
Führungskrise bei thyssenkrupp Manager verzweifelt gesucht
Stand: 09.09.2018 09:53 Uhr
Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe: Seit dem Rücktritt der Führungsspitze tobt ein Kampf um die Neuausrichtung des Konzerns. Investoren fordern die Zerschlagung, die Arbeitnehmer fürchten um ihre Jobs.
Von Michael Heussen und Felix Mannheim, WDR
Für Hendrik Wüst steht das Urteil fest: "Die wollen Geld machen. Da geht es nicht mehr um eine gesellschaftspolitische Verantwortung von Unternehmertum", sagt der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU, zugleich NRW-Verkehrsminister.
"Die", damit sind ausländische Hedgefonds und Investoren genannt, die sich in den letzten Jahren mit Aktien des Essener thyssenkrupp-Konzerns eingedeckt haben und jetzt auf Augenhöhe mit dem wichtigsten Großaktionär, der Krupp-Stiftung, darüber sprechen, wie der Konzern möglicherweise aufgespalten werden soll. Stahl, Aufzüge, Rolltreppen, Schiffe und Autoteile unter einem Konzerndach - das scheint ihnen nicht mehr zeitgemäß zu sein.
Das Interesse der drei großen Aktionäre, die zusammen über 40 Prozent der Aktien halten, ist in einem Punkt deckungsgleich: Sie wollen Geld verdienen durch steigende Kurse und sprudelnde Dividenden. Doch für den Weg dahin haben sie unterschiedliche Zeithorizonte.
Unternehmen soll "wetterfest" sein
Die Krupp-Stiftung verfolgt seit Ende der 1960er-Jahre das Ziel, das Erbe des Großkonzerns zu verwalten und, so steht es in ihrer Satzung, die Einheit des Unternehmens zu wahren. Die Erträge aus ihrem Aktienanteil schüttet sie für karitative Zwecke aus, etwa für Krankenhäuser und Kultureinrichtungen.
Die Stiftung mit der Dortmunder Hochschulrektorin Ursula Gather ist ein wichtiger Pfeiler des sozialen Lebens im Ruhrgebiet. Im Moment hält sie rund 21 Prozent der thyssenkrupp-Anteile. Vom WDR nach einer Stellungnahme zur aktuellen Krise gefragt, kommt nur eine schriftliche Antwort:
"Die Stiftung steht ohne Wenn und Aber zum Unternehmen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als gemeinnützige Stiftung sind wir an einem 'wetterfesten' Unternehmen interessiert, das dividendenfähig ist. Die Stiftung wird sich daher keiner Lösung verschließen, die die Sicherung nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit und zukunftsfähiger Arbeitsplätze sowie Dividendenfähigkeit gewährleistet."
Also: Auch die Krupp-Stiftung will endlich wieder höhere Gewinne. Wie radikal sie dafür den Konzern umbauen will, lässt sie offen.
Führungskrise bei thyssenkrupp
tagesschau 13:15 Uhr, 09.09.2018, Michael Heussen, WDR
Heuschrecken in Sicht?
Der schwedische Investor Cevian Capital ist mit rund 18 Prozent an thyssenkrupp beteiligt. Üblicherweise beteilige man sich für fünf bis zehn Jahre an Unternehmen, bestätigt Cevian-Chef Lars Förberg in einem Interview mit der ARD.
Als "Heuschrecke", die Firmen ohne Rücksicht auf die Mitarbeiter aussaugen und ihre Anteile dann wieder verkaufen, will er sich nicht verstanden wissen. "Dieses Bild stimmt überhaupt nicht. Wir sind viel langfristiger als andere Anleger. Wir arbeiten mit Strategien, um ein Unternehmen zu verbessern und zu stärken."
Die bisherige Strategie von thyssenkrupp sei "gescheitert", sagt er. "Aber die einzelnen Sparten sind eigentlich gut aufgestellt für die Zukunft. Das heißt, sie haben die richtigen Produkte und die richtigen Märkte. Aber der Konzern ist jetzt viel zu kompliziert." Und in von schwedischem Akzent gefärbten Deutsch weist er immer wieder darauf hin, wie wichtig es sei, gemeinsam mit allen und vor allem auch mit den Arbeitnehmern die Zukunft des Konzerns zu gestalten.
Hedgefonds will schnellen Profit
Der Zeithorizont des Hedgefonds Elliott, mit rund drei Prozent an thyssenkrupp beteiligt, ist der kürzeste: Die Amerikaner wollen so schnell wie möglich Profit und schrecken dabei nicht vor rabiaten Methoden zurück. Ulrich Lehner, bis Sommer Aufsichtsratschef von thyssenkrupp, deutete in einem Interview an, dass er auch deswegen zurückgetreten sei.
Sorge bei Arbeitnehmern
Eine Stiftung, die sich in Schweigen hüllt, und zwei Investoren, die fordernd bis aggressiv auftreten - bei den Arbeitnehmern löst das große Sorgen aus. Etwa bei der Automobilteile-Herstellung in Mülheim an der Ruhr: Es sei immer wieder das Thema bei Pausengesprächen, bestätigen mehrere Arbeiter bei einem Rundgang durch das Presta-Werk. "Wie sicher sind unsere Arbeitsplätze hier in Mülheim? Könnten wir möglicherweise an einen Konkurrenten verkauft werden?" Und natürlich auch die Frage: Wer wird demnächst an der Spitze von thyssenkrupp stehen?
Führungsspitze wirft hin
Im Juli hatte Heinrich Hiesinger nach siebeneinhalb Jahren als Vorstandschef entnervt das Handtuch geworfen, weil ihn die Kämpfe mit den wichtigsten Anteilseignern im Aufsichtsrat um die richtige Strategie aufgerieben hatten. Wie ein Schuljunge habe er in Sitzungen Rapport leisten müssen, erzählt man sich, immer wieder durch Fragenkataloge gelöchert und mit Rücktrittsforderungen traktiert.
Aufsichtsratschef Ulrich Lehner hat ihm in dieser Zeit nicht beistehen können - auch er stand unter Beschuss, auch er merkte, dass er nicht mehr die Unterstützung der wichtigsten Aktionäre hat - und gab schließlich wenige Tage nach Hiesinger auf.
Nur provisorische Konzernführung
Im Moment füllt Finanzvorstand Guido Kerkhoff das Vakuum an der Spitze des Konzerns. Sein Mandat ist begrenzt. Es sei nicht seine Aufgabe, langfristige Strategien zu entwickeln, sagt er im Gespräch mit tagesschau und dem WDR-Magazin Westpol. "Wir haben Drei-Jahres-Ziele herausgegeben, um zu sagen: Guck, das könnt Ihr am besten aus euren jeweiligen Geschäften machen. Nur wenn sich die einzelnen Geschäfte gut entwickeln, ist auch die Perspektive für die Mitarbeiter gut."
Er muss, salopp gesagt, den Laden zusammenhalten und seinen Mitarbeitern vermitteln, dass es weitergeht, auch wenn die beiden Top-Positionen verwaist sind.
Keiner will auf den Schleudersitz
Am Zug ist nun der Aufsichtsrat. Erst gilt es, hier einen Vorsitzenden zu finden. Prominente Kandidaten sollen bereits abgewinkt haben. Keiner scheint Lust auf die Scharmützel mit den Investoren zu haben. Wenn sich doch jemand breitschlagen lässt, muss er als erstes den zum Schleudersitz gewordenen Posten an der Vorstandsspitze neu besetzen.
Trotz eines Millionengehalts dürfte das im Moment der unbegehrteste Job an einer deutschen Konzernspitze sein. Denn die Aufgabe wird von fast unüberwindbaren Zielkonflikten geprägt: ThyssenKrupp in Einzelunternehmen aufspalten oder die Einheit des Unternehmens wahren? Das Unternehmen verschlanken oder Arbeitsplätze erhalten? Schnellen Profit oder langfristige Investitionen in Forschung und Entwicklung für Produkte, die etwa erst in zehn Jahren auf den Markt kommen?
Von einem Kampf der Managementkulturen ist die Rede: angelsächsisch geprägter Kapitalismus gegen konsensorientierte soziale Marktwirtschaft. Nicht nur die Arbeiter im Mülheimer Prestawerk und an den Hochöfen in Duisburg verfolgen ihn ganz genau. Der Ausgang dürfte weitreichende Folgen für weite Teile der deutschen Wirtschaft haben.
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