Hintergrund

Uneinheitliche Regelungen Nur zehn Branchen haben einen Mindestlohn

Stand: 01.11.2011 06:39 Uhr

Auf ihrem Parteitag im November will die CDU eine Initiative für eine deutschlandweite Lohnuntergrenze debattieren. Dem Antrag zufolge soll die gelten, wenn es keine brancheninterne Mindestlohnregelung gibt. Damit wird im Prinzip ein Weg fortgeführt, den bislang nur zehn - eigentlich elf - Branchen gegangen sind.

36,4 Millionen Arbeitnehmer zählt das Statistische Bundesamt in Deutschland - die meisten von ihnen können von ihren Löhnen und Gehältern leben. Doch in einigen Wirtschaftszweigen werden die Beschäftigten so gering entlohnt, dass sie von Arbeit allein nicht leben können. Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und manche Partei sehen in einem flächendeckenden Stundenmindestlohn einen Ausweg.

Auch 82 Prozent der DeutschlandTrend-Befragten sahen zu Beginn des Jahres in der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns eine "sehr wichtige" oder "wichtige" politische Aufgabe. Und kurz vor der Bundestagswahl im September 2009 plädierten in einem DeutschlandTrend 68 Prozent der Unionsanhänger für eine Einführung – bei SPD, Linkspartei und Grünen lag der Anteil bei deutlich über 80 Prozent, nur bei der FDP waren die Anhänger mit je 50 Prozent unentschieden.

Dennoch können sich nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hierzulande lediglich rund 2,7 Millionen Beschäftigte auf einen Mindestlohn verlassen. In zehn Branchen haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf Untergrenzen geeinigt, die vom Staat auch überwacht werden können. Dabei schwankt der zu zahlende Stundenlohn je nach Wirtschaftszweig, Qualifikation und Arbeitsort von 6,53 Euro für einen Wachmann in Ostdeutschland bis zu 13 Euro für einen Fachwerker im westdeutschen Hauptbaugewerbe.

Doch warum können sich Beschäftigte der Pflegebranche, Gebäuderreiniger oder Elektrohandwerker auf einen Mindestlohn berufen, aber Gastronomiepersonal oder Fernfahrer nicht?

Produktionsgerechtigkeit und Aufstiegschancen?

Seitens der Arbeitgeber wird ins Feld geführt, dass die Aushandlung von Löhnen in erster Linie Sache der Tarifpartner sei. Auch gehe ein gesetzlicher Mindestlohn "zulasten von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen", stellte jüngst Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zum wiederholten Male fest. Seine Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) konstatiert zudem, dass eine branchenübergreifende Mindestentlohnung nicht gerecht sei: "Werden beispielsweise einfache Helfertätigkeiten ausgeübt, für die keine oder nur eine sehr geringe Qualifikation notwendig ist, ist ein niedrigeres Lohnniveau im Sinne einer produktivitätsgerechten Entlohnung folgerichtig." Eine Entlohnung müsse sich immer an der Tätigkeit orientieren und nicht an der individuellen Qualifikation des jeweiligen Arbeitnehmers. So sei unerheblich, ob ein Taxi von einem Akademiker gelenkt werde oder von jemandem ohne Berufsausbildung - "der Fahrgast bezahlt in beiden Fällen den gleichen Preis", so der BDA.

Die marktorientierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) geht noch einen Schritt weiter und behauptet: "Sollte es als Folge der Einführung eines Mindestlohns zu Preissteigerungen einheimischer Produkte kommen, würde die Mehrzahl der Deutschen auf ausländische Produkte umsteigen." Außerdem würde eine Beschneidung des Niedriglohnsektors vielen Arbeitslosen die Chance nehmen, im regulären Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.

Lohndumping als unfairer Wettbewerbsvorteil

Die Gewerkschaften halten dagegen: Es dürfe nicht sein, dass jemand, der Vollzeit arbeite, nicht von seinem Einkommen leben könne, wird DGB-Chef Michael Sommer nicht müde zu betonen. Lohndumping sei ein unfairer Wettbewerbsvorteil zu Lasten der Arbeitnehmer, schreibt der DGB auf der Internetseite mindestlohn.de. Ein Mindestlohn sei deshalb nicht nur sozial gerecht, er wirke auch produktivitätssteigernd: Nur wer nicht von ständigen Existenzängsten geplagt werde, könne gute Arbeit leisten.

Seit Jahren stehen diese Argumente im Raum und haben sich kaum verändert. Und dennoch gibt es den Mindestlohn in Deutschland - zumindest für zehn Branchen. Grundlage ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das die Große Koalition in dieser Form verabschiedete.

Zoll kann Verstöße mit bis zu 500.000 Euro ahnden

Voraussetzung für einen Mindestlohn auf dieser gesetzlichen Grundlage ist, dass Tarifvertragsparteien branchenspezifische Einkommensuntergrenzen in Tarifverträgen vereinbaren und die Rechtsverbindlichkeit beim Bundesarbeitsministerium beantragen. Erst wenn das Ministerium dann einen entsprechenden Erlass, der sich nicht von den Vorgaben der Tarifparteien unterscheiden darf, veröffentlicht, gibt es auch eine Handhabe gegen Verstöße. Die Einhaltung der Mindestlöhne wird von den Behörden der Zollverwaltung kontrolliert. Verstöße können als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden.

Doch der Zoll weiß, dass die gesetzliche Rahmenbedingungen keinesfalls einen Mindestlohn garantieren. Im elften Bericht der Bundesregierung zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung wird festgestellt, dass einige Arbeitgeber Arbeitszeitaufschreibungen nach unten verfälschen, um eine höhere Entlohnung je Stunde zu erreichen. Weitere Tricks sind demnach, dass "Arbeitnehmer und Arbeitgeber einvernehmlich einen unterhalb des Mindestlohnes liegenden Lohn vereinbaren". Oder dass Arbeitnehmer aus Angst um den Arbeitsplatz nur behaupten, den Mindestlohn zu erhalten, der tatsächlich gezahlte Lohn aber niedriger sei.

Bislang keine Verbindlichkeit für Leih- und Zeitarbeit

Doch nicht nur illegale Tricksereien torpedieren hierzulande die branchenspezifischen Mindestlöhne. Im Sommer verkündete die Zeit- und Leiharbeitsbranche, dass sich die Tarifparteien auf einen Mindestlohn von 6,89 Euro im Osten und 7,79 Euro im Westen geeinigt habe. Basis ist in diesem Fall das Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz, aber das Prinzip ist dem der anderen Branchen vergleichbar: Es bedarf einer Rechtsverordnung, damit der Staat kontrollieren kann. Doch genau die lässt auf sich warten. Es gebe Probleme bei der Umsetzung, heißt es bei Gewerkschaften, Arbeitgebern und im Ministerium. Der Antrag auf Rechtsverbindlichkeit sei gestellt, aber zur Überarbeitung an die Tarifparteien zurücküberwiesen worden. Woran es genau hapert, will keiner der Beteiligten sagen.