Urteil des Europäischen Gerichtshofs Bauern dürfen mit alten Saatgutsorten handeln

Stand: 12.07.2012 14:03 Uhr

Europas Bauern dürfen selbst Saatgut aus alten, amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herstellen und verkaufen. Die EU-Richtlinie verbiete dies nicht, entschied der Europäische Gerichtshof. Ein industrieller Hersteller hatte ein bäuerliches Netzwerk verklagt. Die Reaktionen auf das Urteil sind gemischt.

Ob Salate, Rüben oder Tomaten: Bauern haben diese Sorten oft seit Generationen gezüchtet, doch nie den aufwändigen und teuren Prüfungen nach EU-Kriterien unterzogen und zertifizieren lassen. Diese schreiben etwa eine "Beständigkeit des Sortenbildes nach aufeinander folgenden Vermehrungen" vor. Da die Zulassung aber aufwändig und teuer ist, können sich dies meist nur große Unternehmen leisten.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun entschieden, dass diese Richtlinie es Bauern nicht verbietet, selbst Saatgut aus alten, amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herzustellen und zu verkaufen (Rechtssache C-59/11). Das Urteil ist von großer Bedeutung für Verbraucher, Landwirte und Agrarindustrie. Es stärkt die Rechte von Bauern, insbesondere Öko-Bauern.

Offizieller Sortenkatalog

Im Ausgangsfall war das in Frankreich entstandene bäuerliche Saatgut-Netzwerk Kokopelli von dem industriellen Saatgut-Hersteller Graines Baumax verklagt worden. Der Grund: Das Netzwerk hatte Saatgut von mehr als 461 Pflanzensorten im Angebot, die nicht in offiziellen Sortenkatalogen eingetragen waren. Graines Baumaux klagte wegen unlauteren Wettbewerbs auf 50.000 Euro Schadenersatz und ein Vermarktungsverbot der nicht im amtlichen Saatgut-Katalog eingetragenen Sorten.

Der EuGH stellte nun klar: Bäuerliche Saatgut-Netzwerke, wie das im Ausgangsfall beklagte Initiative Kokopelli erfüllen diese Voraussetzungen für die Zulassung ihrer alten Sorten zwar nicht. Doch der Verkauf dieser Sorten werde von der umstrittenen Richtlinie nicht ausgeschlossen, heißt es im Urteil.

Gemischte Reaktionen

Die Auswirkungen des Urteils sind umstritten: Nach Ansicht des Umweltverbandes BUND wurde der Agrar-Industrie mit ihrem Saatgut-Monopol "ein Strich durch die Rechnung gemacht". Auch das Bundesverbraucherministerium und der Bauernverband werteten das Urteil als Schritt für den Erhalt der Sortenvielfalt.

Kritiker bemängeln dagegen, dass es sich nur um Einzelfälle ohne breite Wirkung handle und die Vermarktungsverbote weitgehend bestehen blieben. Alte Sorten würden weiter verschwinden, klagte die Kampagne für Saatgut-Souveränität. "Wir haben mehr erwartet", sagte der Sprecher, Andreas Riekeberg.

Die Enttäuschung der Kritiker liegt am Plädoyer der EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott. In diesen sogenannten Schlussanträgen, denen das Gericht zumeist folgt, hatte Kokott eine völlige Aufhebung des Vermarktungsverbotes gefordert. Diese weitgehenden Hoffnungen machte das Gericht nun allerdings zunichte und wich von Kokotts Anträgen ab: Die Ausnahmeregelung sei keine "Liberalisierung des Marktes für alte Sorten" und die "Bildung eines Parallelmarktes" für sie auch nicht vorgesehen, heißt es in der Entscheidung.

Hart umkämpfter Markt

Der Markt für Saatgut ist hart umkämpft und wird von einigen großen Konzernen kontrolliert. Die bekanntesten sind der weltgrößte Agrar- und Biotechnikkonzern Monsanto, der wegen seiner gentechnisch veränderten Produkte umstritten ist, der Schweizer Agrarkonzern Syngenta und die US-Firma Dupont. In Deutschland gehören dazu Bayer (Teilkonzern Bayer CropScience) und BASF (Genkartoffel "Amflora"). Große Anbieter dominieren laut Bauernverband zwei Drittel des Marktes.

(Rechtssache C-59/11)