Steuerhinterziehung in Italien Italiens Zumwinkel regt kaum jemanden auf

Stand: 23.02.2008 02:26 Uhr

Was in Deutschland für Empörung sorgt, ist in Italien keine große Nachricht: Steuerhinterziehung. Leonardo Del Vecchio, der zweitreichste Mann im Land, tat es und der Medienrummel blieb aus. Doch die Regierung hat dem Steuerbetrug den Kampf angesagt.

Was in Deutschland für Empörung sorgt, ist in Italien keine große Nachricht: Steuerhinterziehung. Leonardo Del Vecchio, der zweitreichste Mann im Land, tat es und der Medienrummel blieb aus. Doch die Regierung hat dem Steuerbetrug den Kampf angesagt - mit Erfolg.

Von Jörg Seisselberg, ARD-Hörfunkstudio Rom

Italiens Zumwinkel heißt Leonardo Del Vecchio. Anfang der Woche saß der zweit­reichste Mann des Landes wegen Steuerhinterziehung auf der Anklagebank. Er habe mit seinen Firmen steuerlich getrickst, befanden die Richter, und verurteilten den milliardenschweren Brillenunternehmer, 20 Millionen Euro in die Staatskasse nachzuzahlen, Bußgelder inklusive. Anders als im Fall Zumwinkel stand bei Del Vecchio kein Fernsehübertragungswagen vor der Tür und auch ansonsten hielt sich die Aufregung im Land in Grenzen.

Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt

Diesmal haben die Finanzbehörden Italiens Vize-Dagobert-Duck gezwickt, hieß es in den Abendnachrichten. Eine kurze Meldung nur, ein paar Artikel in den Zeitungen – nach dem größten in den vergangenen Jahren bekanntgewordenen Fall von Steuerhinterziehung ging das Land schnell wieder zur Tagesordnung über. Del Vecchio musste auch nicht ins Gefängnis, weil er kooperativ war.

Steuerdelikte sind in Italien keine Verbrechen, die die Volksseele erhitzen. Sonst könnte sich Silvio Berlusconi kaum Chancen ausrechnen, zum dritten Mal Ministerpräsident zu werden. Gegen den Medienzaren und reichsten Mann des Landes läuft derzeit erneut ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Trotzdem will laut Umfragen eine Mehrheit der Italiener Berlusconi bei den Parlamentswahlen im April wieder zum Regierungschef wählen. Möglicherweise hat Berlusconi seinen Landsleuten aus der Seele gesprochen, als er vor einigen Jahren sagte, er könne jeden verstehen, der sein Portemonnaie zuma­che, wenn der Staat zuviel Steuern von ihm wolle. Berlusconi: "Es ist eine Wahrheit, die existiert, weil es diesen natürlichen Anspruch auf gerechte Steuern in den Köpfen und den Herzen der Menschen auf aller Welt gibt."

Kampf gegen Steuerbetrug

Der Mentalität, Steuerhinterziehung sei irgendetwas zwischen Kavaliersdelikt und Volkssport, hat die scheidende Regierung Prodi in den vergangenen zwei Jahren den Kampf angesagt. Es war ein Straßenkampf von Kaffeebar zu Kaffeebar, von Einzelhändler zu Einzelhändler. Alle, so eines der obersten Ziele der Mitte-Links-Koalition, sollten endlich wie vorgeschrieben Kassenbons ausgeben, damit der Fiskus die Einkünfte kontrollieren kann. Die Operation wurde zur Erfolgsstory, zum Frühstück bekommen die Italiener zu Cappuccino und Cornetto immer häufiger auch einen Kassenbon:

Um den Steuerbetrügern Druck zu machen, hat die Regierung Prodi Hunderte neue Kontrolleure eingestellt. Wer ihnen dreimal als Kassenbon-Sünder auffällt, dem wird für einige Wochen der Laden geschlossen. Auch im Zentrum der Innenstadt Roms blieben in diversen Geschäften die Rolläden unten – ein Zettel verkündete der Kundschaft offiziell einen plötzlichen dreiwöchigen Urlaub.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten

Die harte Linie gegen Steuersünder, die nicht nur Barbesitzer, sondern auch Juweliere, Autowerkstätten, Zahnarzt- und Anwaltspraxen trifft, hat viel Geld in die Staatskasse gespült. Aus Angst beim Steuerbetrug erwischt zu werden, geben Geschäfts­besitzer und Freiberufler in Italien in ihrer Steuererklärung jetzt durchschnittlich um 25 Prozent höhere Einnahmen an als vor einem Jahr. Die offiziellen Daten werden kommenden Monat bekannt gegeben. Nach den bislang durchgesickerten Informationen aber hat Italien durch die erzwungene neue Steuerehrlichkeit rund 10 Milliarden Euro mehr eingenommen. Davon können pro Jahr weit mehr als 100.000 Lehrer bezahlt werden.