen auf Öffnung "Kinos haben sich als sichere Orte erwiesen"
Am Vorabend der Berlinale werden mehr als 300 Kinos als illuminierte Objekte ein Zeichen setzen. Kinobetreiber Christian Bräuer berichtet im Interview mit tagesschau.de, was der Lockdown für die Branche bedeutet und wie es nun weitergehen kann.
tagesschau.de: Am Abend vor Beginn des virtuellen Filmfestivals Berlinale werben zahlreiche deutsche Kinos für eine Perspektive. Die AG Kino, deren Vorsitzender Sie sind, hat den Aktionstag "Kino leuchtet. Für dich." geplant. Was wollen sie damit erreichen?
Christian Bräuer: Seit Monaten steht das kulturelle Leben im Land still. Sowohl wir als auch die Kulturschaffenden, die Filmemacher und das Publikum leiden. Mit der Aktion wollen wir ein Zeichen geben, dass wir bereit sind. Wir kommen jetzt aus der Hochsaison und es gibt sehr viele exzellente Filme, die auf den Start auf der großen Leinwand warten. Kinos haben sich mit ihren Hygienekonzepten als sehr sichere Orte erwiesen. Kulturorte mit festen Sitzplätzen sind keine Treiber der Pandemie und müssen deshalb schnellstmöglich geöffnet werden. Kultur ist nicht verzichtbar, sondern ein wichtiger Eckpfeiler der Gesellschaft.

Christian Bräuer ist der Vorsitzende der AG Kino - Gilde deutscher Filmkunsttheater. Zugleich betreibt er als Geschäftsführer der Yorck-Gruppe 15 Kinos in Berlin.
tagesschau.de: Nach Angaben der Filmförderungsanstalt (FFA) haben die Kinos im vergangenen Jahr 69 Prozent weniger Einnahmen erzielt als 2019. Helfen die November- und Dezemberhilfen?
Christian Bräuer: Natürlich ist die Schließung in wirtschaftlicher Hinsicht katastrophal. Auch vor dem neuerlichen Lockdown im November durften wir nur ein Fünftel aller Tickets verkaufen. Immerhin haben Ende Februar viele kleinere Betriebe endlich die Novemberhilfen erhalten. Trotzdem kann sich jeder ausrechnen: Wer sein Gehalt drei Monate später bekommt und ohnehin nicht zu den Luxusverdienern gehört, für den ist das extrem schmerzhaft. Die mittelgroßen Betriebe konnten noch nicht einmal den Antrag stellen und müssen sich durch Darlehen finanzieren, die zurückgezahlt werden müssen.
tagesschau.de: Während einige Läden wie Friseure oder Gartencenter zum Teil wieder öffnen dürfen, sind Kinos seit November komplett dicht. Wie könnten Besucher wiederkehren und was ist dafür nötig?
Christian Bräuer: Wir alle sagen: Gesundheit geht vor. Auch wir sehen die Entwicklung der Pandemie mit großer Sorge. Aber die Kinos haben bewährte Hygienekonzepte, was aktuelle Studien zeigen. Deshalb steht uns schon zu, mit einer gewissen Ungeduld eine Gesamtstrategie zu fordern. Wir brauchen ein Konzept aus Impfungen, Schnelltests und Kontaktverfolgung.
tagesschau.de: Können dann bald nur noch im Vorhinein getestete Kinofans Filme auf der Leinwand anschauen?
Christian Bräuer: Generell sind Impfungen und auch Schnelltests eine Sache des Staates. Ein Schnelltest kostet derzeit etwa zehn Euro, was teurer als ein Kinoticket ist. Kulturelle Teilhabe würde so schnell zum Luxusgut werden. Das darf natürlich nicht passieren. Wir sind flexibel in der Anpassung und hoffen, dass der Staat nun die Möglichkeit zum kostenlosen und schnellen Testen schafft. Wir brauchen dringend einen Ausstieg und sind bereit, mit allen Kräften mitzuwirken.
tagesschau.de: Die Pandemie hat die Besucherzahlen in Kinos dramatisch einbrechen lassen. Im vergangenen Jahr wurden laut FFA rund 38,1 Millionen Tickets verkauft - etwa 80,5 Millionen weniger als noch ein Jahr zuvor. Trotz der drastischen Zahlen gibt es aufgrund der ausgesetzten Insolvenzpflicht und der Förderungen offenbar noch kein Kinosterben. Wie sieht es aber langfristig aus? Werden Kinos überleben?
Christian Bräuer: Die Kinos waren in den vergangenen elfeinhalb Monaten fast acht Monate geschlossen. Das funktioniert nur, wenn es dafür Kompensationen gibt. Wenn die Wirtschaftsförderungen bald nicht mehr verspätet, sondern gar nicht mehr kämen, hätten wir in kürzester Zeit eine riesige Insolvenzwelle. Ich bin aber optimistisch. Zuletzt hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters eine zweite Milliarde gebilligt bekommen. Das heißt: Man kann sich Kultur leisten. Im Vergleich zu Teilen der Wirtschaft sind die Kosten nur ein Bruchteil. Das ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft.
tagesschau.de: Auch Sie sind als Geschäftsführer der Yorck Kinogruppe selbst Betreiber von 15 Kinos in Berlin wie dem Delphi Filmpalast oder dem Kino International. Wie gehen Sie vor Ort mit der aktuellen Situation um?
Christian Bräuer: Die meisten unserer Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Wir versuchen, unsere Kinos in dieser Zeit so gut es geht zu modernisieren und vorzubereiten auf die Wiedereröffnung. Dazu kommt, dass wir uns auf die größte aktuelle Veränderung einstellen: die Digitalkompetenz. Vor der Corona-Krise konnte die jüngere Generation bereits online Tickets bestellen. Jetzt geht das durch alle Schichten und Altersgruppen. Es muss in Zukunft einfach sein, im Internet ein Ticket zu kaufen und der Weg zum Kino digital werden.
Zudem versuchen wir, mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben. Das ist eine Unterstützung, die uns trägt. Die Gutscheinverkäufe sind ungebrochen. Die Leute schenken sich oder anderen ein Stück Vorfreude - ein klares Bekenntnis, dass sie weiter an Kinos glauben und sie auch wollen.

Seit November sind die Kinos in Deutschland geschlossen.
tagesschau.de: In vielen Branchen müssen Unternehmen im Lockdown kreativ sein. In Münster hat ein Filmverein an diesem Wochenende zusammen mit Veranstaltern ein Schaufensterkino auf die Beine gestellt, bei dem Kurzfilme an verschiedenen Orten zu sehen sind. Welche Alternativen gibt es aktuell für Kinos?
Christian Bräuer: Das tolle am Kinomarkt in Deutschland ist, dass er immer noch so mittelständisch geprägt ist. Neben den Ketten gibt es viele kleinere Betriebe mit kreativen Events. Kinos in Schleswig-Holstein haben etwa zum Nikolaustag den "Kinolaustag" mit zahlreichen Aktionen eingeführt.
Während des ersten Lockdowns hat zum Beispiel unser Publikum drei Monate lang ein kostenloses Abo für die Streaming-Plattform "MUBI" bekommen. Momentan bereiten wir als Yorck Kinogruppe unser eigenes Portal vor. Auch jetzt zum Aktionstag starten zahlreiche Kinos kleinere Angebote, sodass ein Austausch da ist.
tagesschau.de: Der neue "James Bond"-Film wurde erneut verschoben. In den Kinos hierzulande liefen im Sommer vergleichsweise viele deutsche Filme, weil wegen der Pandemie weniger internationale Produktionen anliefen. Wird Corona die Filmindustrie verändern? Gibt es einen Mangel an neuen Produkten?
Christian Bräuer: Die Kinos zählen zu den meist betroffensten Sektoren der Branche. Was uns aber unterscheidet vom Theater: Die Filmwelt steht nicht still, sondern dreht sich weiter. Zuletzt veröffentlichen große Filmstudios allerdings einige Filme direkt auf Streaming-Plattformen. Sie haben den Kinos keine Zeit mehr gegeben, da auch sie leiden und schnell Geld verdienen müssen. Auf der anderen Seite sind in der Hauptsaison vermutlich wieder jede Woche zehn bis 15 Filme gestartet, von denen nur ein Bruchteil online gegangen ist. Sie haben sich also angestaut.
tagesschau.de: Portale wie Netflix oder Amazon Prime werden immer beliebter. Dauernd kommen neue Player auf den Streaming-Markt. Haben Kinos überhaupt noch eine Chance gegen das Filmeschauen zu Hause?
Christian Bräuer: Die Co-Existenz zwischen Kino und Streaming gibt es schon länger. Die Pandemie hat das Streamen natürlich stark beschleunigt. Das heißt für uns, dass wir uns noch schneller an diese veränderte Welt anpassen müssen. Tatsächlich sehe ich aber auch, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Leute, die oft ins Kino gehen, haben auch oft mehr als ein oder zwei Streaming-Abos. Wenn ich Filme liebe, schaue ich mir das oft an beiden Orten an - zu Hause und im Kino.
Grundsätzlich kann das Streaming das Kinoerlebnis nicht ersetzen. Die große Leinwand hat eine Faszination und ich lasse mich auf Filme viel mehr ein. Das Geschichtenerzählen im öffentlichen Raum hat eine besondere Bedeutung: das gemeinsame Lachen, das Abtauchen in eine andere Welt, neue Einsichten oder das Gespräch danach. Früher saß man vor dem Lagerfeuer, heute sitzen wir in einem Kinosaal oder in einem Fußballstadion. Das Bedürfnis danach ist durch die Pandemie weiter gewachsen. Wir waren jetzt so viel zu Hause und wir sehnen uns nach einem gemeinsamen Restaurant-, Museums- oder Kinobesuch.
tagesschau.de: Haben Sie als Film-Experte eigentlich einen Lieblingsfilm?
Christian Bräuer: Es gibt sehr viele tolle Filme, aber ich würde immer noch sagen: "To Be or Not to Be" beziehungsweise "Sein oder Nichtsein" aus dem Jahr 1942. Darin geht es um den Einmarsch der Deutschen in Polen und die Anfänge des Filmemachens. In dieser Situation einen solchen Film zu produzieren, zeigt das ganze Talent der Filmkultur. In jüngerer Zeit ist es vermutlich "Parasite", der Sensationserfolg von 2019. Von diesem Film wird man noch in vielen Jahren sprechen.
Das Interview führte Till Bücker, tagesschau.de.