
Nach Stresstest Habecks grüner Weg mit Notausgang
Trotz der gegenteiligen Empfehlung der Netzbetreiber gehen die AKW vorerst zum Jahresende vom Netz. Damit bleibt Habeck einer klassischen Grünen-Position treu und lässt sich dennoch eine Hintertür offen.
Die Stromversorgung könnte im Winter unter bestimmten Bedingungen an Grenzen geraten. Das zeigt der neue Stresstest der Stromnetzbetreiber. Die Unternehmen empfehlen daher den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Doch das geht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu weit - zumindest vorerst.
Es ist eine Pressekonferenz, in der zwei Welten aufeinanderprallen. Da sind auf der einen Seite die Stromnetzbetreiber, die im Auftrag der Politik errechnet haben, ob der Strom im Winter reicht. Ob also der Strombedarf zu jeder Zeit gedeckt werden kann und ob die Netze für den Ausgleich zwischen Stromanbietern und Stromnachfragern sorgen können. Die düstere Botschaft: Die Versorgungssituation in Deutschland und in ganz Europa könnte im Winter "äußerst angespannt" sein, in Extremsituationen könne es sogar zu einem "geordneten Abschalten von Verbrauchern für begrenzte Zeiträume" kommen. Ein Alarmruf.
Bündel an Maßnahmen
Natürlich muss es dazu nicht kommen, schließlich wird hier mit Szenarien gerechnet: Mit einem besonders kalten Winter. Einem hohen Gaspreis. Problemen bei anderen Energieträgern. Doch Annahmen, die noch zu Beginn des Stresstests Mitte Juli als extrem galten, haben sich inzwischen als reale Möglichkeit erwiesen.
Vor diesem Hintergrund raten die Stromnetzbetreiber zu einem ganzen Bündel an Maßnahmen, um die Versorgungssicherheit im Winter zu gewährleisten: Es sei sinnvoll und notwendig, alle Möglichkeiten der Stromerzeugung zu nutzen - und damit auch die drei noch verbliebenen Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2. Deren Weiterbetrieb könne dafür sorgen, dass eine "Lastunterdeckung weitgehend vermieden" werden könne und dass auch das Netz etwas stabiler werde.
Grüne hätten Streckbetrieb wohl akzeptiert
Für Habeck hätte das Ergebnis dieses Stresstests die goldene Brücke sein können, um die Atomkraftwerke ein paar Monate länger laufen zu lassen, im so genannten Streckbetrieb, mit dem sich zuletzt auch einige Spitzenpolitiker der Grünen anzufreunden schienen. Doch so weit geht der Wirtschaftsminister dann doch nicht - noch am Nachmittag hat er sich mit Parteifreunden beraten.
Sein Vorschlag: Emsland soll Ende des Jahres wie geplant dichtmachen, Isar 2 und Neckarwestheim 2 sollen für ein paar Monate zu Reservekraftwerken werden. Abgeschaltet, um in einer Notsituation und für eine Übergangszeit bis zum April 2023 eventuell doch noch zur Verfügung zu stehen. Eine Abwägungsentscheidung sei das für ihn, so die Begründung des Wirtschaftsministers: Die Atomenergie sei schließlich eine Hochrisikotechnologie. Und was die Entwicklung am Energiemarkt angehe: Im Dezember wisse man mehr, so Habeck, der gleichzeitig zugibt, dass Entscheidungen, je später sie getroffen werden, mit mehr Schwierigkeiten verbunden sind.
Atomkraft bleibt Option
Für die aktuelle Situation am Strommarkt ist Habecks Entscheidung somit im Grunde keine Entscheidung. Die Frage der kurzfristigen Weiternutzung der Atomkraft bleibt in der Schwebe. Vielleicht ganz bewusst angesichts der heftigen Diskussionen um die Atomenergie im Vorfeld der Niedersachsen-Wahl - also dort, wo die Grünen stark mit der Anti-AKW-Bewegung verbunden sind. Von einem "politischen Notausgang" spricht man auch schon in der FDP.
So deutet sich auch nach der Vorstellung des Stresstests an, dass die Diskussionen um einen begrenzten Weiterbetrieb der Atomkraftwerke weitergehen werden. Es sei "eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen", twitterte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. Dabei geht es dem liberalen Koalitionspartner nicht nur um Klimaschutz und Versorgungssicherheit, sondern auch um den Strompreis, der zuletzt schwindelerregende Höhen erreicht hat. Je mehr Anbieter im Markt, desto niedriger der Preis, so die Hoffnung.