Projekt Gaia-X Autobau in der Cloud
Mit einem neuen Mammutprojekt soll Europa führend werden beim Datenaustausch in der Wirtschaft. Die Cloud-Plattform Gaia-X könnte die Industrieproduktion umkrempeln.
Der Name klingt jedenfalls schon mal nach Zukunft: Gaia-X. Dahinter verbirgt sich ein Mammutprojekt, das Europa zum Vorreiter in Sachen Cloud-Technologie machen soll. Und das die Bundesregierung mit ihrer Datenstrategie, die nun im Bundestag debattiert wird, "entschieden vorantreiben" will. Nur was soll da vorangetrieben werden? Und wem nutzt das?
Die Idee: Mit Gaia-X soll eine europäische "Daten-Infrastruktur" aufgebaut werden. Dafür sollen verschiedene IT-Unternehmen ihre Clouds mit einheitlichen Schnittstellen zusammenschließen - zu einer Art Cloud-Netzwerk. Innerhalb dieses Netzwerks sollen dann unterschiedliche Branchen Daten austauschen und Dienste in Anspruch nehmen können.
Vernetzte Industriemaschinen
Welchen konkreten Nutzen das für die Industrie haben kann - damit befasst man sich schon heute in Kaiserslautern. In der dortigen "Smart Factory" forscht Professor Martin Ruskowski zur Zukunft der Industrieproduktion. Dabei soll auch Gaia-X eine entscheidende Rolle spielen: für das Konzept "Shared Production". Das bedeutet, dass es in Firmen keine starren Produktionsstraßen mehr geben soll. Stattdessen sollen Unternehmen ihre einzelnen Maschinen über Gaia-X miteinander vernetzen.
"Unsere Vision ist eine Art Marktplatz, wo Firmen die Dienste ihrer Maschine anbieten können. Solche Dienste können etwa Schweißen oder Sägen sein", sagt Ruskowski. Die Herstellung eines Produktes wird dann über Gaia-X organisiert und ein einzelnes Produkt - etwa ein Auto - in verschiedenen Firmen gefertigt, je nachdem, welche Maschinen dafür benötigt werden.
Schneller Ersatz bei Ausfällen
"Der Vorteil ist die Agilität dieses Systems", sagt Industrie-Forscher Ruskowski. "Wenn eine Maschine defekt ist, kann über Gaia-X schnell Ersatz gefunden werden, da alles über die Plattform vernetzt ist. Nicht zuletzt Corona hat gezeigt, was passiert, wenn Lieferanten beispielsweise in China ausfallen. Da ist es wichtig, schnell Alternativen zu finden."
Wichtig ist bei diesem System der verteilten Produktion: Die gesamte Logistik, inklusive Transportkosten und CO2-Bilanz, soll bei der Produktionsplanung miteinbezogen werden. Diesen Job sollen noch immer Mitarbeiter übernehmen - andere Arbeitsschritte könnten bei Gaia-X dank des Datenaustausches automatisiert werden.
"Moonshot der Digitalpolitik"
Nicht nur die Industrie, auch die öffentliche Verwaltung oder das Finanz- und Gesundheitswesen sollen Gaia-X nutzen: Denkbar sind laut den Projektbeteiligten etwa Anwendungen für Telemedizin oder der Aufbau von Datenpools in den jeweiligen Branchen. Die politische Hoffnung hinter alldem: sich unabhängiger von US-Cloud-Monopolisten wie Microsoft oder Amazon Web Services zu machen.
Die Erwartungen sind hoch. Von einem "europäischen Moonshot der Digitalpolitik" sprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei einer Konferenz mit seinem französischen Amtskollegen im vergangenen Sommer. Beide Länder wollen seit 2019 den Aufbau von Gaia-X vorantreiben. Daran beteiligt sind laut Bundeswirtschaftsministerium mehr als 350 Organisationen und Unternehmen. Darunter sind auf deutscher Seite etwa BMW, Bosch, SAP und die Telekom.
Offen für alle - wenn Standards eingehalten werden
Für Irritation hatte zuletzt gesorgt, dass in Arbeitsgruppen von Gaia-X auch US-Unternehmen wie Amazon Web Services sitzen - also ebenjene Monopolisten, zu denen man Alternativen schaffen will. Inwiefern die sich auch konkret an Gaia-X beteiligen werden, ist noch nicht klar.
"Ich kann mir schon vorstellen, dass es Sinn macht, die Monopolisten zumindest bei Fragen zu technischen Standards an Bord zu holen", sagt Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. Er sieht aber auch ungeklärte Fragen, sollten diese Unternehmen weiter beteiligt werden, etwa: "Haben US-Sicherheitsbehörden Zugriff auf Daten, die von US-Tochterunternehmen in Deutschland in hiesigen Rechenzentren gespeichert werden?" Für Gaia-X ist diese Frage entscheidend. Denn alle beteiligten Clouds müssen laut den Projektverantwortlichen europäische Datenschutzregeln einhalten.
Startzeitpunkt noch ungewiss
Wichtig ist nicht nur der Schutz vor staatlicher Überwachung, es kommen weitere Vorgaben hinzu. So sollen die Nutzer von Gaia-X selbst entscheiden können sollen, welche anderen Nutzer die eigenen Daten verwerten können und auf welcher Cloud sie gespeichert werden. Auch das "Mitnehmen" der eigenen Daten von einem Cloud-Anbieter zum nächsten soll möglich sein. Welche Unternehmen letztlich beteiligt werden, darüber soll eine frisch gegründete Gaia-X-Vereinigung in Brüssel entscheiden.
"Insgesamt ist Gaia-X ein sinnvolles Projekt, das vielleicht fünf bis zehn Jahre zu spät kommt", sagt Beckedahl. "Aber ich denke, es gibt sonst keine andere Strategie, wie man den großen Cloud-Plattformen entgegentreten könnte." Bleibt die Frage, wann es konkrete Gaia-X -Anwendungen geben wird. Wie das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mitteilt, befindet sich die Entwicklung technologischer Anforderungen an die Plattform "auf der Zielgeraden". An verschiedenen Anwendungen werde bereits gearbeitet. "Da müsste man langsam mal liefern", findet Beckedahl.