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Hintergrund

Staatskonzern als Aktionär Chinas Einfluss bei Daimler gewachsen

Stand: 13.12.2021 17:56 Uhr

Inzwischen halten Investoren aus China zusammen fast 20 Prozent der Anteile am Autohersteller Daimler. Könnte es beim Stuttgarter Traditionskonzern zur kompletten Machtübernahme kommen?

Von Lothar Gries, tagesschau.de

Der Stuttgarter Autobauer Daimler hat einen neuen und doch bereits bekannten Großaktionär. Die staatliche Beijing Automotive Group (BAIC), der Joint-Venture-Partner der Schwaben in China, gab überraschend bekannt, bereits einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent an dem DAX-Konzern zu besitzen. Zuvor bekannt waren erst fünf Prozent. BAIC ist damit noch vor Li Shufu, dem Eigner des konkurrierenden privatwirtschaftlichen Autobauers Geely, Daimlers größter Aktionär. Li hatte sich Anfang 2018 für 7,5 Milliarden Euro 9,69 Prozent an Daimler gesichert und galt seitdem als der größte Einzelaktionär.

Gemeinsam halten die beiden Investoren damit fast 20 Prozent an dem deutschen Traditionskonzern - mehr als jeder andere Investor. Drittgrößter Aktionär mit einem Anteil von 6,8 Prozent ist seit vielen Jahren der Staatsfonds von Kuwait. BAIC war erst im Juli 2019 bei Daimler eingestiegen und hatte fünf Prozent der Aktien erworben. Offenbar haben die Chinesen den dramatischen Kurseinbruch von Daimler in der ersten Phase der Pandemie genutzt, um weitere Anteile an Daimler zu erwerben.

Sensible Frage nach dem Machteinfluss

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete berichtete bereits vor einem Jahr, dass BAIC seine Anteile an Daimler auf zehn Prozent aufstocken wolle. Ziel sei es, Geely als größten Aktionär abzulösen und einen Sitz im Aufsichtsrat von Daimler zu erhalten. Zumindest das erste Ziel hat BAIC nun erreicht.

Damit stellt sich die Frage, welche Absicht die asiatischen Investoren bei Daimler verfolgen - bedeutet doch der Anteilserwerb auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Schon der Aufstieg von Geely zum größten Daimler-Aktionär hatte für Diskussionen gesorgt. Die damalige Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries von der SPD äußerte Bedenken, dass ein chinesischer Konkurrent Einblick in Daimlers Strategie bekommen könnte. Der wachsende Einfluss chinesischer, zumeist staatlich kontrollierter Unternehmen auf deutsche Schlüsselindustrien sah die Große Koalition grundsätzlich skeptisch.

Wollen die Chinesen nun auch bei Daimler ihren Einfluss erweitern, streben gar eine Sperrminorität an? Von den dafür notwendigen 20 Prozent sind sie nur wenig entfernt. Experten geben jedoch zu bedenken, dass es sich bei den Investoren um Konkurrenten handelt. BAIC ist der industrielle Partner von Daimler in China, Geely unter dem Eigentümer Li Shufu dagegen ein privates Unternehmen, dem auch der schwedische Autobauer Volvo gehört. BAIC und Geely betonen stets, keine gemeinsamen Pläne zu schmieden. Und wenn doch? Im Gegensatz zu VW und BMW verfügt Daimler über keine ausgewiesenen Ankeraktionäre - also Investoren, die einen wesentlichen Anteil an einem Unternehmen halten und diesen auch nicht verkaufen. Damit gelten die Stuttgarter als potenzieller Übernahmekandidat.

Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender Daimler AG, zum Börsengang von Daimler Trucks

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"Politisch nicht machbar"

"Wir wissen natürlich nicht, was hinter den Kulissen läuft, doch sowohl BAIC als auch Li Shufu haben betont, keine weiteren Anteile an Daimler kaufen zu wollen. Deshalb halte ich Spekulationen über eine bevorstehende Machtübernahme bei Daimler für unrealistisch", sagte Frank Schwope, Autoexperte bei der NORD/LB in Hannover und Dozent an der Fachhochschule des Mittelstands, tagesschau.de. Der Fachmann hält eine Machtübernahme "politisch für nicht machbar". Ein solcher Versuch würde zu ernsthaften Zerwürfnissen zwischen Berlin und Peking führen. "Ich glaube, das ist den Chinesen auch bewusst", so Schwope.

Auch andere Experten wie Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des privatwirtschaftlichen CAR-Center Automotive Research in Duisburg, betrachtet BAIC und Geely eher als strategische Investoren, die nicht darauf aus seien, den Wert ihrer Anteile zu steigern und sie dann gewinnbringend zu verkaufen. Sie seien vielmehr am Know-How und Allianzen interessiert. Bei Daimler werden Mutmaßungen über eine chinesische Machtübernahme ebenfalls energisch abgewiesen. Das "Handelsblatt" zitierte einen hochrangigen Daimler-Manager mit der Aussage, dieses Szenario sei "einfach Quatsch".

Jahrzehntelange Kooperation

BAIC und Daimler arbeiten seit knapp 20 Jahren zusammen. Die Unternehmen erklärten, die gegenseitige Beteiligung unterstreiche die große Bedeutung ihrer Kooperation. Diese sei "ein hervorragendes Beispiel für die deutsch-chinesische Zusammenarbeit, die wesentliche Beiträge zur bilateralen Industriekooperation, technologischen Innovation sowie zu wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen leistet", so BAIC. Auch Daimler-Chef Ola Källenius fand lobende Worte: "Wir freuen uns über das Engagement aller langfristig orientierten Aktionäre, die unsere Strategie unterstützen".

Tatsächlich hat Daimler von der Zusammenarbeit mit BAIC profitiert. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Absatz von Autos der Marke mit dem Stern in China mehr als verdreifacht - auf über 600.000 Fahrzeuge pro Jahr. Damit ist China zum wichtigsten Absatzmarkt von Daimler geworden. Über ein Drittel der Produktion wird in der Volksrepublik verkauft. Experten zufolge dürfte inzwischen auch die Hälfte des Konzerngewinns aus China kommen. In diesem Jahr floss Daimler bis Ende September aus dem Gemeinschaftsunternehmen mit BAIC ein Gewinn von rund einer Milliarde Euro zu.

Auch Daimler will aufstocken

Zudem beruhen die Beziehungen zu BAIC auf Gegenseitigkeit. Die Stuttgarter sind mit dem Konzern über Kreuz beteiligt und halten 9,55 Prozent der Anteile an BAIC Motor, der Pkw-Tochter des Konzerns. Daimler strebt nun an seinerseits an, die Beteiligung zu erhöhen.

Frank Schwope hält den wachsenden Einfluss der Chinesen an Daimler für förderlich bei der Marktposition. "Wenn es dazu führt, das Standing von Daimler in China, dem größten Automarkt der Welt, zu verbessern, dürfte das auch den Absatz fördern", so der Experte. Und das mache einen guten Aktionär aus.