
Unabhängigkeit von russischem Öl Wie viel Sprit ein Tempolimit spart
Um die Abhängigkeit von russischen Ölimporten zu senken, werden Forderungen nach Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen laut. Wie viel Sprit ließe sich dadurch einsparen?
"The German Autobahn" - für Menschen jenseits von Deutschland ein Phänomen und weltweit eine Rarität. Sonst muss man für grenzenlose Geschwindigkeitsfreiheit nach Haiti, Nepal oder Nordkorea reisen. In Europa zumindest findet sich kein weiteres Land mehr ohne allgemeines Tempolimit auf Autobahnen oder entsprechenden Straßen.
Und genau darum ist nun wieder eine Debatte entfacht. Denn eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen könnte den Spritverbrauch in Deutschland senken und damit auch den Bedarf an Importen von Rohöl und Ölprodukten. Das könnte wiederum dazu beitragen, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen rasch zu senken - ein erklärtes Ziel angesichts des russischen Angriff Russlands auf die Ukraine.
Tempolimit beeinflusst Fahrverhalten
Bevor es um die ökonomischen und klimafreundlichen Potenziale eines möglichen Tempolimits geht, lohnt ein Blick auf die deutschen Straßen und das dortige Fahrverhalten: Auf 70 Prozent der Autobahnstrecken herrscht freie Fahrt bei einer Richtgeschwindigkeit 130 Kilometern pro Stunde. Wie schnell tatsächlich gefahren wird, ermittelt die Bundesanstalt für Straßenwesen für die unterschiedlichen Abschnitte. Ohne Limit liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit bei 125 km/h, bei Tempo 120 wird im Schnitt 115 km/h gefahren und bei Tempolimit 100 durchschnittlich 103 km/h.
Doch Philipp Klöckner vom Umweltbundesamt weist auf einen Haken hin: "Ein großer Teil der Fahrerinnen und Fahrer hält sich nicht immer an geltende Geschwindigkeitsbegrenzungen. Bei Tempo 120 überschreiten etwa 40 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer die vorgegebene Geschwindigkeit", sagt er. "Es reicht daher nicht, einfach die Durchschnittsgeschwindigkeiten zu betrachten. Wir beziehen bei unseren Berechnungen die Verteilung der unterschiedlichen gefahrenen Geschwindigkeiten mit ein. Denn Spritverbrauch steigt nicht linear."
Fährt der Pkw schneller, ist das Fahrzeug mehr Luftwiderstand ausgesetzt und benötigt mehr Kraft, also auch mehr Kraftstoff, um sich fortzubewegen. Langsamere Fahrer können den höheren Verbrauch von Rasern nicht ausgleichen.
2,1 Milliarden Liter Einsparung bei Tempo 100
Das Umweltbundesamt hat schon vor Jahren eine Studie zu den Umwelteffekten und Einsparpotenzialen durch ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen verfasst. Anlässlich der drohenden Gas- und Ölkrise hat es seine Zahlen aktualisiert: 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe könnten jährlich in Deutschland eingespart werden, wenn auf Autobahnen Tempo 100 und außerorts Tempo 80 gelten würde. Das entspreche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor.
Welchen Effekt hätte das auf die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdöl? "Ein Tempolimit könnte fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren", schätzt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Forderungen nach Tempo 30 in Ortschaften
Die Deutsche Umwelthilfe, die sich schon länger für ein Tempolimit von 100 km/h tagsüber und 120 km/h nachts einsetzt, hat ihre Forderungen angesichts der Energiekrise verschärft. Sie setzt nun auf die Formel 100 - 80 - 30. Das bedeutet: 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und flächendeckend 30 km/h innerorts. Laut eigenen Berechnungen kommt die Deutsche Umwelthilfe mit diesem Modell sogar auf Einsparpotenziale von insgesamt 3,7 Milliarden Liter Benzin und Diesel im Straßenverkehr.
Greenpeace plädiert auch für das dreistufige Tempolimit - zeitlich begrenzt für die Dauer des Krieges. Die Umweltorganisation sieht in den Geschwindigkeitsbegrenzungen noch einen weiteren Einspareffekt für Kraftstoff: Wenn alle ähnlich schnell fahren, entstehen weniger Geschwindigkeitswechsel. Auch das verbrauche weniger Sprit.
Autofreier Sonntag als Option
Greenpeace ist außerdem dafür, eine Maßnahme aus der Ölkrise 1973 wiederzubeleben: Würde ein Jahr lang zweimal im Monat ein autofreier Sonntag eingeführt, könnten 1,3 Milliarden Liter fossile Brennstoffe eingespart werden. Das entspreche 2,6 Prozent des Kraftstoffabsatzes in Deutschland und 1,4 Prozent der Ölimporte, so Greenpeace.
Neben den Spareffekten beim Kraftstoff hätte ein Tempolimit noch weitere positive Auswirkungen: Auch wenn das Autobahnnetz laut Bundesverkehrsministerium nur 1,5 Prozent des Straßennetzes ausmacht, entstünden hier 40 Prozent der CO2-Emissionen durch Pkw in Deutschland, so das Umweltbundesamt. Es geht in seinen Berechnungen von möglichen CO2-Einsparungen von 5,3 Millionen Tonnen aus. Die Deutsche Umwelthilfe kommt mit ihrem Modell 100 - 80 - 30 sogar auf 9,4 Millionen Tonnen CO2, die jährlich weniger freigesetzt würden.
Das Umweltbundesamt hat zudem Kosteneinsparungen von bis zu 4,3 Milliarden Euro ermittelt und noch einen weiteren Aspekt erwähnt, der in Geld nicht aufzuwiegen ist: Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland könnte sich schätzungsweise halbieren.
Maßnahmen-Cocktail gegen die Energiekrise
Die DIW-Energieexpertin Kemfert betont immer wieder, dass ein Tempolimit sinnvoll sei, vor allem in Verbindung mit weiteren Energiesparmaßnahmen. Vor allem müsse aber der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorankommen. Ein Appell, der Richtung Politik zielt.
Ein weiterer Appell oder vielmehr eine Empfehlung, die sich auch an den einzelnen Verbraucher richtet, kommt vom Umweltbundesamt: Man solle nicht nur weniger und langsamer Auto fahren, sondern auch sonst sein Verhalten ändern. Zum Beispiel die Heizung herunterdrehen und einen wassersparenden Duschkopf verwenden.
Vor allem FDP gegen Tempolimit
Eine Umsetzung des Tempolimits wird bislang vor allem von der FDP im Bundestag gebremst. Verkehrsminister Volker Wissing sagte außerdem, es fehle an Verkehrsschildern für eine schnelle Umsetzung. Doch ganz vom Tisch scheint es nicht zu sein. Die Diskussion über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen hat wieder Fahrt aufgenommen.
Philipp Klöckner vom Umweltbundesamt ist über die Art und Weise immer wieder erstaunt. "Die Debatte um das Tempolimit wird sehr emotional geführt. Das ist für uns überraschend, denn ein Großteil der Bevölkerung ist tatsächlich dafür", sagt er. "Das wird aber kaum wahrgenommen, weil die Gegnerinnen und Gegner besonders laut sind."
Und womöglich immer noch dem Motto des 80er-Jahre-Hits von Markus anhängen: "Ich will Spaß, ich will Spaß. Ich geb Gas, ich geb Gas."