Interview

Interview zum Kyoto-Abkommen "Politischer Druck ist ein vernünftiges Ziel"

Stand: 26.08.2007 22:35 Uhr

Das Einlenken Russlands machte es möglich: Gut 13 Jahre nach dem Umweltgipfel von Rio ist heute das so genannte Kyoto-Abkommen in Kraft getreten. Darin verpflichten sich die Unterzeichner, bis zum Jahr 2012 ihren Ausstoß an Treibhausgasen um fünf Prozent zu reduzieren - gegenüber dem Wert von 1990. Doch zugleich warnen Klimaforscher vor den dramatischen Auswirkungen des Klimawandels und fordern eine weitere Reduzierung des CO2-Ausstoßes. tagesschau.de sprach darüber mit dem Vorsitzenden des Umweltausschusses des Bundestags, Ernst-Ulrich von Weizsäcker (SPD).

tagesschau.de: Umweltpolitiker feiern das Kyoto-Protokoll als einen Meilenstein. Stimmen Sie in den Kanon ein?

Ernst-Ulrich von Weizsäcker: Das Abkommen von Kyoto war ein zwingend notwendiger erster Schritt. Ich war bei den Verhandlungen dabei und habe der damaligen Umweltministerin Angela Merkel geraten, zuzustimmen, weil auf diese Weise das Misstrauen der Entwicklungsländer ein Stück weit überwunden werden konnte. Das Protokoll richtet sich zunächst an die Hauptverursacher der Klimaveränderung, nämlich den Norden.

tagesschau.de: Das Protokoll sieht vor, dass der Ausstoß der Treibhausgase bis zum Jahr 2012 um fünf Prozent reduziert wird – gegenüber 1990. Ist das nicht ein reichlich bescheidenes Ziel?

von Weizsäcker: Es ist eindeutig ein viel zu kleiner Schritt, und das wusste man schon in Kyoto. Aber es war das Einzige, was man damals verhandeln konnte, und es muss erst einmal auf der Basis gegenseitigen Vertrauens der Mechanismus einer internationalen Umweltpolitik mit Muskeln eingeübt werden. Dafür ist der europäische Emmissionshandel genau das richtige Instrument. Es ist dann letztlich egal, ob in Deutschland oder in Portugal oder in Estland der CO2-Ausstoß gemindert wird.

tagesschau.de: Die USA als größte Verursacher von Treibhausgasen wollen sich an diesem Mechanismus nicht beteiligen. Wie stark schmälert das den Wert des Abkommens?

von Weizsäcker: Natürlich ist Klimaschutz auf Dauer ohne die USA und China nicht machbar. Aber Entwicklungen, die von Europa und auch von China und Japan ausgehen, setzen die Amerikaner unter Druck. Zum Beispiel: China will seine Autoflotte umweltfreundlicher machen, und viele US-amerikanische Autos werden schon 2005, spätestens aber 2008 nicht mehr nach China exportierbar sein. Oder nehmen Sie Europa: Wir modernisieren uns - vor allem durch den Emissionshandel - und lassen damit die Amerikaner hinter uns. Irgendwann wird die Wall Street rebellieren und sagen, wir müssen jetzt mitmachen.

tagesschau.de: Wenn man die Erwärmung auf zwei Grad gegenüber dem durchschnittlichen Wert vor der Industrialisierung begrenzen will, muss man bis 2050 den CO2-Ausstoß halbieren – so Umweltminister Trittin. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ist heute schon ein viel schärferes Abkommen erforderlich?

von Weizsäcker: Man muss daran stricken, dass ein über Kyoto wesentlich hinausgehendes Abkommen aufgebaut und auch beschlossen wird. Dafür müssen die Entwicklungsländer ins Boot geholt werden, und dies ist die Voraussetzung dafür, dass auch die Amerikaner mitmachen. Das hat schon Präsident Bill Clinton verlangt. Das Nach-Kyoto-Protokoll muss quantitativ und geographisch ehrgeiziger sein.

tagesschau.de: Und wie kann man die Entwicklungsländer für dieses Ziel gewinnen?

von Weizsäcker: Eine Idee lautet, dass jeder Mensch ein gleich großes Recht hat, die Atmosphäre zu belasten. Also auch ein armer Teufel in Kamerun oder Ekuador hat das gleiche Recht wie ein Millionär in den USA. Dieser kann sich aber zusätzliche Rechte dazu kaufen. Dies würde eine Art automatische Entwicklungshilfe bedeuten. Die reichen Länder müssten im Süden Emissionsrechte erwerben. Wenn man ein solches Regime weltweit etablieren würde, würden die Entwicklungsländer durch ihren bescheidenen Lebensstandard viel Geld verdienen. Sie hätten zudem ein Interesse daran, ihren wachsenden Wohlstand nicht in klimabelastende, sondern klimaschonende Technologien zu investieren. Auf diese Weise wäre das Engagement für den Klimaschutz für die Entwicklungsländer also lukrativ.

tagesschau.de: Das alles ist auch ein Hinweis darauf, dass viel von dem einzelnen Verbraucher abhängt. Wo könnte der Verbraucher hierzulande durch ein anderes Verhalten seinen Beitrag gegen den Klimawandel leisten?

von Weizsäcker: Natürlich hängt vieles von dem Verbraucher ab. Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, als würde die Schuldlast auf den Verbraucher abgewälzt. Auch die Politik und die Wirtschaft müssen einiges tun. Die Japaner zum Beispiel haben ein so genanntes „Top-Runner-Programm“ aufgelegt. Dieses benennt die Produkte - Waschmaschinen, Fernseher, Computer, Autos -, die Marktbeste in punkto Energieeffizienz sind. Wer nach einer gewissen Zeit immer noch „Energiefresser“ anbietet, kriegt dann eine Buße und darf sie nach einer weiteren Frist gar nicht mehr vermarkten. Dann ist der Verbraucher in der glücklichen Lage, dass er sich gar nicht mehr falsch entscheiden kann. Ein gewisser politischer Druck, um es dem Verbraucher leichter zu machen, ist ein vernünftiges Ziel. In diese Richtung wollen wir auch im Bundestag gehen. Trotzdem bleibt es natürlich eine Aufgabe von Verbrauchern, sich zu erkundigen, welche Produkte hier am Besten sind.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de