Debatte über Protektionismus Baustopp für neue Barrieren?

Stand: 28.05.2009 13:29 Uhr

Für die meisten Ökonomen sind protektionistische Maßnahmen ein Albtraum. Gleichwohl liebäugelten einige Staatschefs damit, um ihre Märkte in der Wirtschaftskrise zu schützen: US-Präsident Obama dachte über eine "Buy-American"-Klausel nach und auch Frankreichs Präsident Sarkozy war in Experimentierlaune.

Von Fabian Grabowsky, tagesschau.de

Nicht nur Catherine Ashton sah "alarmierende Anzeichen". Mit der EU-Handelskommissarin bangte selbst Papst Benedikt XVI, als er warnte, die Krise könne nur gemeinschaftlicgh gelöst werden. Und Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul fragte sich: Folgt der Wirtschaftskrise ein neuer Protektionismus?

Wenn die Wirtschaftslage schlecht ist, neigen Regierungen zu Handelsbarrieren: Zölle, Importquoten, Exportsubventionen. Sie wollen ihren Industrien mit diesen Abschottungen helfen, Branchen schützen und vor allem Arbeitsplätze erhalten.

Und derzeit die Lage ist besonders schlecht: Die Welthandelsorganisation (WTO) hält 2009 für das erste Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Welthandel schrumpft. Allein die deutsche Wirtschaft schrumpfte im ersten Quartal um 3,8 Prozent. Das ist das größte Minus seit Beginn der Berechnungen vor 39 Jahren.

Erinnerungen und Warnungen

Die Krise weckte sofort Erinnerungen an die der 1920er und 1930er Jahre - und den verzweifelten Protektionismus dieser Zeit. Massive US-Schutzzölle führten damals in die Katastrophe: Erst erließen andere Länder ebenfalls Strafzölle, dann brachen der US-Export und schließlich der Welthandel ein. Auch wenn manche Globalisierungskritiker heute wieder mit Handelsschranken sympathisieren - den allermeisten Ökonomen gilt Protektionismus spätestens seit 1930 als Teufelszeug.

Dementsprechend eindeutig fielen die internationalen politischen Reaktionen aus: Die G7 bekannten sich schnell dazu, "protektionistische Maßnahmen, die den wirtschaftlichen Abschwung nur verstärken würden, zu vermeiden". Die G20-Finanzminister wollten jeden Protektionismus sogar "bekämpfen".

"Sie wissen, dass sie so nicht aus dem Schlamassel kommen"

Latent sei die Gefahr einer Renaissance natürlich da, sagt Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Gespräch mit tagesschau.de - er sehe aber aktuell keine neuen Barrieren. Theorie und Praxis hätten sich eben seit 1929 deutlich weiterentwickelt: "Allen ist klar, dass sie damit aus diesem Schlamassel nicht herauskämen."

Kai Carstensen vom ifo-Institut sagt gegenüber tagesschau.de, protektionistische Tendezen gebe es zwar immer - er sei aber "ganz guter Hoffnung, dass wir dieses Mal um weit verbreite Handelsbarrieren Maßnahmen herumkommen". Auch wenn unklar sei, was passiere, wenn Massenentlassungen begännen.

Besonders Exportnationen wie Deutschland sind an neuen Barrieren nicht interessiert. Das hat die Bundespolitik in den vergangenen Wochen immer wieder betont. Der angeschlagene Export würde dadurch weiter beeinträchtigt: "Wem wollen sie dann deutsche Walzwerke verkaufen? Den deutschen Konsumenten im Elektronikmarkt?", fragt Dreger. Auch sein Kollege Carstensen sagt, jeder Staat überlege sich genau, ob er einen aussichtslosen Handelskrieg wirklich beginnen wolle.

Rettungsschirme und Abwrackprämien

Dabei hatte es zunächst durchaus Anzeichen für eine protektionistische Renaissance gegeben - Handelskommissarin Ashton sorgte sich nicht grundlos. Obama selbst experimentierte Anfang des Jahres mit einer "Buy-American"-Klausel. Bei öffentlich geförderten Bau- und Modernisierungsarbeiten sollten nur Stahl und Eisen "Made in USA" eingesetzt werden dürften.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kündigte an: Französische Autohersteller bekommen nur Staatshilfen, wenn sie in Frankreich produzieren und dort Arbeitsplätze erhalten.

Am Anfang der Krise habe es sicherlich entsprechende Tendenzen gegeben, sagt auch DIW-Experte Dreger. "Aber, wenn man dann mal richtig nachgedacht hat, wurde wenig davon umgesetzt." In der Tat milderte Obama "Buy American" ab, auch Sarkozy setzte seine Maßnahmen nicht durch. Druck aus dem Ausland hatte ihr Nachdenken wohl befördert.

Abwrackprämie, Konjukturpakete

Andere Maßnahmen wurden zwar durchgesetzt - wirken aber nur scheinbar protektionistisch. Viele europäische Länder wollen ihre Autohersteller mit einer Abwrackprämie stützen, allen voran Deutschland mit 2500 Euro. Umstritten? Ja. Protektionismus? Kaum. Denn die Prämie nutzt auch ausländischen Kleinwagenherstellern.

Auch die Milliarden-Konjunkturpakete kämen indirekt anderen Volkswirtschaften zugute, sagt Dreger: Sie kurbelten den Konsum an - und konsumiert würden eben auch ausländische Produkte. Ifo-Experte Carstensen hätte sich hier allerdings mehr Zusammenarbeit in Europa gewünscht, eine EU-weite Mehrwertsteuersenkung wäre so eine Option gewesen, sagt er.

EU-Sündenfall Milchsubventionen?

Überhaupt, die EU: Führte sie nicht Ende März auch die umstrittenen Exportbeihilfen für viele Milchprodukte wieder ein? Viele Milchbauern klagen über Existenzprobleme. Auch wenn dies keine direkte Folge der Finanzkrise ist - kommt der Protektionismus etwa ausgerechnet in der EU wieder?

Ja - aber nur verbal, antwortet Bettina Rudloff von der Stiftung Wissenschaft und Politik darauf im Gespräch mit tagesschau.de. Vor allem die Bauern neigten dazu, protektionistische Maßnahmen zu befürworten. Aber die Exportbeihilfen seien zulässig, bewegten sich im Rahmen dessen, was laut den WTO-Regeln möglich sei. Zudem täusche das traditionelle Bild von einer weiter wie früher gepäppelten EU-Landwirtschaft. Auch, wenn das Förderniveau hoch bleibe, habe es in den vergangenen Jahrzehnten "unglaublich große" Agrarreformen gegeben.

Entwarnung für die Absichten der EU

"Umso trauriger wäre es, wenn diese Reformen wieder auf dem Prüfstand kämen", sagt Rudloff - und gibt gleichzeitig Entwarnung: Ein Zurück zu den Subventionshochzeiten vergangener Jahrzehnte werde es wegen des geschrumpften Agrarbudgets im EU-Haushalt und den WTO-Regeln nicht geben.

Auch die Handelsexperten Carstensen und Dreger sehen die EU- abgesehen vom Sonderfall Agrar - klar auf anti-protektionistischem Kurs. Vor allem der Binnenmarkt stehe nicht in Frage. "Gerade die EU-Kommission setzt sich für offene Märkte ein", ist sich Carstensen sicher.

Kein Wunder, dass die sorgengeplagte EU-Kommissarin Ashton jetzt aufatmet: Inzwischen scheine die Nachricht angekommen zu sein, dass neue Barrieren nicht helfen werden, freute sie sich. Die gute Nachricht also: Zur Wirtschaftskrise kommt wohl kein Handelskrieg à la 1930 hinzu. Aber die Krise selbst ist damit noch nicht ausgestanden.