
Produktion mit Wasserstoff Geht Industrie ohne Erdgas?
Der Spezialglashersteller Schott testet den Einsatz von Wasserstoff für die Glasproduktion. Bis 2030 will das Unternehmen klimaneutral werden. Lässt sich ein Konzern auf CO2-freie Produktion umstellen?
Der Projektleiter kommt mit dem Fahrrad. Matthias Kaffenberger ist schon früh am Morgen auf dem Werksgelände des Spezialglasherstellers Schott in Mainz unterwegs, zu seiner ersten Kontrolle. In einem kleinen Container voller Rohre und Leitungen läuft ein Versuch, der Schott in die Zukunft führen soll.
"Hier im Container werden Erdgas und Wasserstoff gemischt. Von der einen Seite kommt das Erdgas, von der anderen der Wasserstoff. Und dann wird beides in einem großen Rohr verwirbelt und geht wieder raus." Der Ingenieur kontrolliert mehrmals am Tag, ob die Konzentration stimmt und ob der Druck in den Leitungen ausreicht, um das Erdgas-Wasserstoff-Gemisch dorthin zu leiten, wo es gebraucht wird: im Herzen des Werks.
In riesigen Hallen befinden sich sogenannte Schmelzwannen, die so groß sind wie Schwimmbäder. Hier wird das Glas geschmolzen. "Glasherstellung ist extrem energieintensiv", sagt Kaffenberger. "Wir brauchen konstant Temperaturen von 1700 Grad Celsius." Das Unternehmen testet, ob die Schmelzwannen auch mit Wasserstoff beheizt werden könnten. "Wir haben angefangen mit 10 Prozent Wasserstoff, den wir dem Gas beimischen, inzwischen haben wir uns gesteigert auf 35 Prozent", erklärt der Projektleiter.
Hoher Energieverbrauch in der Produktion
Schott produziert hier in Mainz und an Standorten in mehr als 30 Ländern. Zuletzt erzielte der Konzern einen Jahresumsatz von über 2,5 Milliarden Euro. Das Unternehmen stellt Spezialglas her - für die Pharmaindustrie, die Elektronikbranche, die Automobil- oder die Raumfahrtindustrie. Weil die Glasherstellung so energieintensiv ist, zählt Schott zu den Unternehmen in Rheinland-Pfalz, die am meisten CO2-Ausstoß verursachen.
Doch das Unternehmen hat sich ein Ziel gesetzt: Bis 2030 soll die Produktion klimaneutral werden. Der Konzern will also komplett auf fossile Brennstoffe verzichten. Der Einsatz von grünem Wasserstoff in der Zukunft wäre ein Baustein auf diesem Weg zur Klimaneutralität.
Zu wenig grüner Wasserstoff verfügbar
Mario Ragwitz, Experte für Energieinfrastrukturen und Geothermie beim Fraunhofer-Institut, findet es grundsätzlich gut, "dass Konzerne vorpreschen und sich so ehrgeizige Ziele setzen." Doch gerade beim Thema Wasserstoff sieht der Physiker auch Probleme: "Wasserstoff ist weltweit extrem knapp, vor allem grüner Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien hergestellt wird."
Studien hätten gezeigt, dass Deutschland nur ein Drittel seines Wasserstoffbedarfs selbst erzeugen könnte - und zwei Drittel aus dem Ausland importieren müsste. Die Bundesregierung ist im Rahmen der sogenannten "Nationalen Wasserstoffstrategie" weltweit auf der Suche nach Partnern - etwa im südlichen und westlichen Afrika oder im arabischen Raum. Doch bis diese Länder ausreichend "grünen" Wasserstoff produzierten, können Jahre vergehen, sagen Fachleute voraus.
Zu wenig Nachfrage, zu wenig Angebot
Mario Ragwitz spricht von einem "dreifachen Henne-Ei-Problem" beim "grünen" Wasserstoff: Es gebe zu wenig Nachfrage - und daher auch zu wenig Angebot.
Hinzu komme das Problem, dass die Infrastruktur fehle, um Wasserstoff zu transportieren. "Diese drei Probleme bedingen einander und müssen gleichzeitig angegangen werden", so Ragwitz. Lösen könne diese komplexe Situation nur eine gemeinsame "Wasserstoff-Strategie", bei der staatliche Akteure und Privatwirtschaft zusammenarbeiteten.
Mittels planerischer Hilfe und Förderanreizen könne der Staat etwa Netzbetreiber dazu bringen, ein Leitungsnetz für Wasserstoff aufzubauen. Das wiederum wäre eine Voraussetzung dafür, dass sich Firmen entscheiden, auf die Herstellung von "grünem" Wasserstoff zu setzen - und Unternehmen, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen, so wie der Spezialglashersteller Schott.
Ruf nach Hilfen von der Politik
Schott-Vorstandschef Frank Heinricht sieht die Probleme auch: "Wir befinden uns mit unserem Wasserstoff-Projekt noch in einer Versuchsphase. Wenn wir Wasserstoff aber wirklich im industriellen Maßstab einsetzen wollen, brauchen wir die nötige Infrastruktur." Es brauche Leitungen und Pipelines für den Transport. Und vor allem brauche es finanzielle Unterstützung.
Für die aktuellen Tests kommt der Wasserstoff aus einem 21 Meter hohen Tank, der auf dem Werksgelände steht. Dieser muss für die Versuche zwei Mal am Tag befüllt werden - Lkw liefern den Wasserstoff an. "Das wäre in der Realität gar nicht machbar, wir würden die Straßen von Mainz verstopfen", sagt Projektleiter Matthias Kaffenberger.
Erzeugt wird der Wasserstoff von einer Firma aus Bad Soden, die sich auf die Herstellung von Industriegasen spezialisiert hat. Er ist allerdings "grau", also aus fossilen Brennstoffen erzeugt. Denn "grüner" Wasserstoff war für die Tests in Mainz nicht verfügbar.
Weiter Weg zum Technologiewandel
Die ersten Ergebnisse der Wasserstoff-Test sind vielversprechend. Die bisherige Auswertung habe ergeben, dass die hohen Temperaturen, die für die Glasschmelze nötig sind, erreicht werden können. Weiterer Untersuchungen sollen klären, ob sich der Wasserstoff-Einsatz auf die Qualität des Glases auswirkt.
Im kommenden Jahr soll dann im Labor getestet werden, ob auch der 100-prozentige Einsatz von Wasserstoff funktionieren würde. "Immerhin haben wir jetzt schon mal eine Richtung und sehen, dass der Umstieg theoretisch möglich wäre", freut sich Kaffenberger. Bis zum echten Technologiewandel ist es aber noch ein weiter Weg.