Sitzungsmarathon zur Schuldenkrise Das lange Wochenende von Brüssel

Stand: 22.10.2011 16:54 Uhr

In Brüssel reiht sich eine Sitzung an die andere - alle mit dem Ziel, die europäische Schuldenkrise zu bewältigen. Doch anstatt kleiner wird die Krise größer, denn Griechenland braucht noch mehr Geld. Im Vorfeld des ersten von zwei EU-Gipfeln wird auch immer klarer, dass die Banken viel stärker in die Pflicht genommen werden sollen.

Das Signal an die Finanzmärkte in der europäischen Schuldenkrise muss deutlich sein – da sind sich alle Verantwortlichen einig. Andernfalls droht eine massive Finanzkrise mit großen Gefahren für die Wirtschaft. Deshalb gibt es an diesem Wochenende in Brüssel einen wahren Sitzungsmarathon - am Vormittag berieten die 27 Finanzminister der EU-Mitgliedsstaaten über eine Erhöhung der Eigenkapitalquote europäischer Banken, über Arbeitsweisen des Euro-Rettungsschirms EFSF und vor allem, wie dem hochverschuldeten Griechenland wieder auf die Beine geholfen werden kann. Am Nachmittag kommen auch die EU-Außenminister zusammen und nochmals die 17 Finanzminister der Eurozone; abends treffen sich die konservativen Staats- und Regierungschefs. Morgen tagen dann zu ersten Mal die Staats- und Regierungschefs, für kommenden Mittwoch ist ein zweiter Gipfel geplant.

Dass die Lage Griechenlands mehr Gefahren birgt, als ursprünglich angenommen, wurde gestern wieder einmal deutlich. Auf ihrer Sitzung stellten die Finanzminister der 17 Euro-Staaten fest, dass die bislang beschlossenen Hilfen für Griechenland nicht ausreichen. Um wie viel Geld es geht, ist unklar. Fest steht nur, dass die Experten der sogenannten Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank nach Prüfung der griechischen Staatsfinanzen Alarm geschlagen haben.

Die Sonderprüfer befürchteten, dass die Geldgeber im schlimmsten Fall 444 Milliarden Euro nachschießen müssten, berichtete die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf einen Expertenbericht. Das wäre der Fall, wenn sich die Rezession verschärft, die Privatisierung nicht vorankommt oder die Risikoaufschläge für griechische Schuldtitel steigen. Andere Agenturen veranschlagen eine geringere Summe. Aber aus dem Papier der Troika geht auf jeden Fall hervor, dass Griechenland auf Jahre hinaus auf Zahlungen der Euro-Staaten angewiesen sein wird. Ohne drastischen Kurswechsel werde das Land frühestens in zehn Jahren wieder selbst am Finanzmarkt Geld aufnehmen können, heißt es in dem Papier. Bei einer Beibehaltung des Kurses würde die Gesamtverschuldung im Jahr 2020 noch bei 152 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen - im Jahr 2030 wären es noch 130 Prozent.

Banken sollen sich stärker beteiligen

Damit die Kehrtwende gelingt, sollen sich die Banken stärker an der Rettung Griechenlands beteiligen. "Wir haben uns gestern darauf verständigt, dass wir eine erhebliche Anhebung des von den Banken zu erbringenden Beitrags haben müssen", sagte Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker. Bislang sollen die Banken sich freiwillig an der Rettung beteiligen und auf 21 Prozent der Kreditsumme verzichten.

Wie hoch nun der Anteil sein soll, ist unklar. Doch aus dem Bericht der Troika geht hervor, dass bei einem Forderungsverzicht von 60 Prozent das Volumen der zusätzlichen öffentlichen Hilfe immer noch 109 Milliarden Euro betrage und bis 2020 griechische Staatsschulden von 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen seien. In den vergangenen Tagen hatten sich Vertreter der Bankenbranche für einen Schuldenschnitt von 50 Prozent ausgesprochen. So etwa der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Andreas Schmitz, Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis oder Commerzbank-Chef Martin Blessing. Ein solcher Schuldenerlass könnte den Berechnungen der Troika zufolge den Schuldenstand Griechenlands bis 2020 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken.

EFSF: Steuergelder zur Bankenrettung

Doch es liegt auf der Hand, dass dieser Schuldenschnitt viele Banken in Geldnöte brächte und sie ihrerseits auf staatliche Hilfszahlungen angewiesen wären. Dies zu verhindern, ist eine Aufgabe des Rettungsschirms EFSF (European Financial Stability Facility). Doch während seit Monaten feststeht, dass der EFSF mit 780 Milliarden Euro von den Euro-Staaten abgesichert werden soll, ist seine volle Funktionsweise noch nicht festgeschrieben.

Und genau darum drehen sich die kommenden beiden EU-Gipfel morgen und kommenden Mittwoch. Dort sollen die Staats- und Regierungschefs neue Arbeitsfelder des EFSF beschließen. Doch noch ist keine Vorlage bekannt. Die Finanzminister verhandeln noch über unterschiedliche Modelle, die nicht nur die griechische Krise sondern auch kommende Zahlungsengpässe europäischer Staaten abfedern sollen.

Frankreichs Bankenvorschlag vom Tisch

Frankreich hatte vorgeschlagen, den Rettungsschirm als Bank einzusetzen, die sich unbegrenzt Geld von der Europäischen Zentralbank leihen kann, um ihrerseits faule Staatsanleihen von angeschlagenen Geldhäusern aufkaufen zu können. Der EFSF und damit der Steuerzahler wäre damit in Besitz von Staatsanleihen, die einen Teil ihres Wertes verloren hätten. Doch angesichts eines völlig offenen Finanzrahmens scheint dieser Vorschlag vom Tisch zu sein.

Martin Bohne, M. Bohne, MDR Brüssel, 22.10.2011 10:11 Uhr

Jetzt wird der EFSF als eine Art Teilkaskoversicherung für private Gläubiger diskutiert. Demnach soll der Rettungsschirm im Falle einer teilweisen Staatspleite zwischen 20 und 30 Prozent der Kreditsumme absichern – eventuelle Verluste darüber hinaus müssten die Geldgeber selber tragen. Durch diese sogenannte Hebelwirkung würde sich die EFSF-Summe vervielfachen. Allerdings würde der Steuerzahler in diesem Fall Milliarden an private Gläubiger zahlen und stünde am Ende ohne Gegenwert da.

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn warnte denn auch vor einem solchen Mechanismus: "Die Hebelung sorgt zwar dafür, dass der EFSF mit den 780 Milliarden Euro mehr Kredit finanzieren kann, aber der Preis dafür ist hoch, denn mit der Hebelung wird es wahrscheinlicher, dass das Geld weg ist und damit auch der Beitrag der deutschen Steuerzahler." Ähnlich äußerte sich der Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest. "Durch eine Hebelung, die für den EFSF mehr Mittel verfügbar macht, steigen eindeutig die Risiken für die deutschen Steuerzahler. Egal, mit welchem Mechanismus das umgesetzt wird, das Risiko steigt auf jeden Fall", sagte das Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium.

Weidmann fordert weitergehende Schritte

Ein drittes Modell, die erneute Aufstockung des Rettungsschirms, stößt ebenso auf großen Widerstand. Davor warnte beispielsweise der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann. Eine weitere Option zur Bewältigung der Schuldenkrise sei die Schaffung einer "politischen Union mit Durchgriffsrechten der europäischen Ebene auf nationale Haushalte", sagte Weidmann. Dies erfordere aber "weitreichende Vertrags- und Verfassungsänderungen" sowie die Bereitschaft zur Aufgabe Teile der staatlichen Souveränität. Welcher Weg auch immer gewählt werde, die Regierungen der Euro-Staaten müssten "jetzt eine klare Richtungsentscheidung treffen, wie es mit der Währungsunion weitergehen soll", forderte Weidmann vor Beginn des Sitzungsmarathons in Brüssel.