Hintergrund

Lokführer verhandeln wieder mit der Bahn Neue Runde für David gegen Goliath

Stand: 19.07.2007 05:07 Uhr

Die Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL unternehmen heute den vermutlich letzten Versuch, um einen unbefristeten Streik zu verhindern. Die Lokführer verlangen mehr Geld und einen eigenen Tarifvertrag - wie es schon Piloten und Ärzte vorgemacht haben. Die Alleingänge der Mini-Gewerkschaften lohnen sich.

Die Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL unternehmen heute den vermutlich letzten Versuch, um einen unbefristeten Streik zu verhindern. Die Lokführer verlangen mehr Geld und einen eigenen Tarifvertrag - wie es schon Piloten und Ärzte vorgemacht haben. Die Alleingänge der Mini-Gewerkschaften lohnen sich.

Von Britta Scholtys, tagesschau.de

Zahlreiche Großunternehmen haben es vorgemacht: Auf die großen Fusionen folgt die Zersplitterung. Was einst als Stärke gefeiert wurde, hat sich für manche als falsche Strategie erwiesen - ein Trend, der auch zunehmend bei den Gewerkschaften auftritt. Denn viele Berufsgruppen fühlen sich von den großen Einheitsverbänden nicht länger angemessen vertreten. "Identische Tarifverträge quer über viele Berufsgruppen werden einzelnen Beschäftigten nicht mehr gerecht", sagt der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Manfred Schell. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsbildern seien schlicht zu groß.

Schell steht mit seiner gewerkschaftlichen Sonderstrategie derzeit im Kreuzfeuer der Kritik - nicht nur beim Bahnkonzern, sondern auch bei den beiden anderen Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA. Denn während die Partnergewerkschaften mit ihrem Verhandlungsergebnis der 4,5-prozentigen Lohnerhöhung zufrieden sind, bleibt die GDL bei ihrer Forderung von bis zu 31 Prozent mehr Gehalt. Aus ihrer Sicht kämpft die GDL um eine angemessenere Entlohnung ihrer Mitglieder - konkret um eine Anhebung der derzeitigen Lokführer-Einstiegsgehälter von rund 1970 Euro brutto auf 2500 Euro brutto. Denn unterschiedliche Berufsbilder heißt unterschiedliche Anforderungen, unterschiedliche Verantwortlichkeiten - und folglich unterschiedliche Tarifverträge, so die GDL-Logik.

Vorbilder für diese "Sonder"-Strategie gibt es bereits einige: Auch die Krankenhausärzte und die Piloten nahmen mit ihren jeweiligen Gewerkschaftssatelliten Marburger Bund und Cockpit die Tarifverhandlungen für ihre Berufsgruppen selbst in die Hand - mit Erfolg. Die Krankenhausärzte erzielten Lohnerhöhungen um 13 Prozent, die Piloten bereits im Jahr 2001 um 16 Prozent.

Mangel an Solidarität?

Der Alleingang der Gewerkschaftszwerge bedeute eine "massive Aufweichung der Solidarität", so Arbeitsrechtler Eduard Picker im Interview mit tagesschau.de. Allerdings betont Picker auch: "Der Trend zur Aufspaltung ist richtig." Denn "große Kolosse wie zum Beispiel ver.di können dann nicht mehr schalten und walten, wie sie wollen".

In der Tat ist die Supergewerkschaft ver.di seit der Fusion im Frühjahr 2001 Vertreterin einer sehr heterogenen Gruppe: der Mitglieder der einstigen Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Und es scheint, als bekäme ver.di bei "so breit gesteuerten Interessen den Spagat bei den Verhandlungen nicht mehr hin", sagt der Politikwissenschaftler Berndt Karl Keller von der Universität Konstanz im Gespräch mit tagesschau.de.

Anders als bei großen Gewerkschaften wie beispielsweise der IG Metall, die im Arbeitskampf die starken Gruppen nach vorne schicken, um einheitliche Tarifverträge zufriedenstellend für alle auszuhandeln, deute sich nun eine Entwicklung an, bei der kleine Schlüsselgruppen ihre Stärke für die Durchsetzung von Einzelinteressen nutzen, so der Experte. Angesichts der Erfolge der kleinen Verbände sei damit der Nachahmungseffekt gegeben.

Schwächung von ver.di & Co

Was aber bedeutet das für die großen Einheitsgewerkschaften? Zunächst einmal: eine Schwächung. Denn natürlich "ist der Druck größer, wenn alle Schlüsselgruppen an einem Strang ziehen", sagt Heiner Dribbusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Gespräch mit tagesschau.de. Ein „solidarisches Verhalten“ wäre, wenn die GDL ihr Gewicht bei den Verhandlungen für alle einsetzen würde, so Dribbusch. Denn, sagt auch Keller, der Arbeitskampf zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern werde bei Alleingängen letztlich nur nach innen verlagert. Ein Budget-Verteilungskampf zwischen den Berufsgruppen entstehe - wie zum Beispiel bei den Ärzten, dem Pflegepersonal oder den Krankenhausangestellten oder derzeit bei den Lokführern und anderem Bahnpersonal.

Auch Gewerkschaftsexperte Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sieht "aus gesamtgewerkschaftlicher Sicht" in den Alleingängen "ein Problem". Sollte sich ein "Gewerkschaftswettbewerb" entwickeln, so "ist das nicht heilsam", sagt er im Gespräch mit tagesschau.de. Denn das Prinzip der Einheitsgewerkschaft bedeute auch ein "Plus für sozialen Frieden und soziale Stabilität", so der Experte. Deutlicher wird noch Arbeitsrechtler Picker: "Die Arbeitgeber sind diesen Funktionseliten praktisch hilflos ausgeliefert, weil es sich um Arbeitnehmer handelt, die ein Unternehmen faktisch stilllegen können", sagt er. Und auch Gewerkschaftsexperte Dribbusch meint, langfristig könne eine Aufspaltung der Interessen der Belegschaft "keine Strategie sein". Ob sich die Entwicklung allerdings stoppen lässt, ist offen.