Kanzlerin Merkel fährt nach Ankara Deutsche Wirtschaft für Annäherung an Türkei

Stand: 28.03.2010 12:40 Uhr

Erstmals seit vier Jahren reist Kanzlerin Merkel in die Türkei. Deutsche Wirtschaftsvertreter nehmen dies zum Anlass, um eine weitere Annäherung der EU zur Türkei anzumahnen. Notwendig sei eine "emotionsfreie Diskussion" darüber. Für deutsche Exporte sei die Türkei inzwischen wichtiger als Japan.

Vor dem Türkei-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel dringen deutsche Wirtschaftsvertreter auf eine Annäherung zwischen der Türkei und der EU.

"Die deutsche Wirtschaft mahnt eine emotionsfreie Diskussion um die Beitrittsverhandlungen der Türkei an. Unsere Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei entwickeln sich seit Jahren überdurchschnittlich gut. Das Land bleibt absehbar ein Wachstumsmarkt in strategisch bedeutender Lage", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, dem "Handelsblatt".

Er fügte hinzu, dass die Türkei für deutsche Exporte wichtiger sei als Japan. Mittelständische Unternehmen erlebten in der Türkei einen immer stärkeren Wettbewerb mit Firmen aus Russland, Iran und China.

Auf Merkels Reise-Programm stehen Gespräche über die Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem NATO-Partner Türkei, die Lage in der Region mit Blick auf den Iran und Israel sowie der schwierige Versöhnungsprozess der Türkei mit Armenien. Auch die von der EU mitgeplante Erdgasleitung Nabucco wird eine Rolle spielen.

Drehkreuz für Öl und Gas aus Asien

Deshalb dringt auch RWE-Chef Jürgen Großmann auf eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei. Besonders wichtig sei die Nabucco-Pipeline, die Gas aus der kaspischen Region nach Westeuropa transportieren werde. Neben dieser geplanten Pipeline laufen weitere wichtige Öl- und Gasleitungen durch die Türkei. Dazu gehören die Pipelines "Blue Stream", die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline und die Südkaukasus-Pipeline von Baku nach Erzurum.

Mittelfristige Perspektive für EU-Beitritt

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sprach sich indes für ergebnisoffene Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei aus. Die Entscheidung hänge nicht nur davon ab, "ob die Türkei alle Voraussetzungen erfüllt, sondern auch davon, ob die EU in der Lage ist, dieses große Land ohne Gefährdung ihrer politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Balance aufzunehmen", sagte Hundt. Hier gebe es allenfalls "mittelfristig" eine Perspektive. Seit 2005 laufen Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei. Kritiker bemängeln jedoch die Lage der Menschenrechte in dem Land, besonders hinsichtlich religiöser Freiheiten. Auch lässt die Türkei Schiffe aus Zypern nicht an ihren Häfen einlaufen.

Wichtiger, aber schwieriger außenpolitischer Partner

Experten verweisen auch auf die politische Bedeutung der Türkei als Vermittler zwischen dem Westen und den arabischen Staaten. Erst gestern erklärten die in der Arabischen Liga vereinten Staaten, sie setzten bei der Lösung von regionalen Konflikten auf die Zusammenarbeit mit der Türkei.

Allerdings wurde das Verhältnis zwischen dem Westen und der Türkei in jüngster Zeit durch Unstimmigkeiten getrübt. Der Stockholmer Reichstag und der Auswärtige Ausschuss im US-Repräsentantenhaus bewerteten die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich unlängst als Genozid, was zu harschen Reaktionen der türkischen Regierung geführt hatte. Nicht nur zog die Türkei ihre Botschafter in den USA und Schweden zu Konsultationen ab. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan drohte auch damit, Zehntausende illegal in der Türkei lebende Armenier auszuweisen.

Für weitere Missstimmung sorgte Erdogan in Deutschland mit der Forderung, türkische Gymnasien zu gründen und die Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit. Vor zwei Jahren hatte er bei einem Auftritt vor türkischen Landsleuten in Köln vor einer Aufgabe ihrer nationalen Identität in Deutschland gewarnt. Er bezeichnete Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und löste damit heftige Reaktionen deutscher Politiker aus.

Kanzlerin Merkel ihrerseits erklärte gestern, dass türkische Einwanderer am gesellschaftlichen Erfolg, im Arbeits- und im Familienleben teilhaben sollten. Das bedeute natürlich auch, dass die deutsche Sprache erlernt werde und deutsche Gesetze eingehalten würden. Das Thema Integration der türkischstämmigen Bürger in Deutschland wird auch Thema beim Besuch Merkels in der Türkei sein.