Erdgas-Verdichterstation in bayerischen Waidhaus, wo die Mitteleuropäische Gasleitung (MEGAL) ankommt

Versorgung im Krisenfall Warum Bayern den Gasmangel mehr fürchtet

Stand: 18.07.2022 09:12 Uhr

Einige Bundesländer sind deutlich stärker auf Erdgas angewiesen als andere. Ist die Gefahr von Ausfällen bei der Gas- und Stromversorgung dort größer als im Rest des Bundesgebiets? Antworten liefert ein Blick auf Bayern.

Von Lorenz Storch, BR

Bayern hat bisher einen besonders großen Anteil seines Erdgases aus Russland bezogen. Das hat geografische Gründe: Im oberpfälzischen Waidhaus kommt die Mitteleuropäische Gasleitung (MEGAL) an, die Erdgas aus dem Osten brachte. Erdgaslieferungen aus Norwegen, den Niederlanden und Übersee dagegen erreichen Deutschland im Norden.

Diese räumliche Entfernung solle im Krisenfall allerdings nicht zum Nachteil für Bayern werden, versichert die Bundesnetzagentur. Bei einem lang anhaltenden russischen Gaslieferstopp werde die Gasversorgung in allen Bundesländern beeinträchtigt sein, nicht nur im Süden, so eine Sprecherin. Wenn die Notfallstufe des Notfallplans Gas ausgerufen wird, spielen laut Bundesnetzagentur geografische Kriterien keine Rolle für die Frage, welche Gaskunden noch beliefert werden. Vielmehr gehe es um andere Kriterien wie die Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs.

Gaspipelines

Erdgasnetz hat genügend Kapazität

Das Erdgas-Fernleitungsnetz sei gut genug, um die Lieferungen aus dem Norden nach Bayern zu bringen, versichert Matthias Jenn, Geschäftsführer des Gasnetzbetreibers bayernets. In den vergangenen Jahren seien die Leitungen immer weiter ausgebaut worden: "Das ist ein europäisches Transportsystem, und da steckt Bayern mittendrin. Wir sind so ein bisschen wie die Spinne im Netz."

Auch vom italienischen Hafen Triest aus könne man schon jetzt, ohne den Bau neuer Pipelines, große Mengen Erdgas nach Bayern bringen - und künftig auch Wasserstoff. Transportiert werden kann freilich nur das Erdgas, das auch verfügbar ist - und hier liegt die Schwierigkeit. Der Füllstand der Erdgasspeicher in Bayern war zuletzt mit rund 57 Prozent noch etwas geringer als im bundesdeutschen Durchschnitt (65 Prozent).

Problemfall Speicher Haidach

Vor allem aber gibt es einen Problemfall: den besonders großen Speicher Haidach, der zwar Bayern versorgt, aber auf dem Staatsgebiet Österreichs liegt und dem russischen Gazprom-Konzern gehört. Dieser Speicher ist noch immer weitgehend leer. Zwar gibt es Gespräche zwischen Österreich und Deutschland, um das Problem zu lösen. Alle Seiten bewerten sie als vielversprechend. Aber es fehlt weiterhin der nötige Staatsvertrag.

Streitpunkt ist vor allem, wer das sehr teure Erdgas bezahlen muss, mit dem der Speicher gefüllt werden soll. Darüber sind Monate vergangen. Inzwischen ist nach Einschätzung von bayernets-Geschäftsführer Jenn fraglich, ob die Zeit noch ausreicht, um den Speicher Haidach bis November auf die eigentlich vorgeschriebenen 90 Prozent Füllstand zu bringen: "Aber letztendlich hilft uns jeder Kubikmeter Gas, der irgendwo gespeichert ist, für das Winterhalbjahr. Es gilt, möglichst schnell anzufangen."

Anlage am Gasspeicher Haidach in Österreich

Der Gazprom gehörende Gasspeicher Haidach in Österreich spielt eine Schlüsselrolle für die Gasversorgung Bayerns.

Bayern erzeugt nur noch wenig Strom

Bei der Stromversorgung ist die Ausgangslage Bayerns grundsätzlich schwieriger als in anderen Regionen Deutschlands. Die bayerischen Kohlekraftwerke sind zum Großteil bereits seit den 1990er-Jahren abgeschaltet. Die Stromversorgung des Freistaats basierte deshalb vor dem Ausstiegsbeschluss zu zwei Dritteln auf Kernkraft. Die wird nach geltender Gesetzeslage ab 1. Januar vollständig wegfallen.

Die großen Gleichstromleitungen, die Bayern mit den Wind- und Kohlekraftwerken in Nord- und Ostdeutschland verbinden sollen, sind aber noch nicht fertig. "Die Planung des Bundes, Erdgas in der Stromerzeugung vor allem durch den verstärkten Einsatz alter Kohlekraftwerke zu ersetzen, geht daher in Bayern nicht auf", schreibt das bayerische Wirtschaftsministerium.

Forderung nach Stresstest

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und Ministerpräsident Markus Söder fordern deshalb seit Monaten von der Bundesnetzagentur einen so genannten Stresstest. Dieser soll nachweisen, dass die Stromnetzkapazitäten im kommenden Winter ausreichen, um den in Bayern benötigten Strom aus anderen Bundesländern bereitstellen zu können.

Inzwischen liegt solch eine Analyse vor. Die Strom-Übertragungsnetzbetreiber haben darin mit einberechnet, dass ein Großteil der Kernkraftwerke in Frankreich vorerst nicht zur Verfügung steht - und sie legten besonderes Augenmerk auf die geringe Stromerzeugung in Bayern. "Es werden da auch immer die Worst-Case-Szenarien berechnet", sagt Ina-Isabelle Haffke vom Stromnetzbetreiber Tennet. Das Ergebnis: "Wir sehen weiterhin die Versorgungssicherheit gewährleistet."

Grundlage dafür sind auch Kohlekraftwerke, die jetzt deutschlandweit aus der Reserve geholt wurden - und beispielsweise das 50 Jahre alte Ölkraftwerk Irsching 3 bei Ingolstadt. Außerdem Ersatzkraftwerke, die in Österreich unter Vertrag stehen.

Ohne Erdgas für Kraftwerke geht es nicht

Die Analyse der Netzbetreiber setzt voraus, dass sich auch diese ausländischen Lieferanten im Notfall weiterhin an die Verträge halten. Und: In den Stunden, in denen der Strom knapp wird, müssen auch die bayerischen Gaskraftwerke laufen. Das bedeutet: Es muss auch Erdgas für diese Kraftwerke zur Verfügung stehen. Gemäß dem Notfallplan Gas haben diese systemrelevanten Kraftwerke auch tatsächlich Vorrang bei der Erdgaszuteilung. Normalerweise sollte die Versorgung somit funktionieren.

Die bayerische Staatsregierung vermisst trotzdem einen Nachweis, dass dies auch im Falle eines kompletten Wegfalls der Gaslieferungen aus Russland gewährleistet ist. Und auch Detlef Fischer vom Verband der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) spricht von einer "prekären Situation", weil Bayern im Extremfall bis zu sieben Gigawatt Strom importieren müsse - etwa die Produktion von sieben Kernkraftwerken.

Der VBEW schließt sich der Forderung der bayerischen Staatsregierung an, das Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut nicht wie geplant zum Jahresende abzuschalten, sondern als zusätzliche Sicherheit zu behalten. Es gehe zwar auch ohne, aber die Energieversorgung Bayerns sei inzwischen "auf Kante genäht".

Zweiter Stresstest soll Aufschluss geben

Offenbar wachsen auch im Bundeswirtschaftsministerium die Bedenken. Am Wochenende kam von dort die Ankündigung, dass noch ein zweiter Stresstest bei den Strom-Übertragungsnetzbetreibern in Auftrag gegeben wird. Dabei sollen nochmals verschärfte Szenarien durchgerechnet werden. "Dazu gehören zum Beispiel noch höhere Preisannahmen als im ersten Stresstest, ein noch gravierenderer Ausfall von Gaslieferungen und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken", erklärte das Ministerium. Auch die spezielle Situation in Bayern und Süddeutschland soll, wie beim ersten Stresstest, in den Blick genommen werden. Ein Ergebnis wird  innerhalb der nächsten Wochen erwartet.

Klar ist: Mehr Stromleitungen, mehr gesicherte Kraftwerksleistung, mehr Erdgaslieferungen aus Übersee - all das würde zu größerer Sicherheit im Energiesystem beitragen, nicht nur in Bayern. Eine große Aufgabe, nicht nur für diesen Winter, sondern für die kommenden Jahre.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 18. Juli 2022 um 07:00 Uhr.