Ein Teppichknüpfer in Marokko.

Corona-Folgen in Marokko Handwerker helfen sich selbst

Stand: 07.11.2020 03:42 Uhr

Marokko ist weltweit bekannt für seine Handwerkskunst: Berber-Teppiche, fein gefertigter Silberschmuck, Keramik- und Lederprodukte. Doch durch Corona ist das Handwerk in dem nordafrikanischen Land akut bedroht.

Vasen, Kochtöpfe, Lampen in unterschiedlichen Materialien, Größen und Farben. Abdelkarim Ben Ami, Anfang 50, zeigt sein Atelier - vorne die Ausstellungsstücke, hinten wird getöpfert. Im Hinterhof liegt das Rohmaterial in großen Hügeln aufgeschüttet: Erde. Rote, schwarze,weiße.  

Im Atelier Karim wird noch ganz traditionell getöpfert und kunstvoll per Hand bemalt - das ist selten geworden in Oulja, einem Künstlerkomplex in Salé, einer Stadt kurz vor den Stadttoren Rabats, Marokkos Hauptstadt. Ein Zentrum für traditionelle marokkanische Handwerkskunst. 

Die Töpferei als Berufung

Er töpfere, seit er die Augen geöffnet habe, witzelt Karim. Übernommen hat er das traditionelle Handwerk von seinem Vater und der wiederum von seinem Vater. Stolz erzählt Karim, dass auch sein ältester Sohn in seine Fußstapfen getreten sei - eine Seltenheit, denn das Handwerk sterbe aus. Viele hätten aufgegeben. Die Jungen ließen sich für das alte marokkanische Handwerk nicht mehr begeistern.

Dabei habe sein Sohn immer Arbeit und könne kreativ sein. Abdelkarim Ben Ami schätzt, dass 60 Prozent der Händler nur noch verkauften, ohne ihre Ware selbst herzustellen. Und es gebe immer weniger Kunden für qualitatives Handwerk.

"Mit all den Krisen, die sich auftun - Krise nach Krise - suchen die Leute nicht mehr nach Qualität, nach Dingen von Künstlern - sie suchen günstige Dinge." Früher, erzählt Karim, habe er auch mal Keramik gemacht - Teller, Geschirr -, "aber dann kamen die Chinesen und verkauften Teller in unserem Stil zum Kilopreis."

95 Prozent der Einnahmen weggebrochen

Und dann kam vor einigen Monaten auch noch Corona. Oulja wurde im Lockdown geschlossen. Laut einer Studie des Tourismusministeriums verloren marokkanische Kunsthandwerker während der dreimonatigen Ausgangssperre und des harten Lockdowns rund 95 Prozent ihrer Einnahmen.

Karim fühlt sich vom Staat im Stich gelassen. "Ich habe versucht, mich anzupassen, und mit meinen Materialen bei mir daheim gearbeitet. Unseren Mitarbeitern haben wir die Hälfte gezahlt, damit sie wenigstens etwas zu essen haben, etwas verdienen und damit wir sie nicht komplett verlieren. Sie waren einverstanden - aber ich hatte selbst überhaupt keine Einnahmen."

Der Keramikhandwerker ist mit seinen Problemen nicht allein: Der harte Lockdown in Marokko hat viele an den Rand der Existenznot getrieben. Luftraum und Grenzen wurden geschlossen. Die Touristen verschwanden aus den wuseligen Gassen der Medinas, die Türen der kleinen Kunst- und Handwerksläden blieben zu: wochen-, monatelang.

Handwerk wichtiger Wirtschaftszweig

Das marokkanische Handwerk beschäftigt laut Tourismusministerium rund zwei Millionen Menschen: Teppichweber und -händler, Silberschmuckschmiede, Lederwarenproduzenten und zahlreiche Töpfer wie Karim erwirtschafteten rund sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Marokko, mit einem Exportumsatz von etwa 91 Millionen Euro. 

Der Krise wollen zwei Frauen aus Marrakesch nun entgegentreten. Eine davon Nadia Noël, Mitinhaberinnen von Chabi Chic. Sie verkaufen hippe marokkanische Handwerkskunst. Corona brachte sie auf die Idee, erzählt Noël: "Marrakesch ist eine Stadt, die 100 Prozent vom Tourismus abhängt. Wir haben keine Industrie. Also haben wir das Projekt #savethemedina - rettet die Medina - ins Leben gerufen."

Sie und ihre Mitstreiterin seien zu den Familien gegangen und hätten buchstäblich an alle Türen geklopft und gefragt: "Haben Sie Sachen zum Verkaufen, können wir Ihnen dabei helfen, sie bei uns zu präsentieren?" Am Anfang hätten einige das nicht recht ernst genommen, erinnert sich Noël, "aber als wir wöchentlich mit Schecks vorbeikamen, haben sie die Wirkung verstanden."

Tradition trifft Moderne

Im Internet und in sozialen Medien präsentieren Noël und ihr Team unter dem Hashtag #savethemedina zahlreiche Teppiche, Lampen, Keramik-Geschirr - professionell fotografiert, per e-commerce landesweit und in die ganze Welt verkauft. Die Verwaltung und die Abwicklung des Verkaufs und Versandes - Noël und ihr Team verdienen daran nichts.

Sie wollen dem marokkanischen Kunsthandwerk etwas zurückgeben, mit dem sie seit Jahren ihre gut laufenden Boutiquen bestücken. Sie und andere marokkanische Verkäuferinnen haben auch schon die nächste Idee: Sie wollen eine marokkanische Online-Plattform für Künstlerinnen und Händler landesweit aufbauen - und durch E-commerce dabei helfen, Jahrhunderte alte marokkanische Tradition zu bewahren.

Dunja Sadaqi, Dunja Sadaqi, ARD Rabat, 06.11.2020 14:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 06. November 2020 um 08:36 Uhr.