
Arbeitende Rentner Mit 72 noch auf der Baustelle
Die Zahl der berufstätigen Rentner ist deutlich gestiegen. Viele von ihnen arbeiten in körperlich anstrengenden Berufen, etwa in Bau- oder Chemiefirmen oder im Maschinenbau - aus den unterschiedlichsten Gründen.
In Deutschland arbeiten schon jetzt mehr als 1,3 Millionen Frauen und Männer länger als sie müssten. Die Zahl der arbeitenden Rentner ist in den vergangenen vier Jahren deutlich gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Bundesagentur für Arbeit für den MDR. Demnach arbeiteten im Juni 2021 fast 300.000 Menschen in sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten "über die Regelaltersgrenze hinaus". So wird das Weiterarbeiten offiziell bezeichnet. Das ist ein Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zu 2017.
Etwas moderater fiel der Anstieg bei den Minijobs aus. In Deutschland stieg die Zahl von Männern und Frauen im Rentenalter mit Minijobs um rund fünf Prozent auf nun rund eine Million. Die Corona-Pandemie hat den Trend zu mehr beschäftigten Rentnern offensichtlich nicht beeinträchtigt. Dabei gehören die Älteren zur Risikogruppe für einen schwereren Verlauf der Krankheit.
Firmen schätzen die Erfahrung
Seit mehr als 20 Jahren schon beschäftigt die Firma von Arno Barthelmes Mitarbeiter nach dem Rentenbeginn weiter. "Unsere Senioren geben nicht nur ihre jahrelange Erfahrung weiter", sagt der Chef des Familienunternehmens aus Zella-Mehlis in Thüringen. "Die strahlen auch eine gewisse Ruhe im Unternehmen aus. Und ganz wichtige Sachen wie Anstand und Benehmen werden von den Älteren an die jüngere Generation weitergegeben."
Auch größere Unternehmen wie JENATEC Industriemontagen setzen seit Jahren bewusst auf Ältere. Der Personaldienstleister vermittelt 450 Mechatroniker, Schweißer, Elektriker oder auch Bauleiter. 15 von ihnen sind schon im Rentenalter. Sie arbeiten auch deswegen weiter, weil Firmen bewusst nach ihnen fragen. "Immer mehr unserer Kunden erkennen den Wert der erfahrenen Kollegen", sagt Firmenchef Peter Schmidt. Der bisher älteste Mitarbeiter von JENATEC habe auch mit 72 Jahren noch auf der Baustelle gearbeitet.
"Mir war einfach stinklangweilig"
Der 65-jährige Anton Janousch aus Lugau im Erzgebirgskreis hat eine schwere Krebserkrankung überstanden. Seitdem ist der gelernte Gleisbauer und spätere Vermögensberater offiziell in Rente. Trotzdem fährt Janousch für ein kleines Taxiunternehmen aus Lugau - auch nachts und am Wochenende. Jeden Monat kommen so rund einhundert Stunden Fahrtzeit zusammen. Der Rentner braucht das Geld aus seinem Taxifahrerjob. Seine private Krankenversicherung frisst einen zu großen Teil der Rente auf.
"Ich habe mit dem Taxifahren aber auch angefangen, weil ich nach dem Krebs nicht allein zu Hause rumsitzen wollte. Ich habe keine Angehörigen, ich habe nur eine Katze, und mir war einfach stinklangweilig", erzählt Janousch. So lange er gesund ist, will er weiter Taxi fahren. "Mein Chef hört in zwei, drei Jahren auch auf und so lange fahren wir noch miteinander", sagt Anton Janousch.
Geld ist nicht das wichtigste Motiv
Besonders in Medizin, Pflege und der Bildung arbeiten viele Frauen und Männer, die schon im Ruhestand sein könnten, wie eine Auswertung der aktuellen Arbeitsmarktzahlen nach Branchen zeigt. Eine aktuelle Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass für viele arbeitende Rentner das zusätzliche Einkommen nicht die zentrale Rolle spielt. "Der Großteil macht das aus dem eigenen Antrieb. Weil die Menschen Spaß an der Tätigkeit haben und weil sie aktiv sein wollen", sagt IW-Forscher Oliver Stettes. "Wo das Geld als Motiv genannt wird, ist nicht zwingend Altersarmut der Grund für die Beschäftigung."
Vier von zehn Firmen beschäftigen laut dem Forschungsinstitut bereits Senioren. Zunehmend erkennen die Betriebe, welchen Wert die Älteren für sie haben. "2015 wollten die Unternehmen ein Viertel der Leute halten. Drei Jahre später ist diese Zahl schon auf 58 Prozent hochgegangen. Heißt: Sechs von zehn Leuten, die in Rente gehen, würden die Unternehmen gern halten", sagt IW-Forscher Stettes. Nur so können Unternehmen den Wissenstransfer zu jüngeren Kollegen absichern und die Probleme durch den Fachkräftemangel zumindest etwas abfedern.
Vor allem im Osten ein Problem: Alte gehen, Junge fehlen
Auch Martin Witschaß von der Industrie- und Handelskammer Chemnitz hat das deutlich gestiegene Interesse von Firmen bemerkt, Ruheständler einzusetzen. Er hilft Unternehmen, wenn diese Fragen zu den Arbeitsverträgen mit Rentnern haben. "Da haben sich die Fallzahlen zuletzt verdoppelt und verdreifacht", sagt Martin Witschaß. Solche Anfragen werden in ganz Deutschland stark zunehmen. Da sind sich Experten und Unternehmer sicher.
Laut einer aktuellen IW-Studie aus dem letzten Oktober ist der Fachkräftemangel schon jetzt wieder höher als vor dem Beginn der Corona-Pandemie. Fast 400.000 Fachkräfte fehlen und damit 50.000 mehr als vorher - besonders im Osten Deutschlands. Vergleichsweise viele Arbeitnehmer gehen hier in Rente, gleichzeitig fehlt immer häufiger junger Nachwuchs.
Über dieses Thema berichtet heute Abend um 21.45 Uhr die ARD-Sendung Plusminus.