Interview

Interview mit Chinas Ex-Botschafter Mei Zhaorong "Die Deutschen sind nicht flexibel genug"

Stand: 24.08.2007 11:00 Uhr

China klaut Technologie, verpestet die Umwelt und verletzt Menschenrechte - das ist eine gängige Sicht auf China. Aber welches Bild haben die Chinesen von Deutschen? Das erklärt Ex-Botschafter Mei Zhaorong im Interview mit tagesschau.de.

China klaut Technologie, verpestet die Umwelt und verletzt die Menschenrechte. Das ist eine gängige Sicht auf China. Aber welches Bild haben die Chinesen von uns? Professor Mei Zhaorong studierte in der DDR Germanistik und vertrat China in Deutschland von 1988 bis 1997 als Botschafter. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, dass Deutschland zwar ein wichtiger Handelspartner sei, aber aus chinesischer Sicht auch Schwächen hat.

tagesschau.de: Deutschland hat eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Schuld daran wird gerne den Billiglohnländern wie China gegeben. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

Mei Zhaorong: Überhaupt nicht. Es ist verkehrt zu sagen, dass China daran schuld sei. Es ist richtig, dass viele deutsche Firmen in China investieren. Manche haben ihre Produktionsstätten verlagert, weil die Kosten in China niedriger sind. Es ist das Streben der deutschen Unternehmer, größere Gewinne zu erzielen. Das ist uns natürlich auch willkommen, weil wir gerne Auslandskapital anziehen. Aber das ist für beide Seiten vorteilhaft. Übrigens ist das auch eine Folge der Globalisierung, der internationalen Zusammenarbeit, für die sich Deutschland doch immer eingesetzt hat.

tagesschau.de: Ist Deutschland ein schlechter Verlierer, wenn es jetzt nach Schutz ruft?

Mei Zhaorong: Wir importierten 2006 insgesamt Waren im Wert von 800 Milliarden Dollar und sichern damit etwa zehn Millionen Arbeitsplätze. Die Unternehmen, die in China Produktionsstätten haben, haben bisher 2800 Milliarden Dollar als Gewinn aus China transferiert. Dieses Geld kann in Deutschland und den anderen Ländern durch irgendeinen politischen Mechanismus ihrer Regierung auch an diejenigen verteilt werden, die darunter gelitten haben. Sie sind der Urheber für die Globalisierung und müssen natürlich auch die Folgen tragen. Wir wollen weiter mit ihnen zusammenarbeiten. Das ist nicht nur von Vorteil für China, sondern auch für sie selbst.

tagesschau.de: Was müssten Deutsche lernen, um China besser zu verstehen? Sie hatten an anderer Stelle schon einmal angemerkt, dass beispielsweise Bundeskanzlerin Merkel China noch nicht gut genug kenne.

Mei Zhaorong: Es gibt bei uns in China ein Sprichwort: Wenn man die Materie nicht kennt, soll man nicht darüber reden.

tagesschau.de: Also soll Frau Merkel nicht über China reden?

Mei Zhaorong: Nein, das meine ich nicht. Das bezieht sich nicht speziell auf die Bundeskanzlerin. Sinngemäß soll es bedeuten, wenn man wirklich über China ein Urteil fällen will, dann muss man zuerst China kennenlernen. Es wäre verkehrt, von oben herab zu sehen oder nur europäische Maßstäbe an die chinesische Entwicklung anzulegen. China hat eine ganz andere Vergangenheit und ein ganz anderes Entwicklungsniveau, deshalb kann man nicht den europäischen Maßstab anlegen.

tagesschau.de: Wo fühlen Sie sich denn falsch verstanden?

Mei Zhaorong: Wenn man hier über die Menschenrechte in China spricht oder wenn die Presse sagt, die Chinesen stehlen Technologie und Arbeitsplätze, so ist das falsch. Das kann zu sehr negativen Folgen, sogar zu Konflikten führen.

tagesschau.de: Es kehren immer wieder deutsche Unternehmer aus China zurück und sagen, die Chinesen kopieren ganze Firmen. Wo kann da das Verständnis ansetzen?

Mei Zhaorong: Dass man von anderen Ländern lernt und weiterentwickelt, ist normal. Es gibt auch deutsche Firmen, die sich als Urheber chinesischer Produkte registrieren lassen. Das ist mehr als Piraterie. Es geht dabei auch um eine Mentalitätsfrage. Wir Chinesen neigen dazu, miteinander zu diskutieren, um Probleme zu lösen. Aber wir werden es nicht in der Zeitung groß schreiben und in dem Sinne die Bevölkerung beeinflussen, dass die Deutschen schlecht wären. Das ist nicht unser Stil. Manchmal habe ich den Eindruck, manche Europäer sitzen auf einem hohen Ross und versuchen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Man soll etwas bescheidener sein.

tagesschau.de: Was finden Sie in Deutschland vorbildlich?

Zur Person

Professor Mei Zhaorong wurde 1934 geboren, studierte Anglistik in Peking und Germanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Seine diplomatische Karriere startete er 1956. Unter anderem war er von 1985 bis 1988 Leiter der West-Europa-Abteilung im chinesischen Außenministerium. Von 1988 bis 1997 lebte er als Botschafter in Berlin. Heute ist er Direktor des Institute of World Developement in Peking und berät die chinesische Regierung in Fragen der deutsch-chinesischen Beziehungen.

Mei Zhaorong: Wir Chinesen sagen immer, die Deutschen arbeiten fleißig, sind korrekt und genau. Das sind die Vorzüge des deutschen Charakters. Aber auf der anderen Seite, sagt man, die Deutschen sind ein bisschen arrogant und manchmal nicht flexibel genug, manchmal zu starr.

tagesschau.de: In Deutschland gibt es eine latente Angst vor China, weil es groß, stark und vielleicht unbeherrschbar wird. Ist die Angst berechtigt?

Mei Zhaorong: Wenn Sie sagen, Sie haben Angst vor China: wovor? Sie müssen Fakten bringen, begründen, warum. Wenn China arm und rückständig geblieben wäre, dann wäre das eine Katastrophe, nicht nur für China. Es würde Millionen Flüchtlinge geben. Wir haben eine stabile Entwicklung, mit der die Bevölkerung zufrieden ist und wir gehen einem friedlichen Aufbau nach. Das ist ein Segen für die Welt. Soll China immer zurückbleiben? Europa ist stark. Ist Europa deshalb eine Bedrohung für China? Sie müssen auch in unsere Schuhe steigen. Wenn Sie sagen, Chinas Aufstieg ist eine Gefahr, wenn Sie in dieser Logik denken, dann müsste die größte Gefahr aus den USA kommen und an zweiter Stelle aus Europa, weil sie entwickelt und stark sind. Diese Logik geht nicht auf.

Das Interview führte Anja Mößner, tagesschau.de