Hafen von Lubmin

Überversorgung Zu viel Infrastruktur für Flüssiggas?

Stand: 10.11.2022 14:34 Uhr

In der aktuellen Energiekrise bauen die Staaten weltweit in großer Eile viel Infrastruktur für Flüssiggas auf. Einer aktuellen Analyse zufolge ist das sogar mehr, als eigentlich benötigt wird.

Bei dem Versuch, die russischen Gasimporte durch die Lieferungen anderer Staaten zu ersetzen, setzen viele Staaten auf Flüssiggas (LNG). Dafür investieren sie eilig in die Bereitstellung der dazu erforderlichen Infrastruktur. Etwa in Deutschland plant die Bundesregierung derzeit fünf staatliche LNG-Terminals mit jeweils einer Kapazität von mindestens 4,5 Milliarden Kubikmetern.

Eine aktuelle Analyse des Climate Action Tracker (CAT), die heute auf der Weltklimakonferenz in Sharm el Sheikh publiziert wurde, kommt allerdings zum Ergebnis, dass die Staaten weltweit deutlich mehr Infrastruktur aufbauen, als eigentlich nötig wäre.

"Über das Ziel hinausgeschossen"

Den Daten zufolge könnte die absehbare Überversorgung an Flüssiggas schon 2030 etwa 500 Megatonnen erreichen. Das entspreche der fast fünffachen Menge dessen, was die EU 2021 an russischem Gas importiert habe. So muss etwa die EU rund 155 Milliarden Kubikmeter russisches Gas jährlich aus anderen Quellen erschließen. Außerdem sei es das Doppelte der Gesamtmenge, die Russland zurzeit weltweit verkaufe.

Bill Hare, Chef der Partnerorganisation Climate Analytics, sagte gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian", die Welt sei beim Versuch, die Lücke, die das fehlende russische Gas reißt, zu schließen, "über das Ziel hinausgeschossen". Das Volumen der Importkapazitäten das derzeit In Europa geschaffen werde, übertreffe bei weitem den Bedarf.  

Klimaschädliche Gase durch LNG-Handel

Hare unterstreicht, dass es einen weltweiten Run auf Flüssiggas in Europa, Afrika, Nordamerika, Asien und Australien gebe. Die Staaten mit den größten Exportkapazitäten im Bereich LNG sind Statista-Angaben zufolge Australien, Katar und die Vereinigten Staaten. Würden alle Projekte verwirklicht werden, treibe das den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie CO2 und Methan in noch gefährlichere Höhen. Fossile Energieträger könnten nirgends die Lösung für die aktuelle Klima- und Energiekrise sein.

Die EU hatte im März dieses Jahres einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten geschlossen, wonach sie dort allein in diesem Jahr zusätzlich 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas kauft. Langfristig solle die Menge auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen, hieß es seinerzeit. Somit würde rund ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland durch US-Importe ersetzt werden - wohl zu einem höheren Preis. Große Mengen des Gases werden in den USA darüber hinaus durch das als klimaschädlich bezeichnete Fracking gewonnen.

Dass Deutschland die erneuerbaren Energien weiter ausbaue, sei zwar positiv, heißt es in dem CAT-Bericht. Seine Pläne für Gas- und LNG-Infrastruktur seien aber Grund zu "großer Sorge".

Erderwärmung um 2,4 Grad

Ein weiteres Ergebnis der Action-Tracker-Analyse lautet: Selbst wenn die Zusagen aller Staaten zum Klimaschutz für das Jahr 2030 umgesetzt werden, erwärmt sich die Erde Forschern zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts immer noch um etwa 2,4 Grad. In diesem Punkt kommen die Analysen zu selben Wert wie schon auf der Klimakonferenz in Glasgow vor einem Jahr.

Wenn man nur betrachtet, was die Staaten aktuell bereits tun, und weitere Ankündigungen ausblendet, heizt sich der Planet demnach bis 2100 sogar um 2,7 Grad auf. Um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, müssten nach Berechnungen des Weltklimarats bis 2030 die Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase aber etwa halbiert werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 10. November 2022 um 15:25 Uhr.