Prognosen für das Wachstum Wie die Wirtschaft durch die Krise kommt
Die deutsche Wirtschaft verkraftet die Folgen der Pandemie bislang besser als gedacht. Vor allem die Industrie kann sich behaupten. Für das kommende Frühjahr rechnen Ökonomen mit einer weiteren Erholung.
Und wieder sitzt Deutschland im Lockdown fest. Diesmal im sogenannten Lockdown light. Denn anders als im Frühjahr dieses Jahres, als der überwiegende Teil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens eingefroren wurde und große Bereiche der Industrie in Kurzarbeit gingen, sind dieses Mal vor allem die Lebensbereiche Freizeit und Unterhaltung betroffen.
Schwimmbäder, Kinos, Gastronomie und Fitnessstudios bleiben geschlossen, Weihnachtsmärkte und Karnevalsveranstaltungen fallen aus. Das soziale Leben steht still, während Unternehmen und Industrie das tun dürfen, wofür sie aus ökonomischer Sicht da sind: Gewinne erwirtschaften und Wohlstand schaffen.
Ein flacher "Double Dip"
Deshalb scheint die deutsche Wirtschaft den erneuten Lockdown besser zu verkraften als gedacht. Sackte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vom ersten Lockdown hart getroffenen zweiten Quartal noch um 9,8 Prozent zum Vorquartal, gab es im dritten Quartal bereits ein Wachstum von 8,2 Prozent - eine Momentaufnahme, wie es scheint.
Aufgrund der aktuellen Corona-Lage sieht es danach aus, als durchlaufe die Wirtschaft ein "Double-Dip"-Szenario. Davon sprechen Experten, wenn zwei konjunkturelle Schwächephasen mit einer zwischenzeitlichen Erholung aufeinander folgen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Die Kurve dürfte Experten zufolge viel flacher bleiben als beim ersten Rückschlag.
Autohersteller holen auf
So zeigte der heutige ZEW-Index, dass deutsche Finanzexperten optimistischer in die Zukunft blicken als noch vor einem Monat. Zuletzt stiegen auch die Auftragseingänge der Unternehmen sechsmal in Folge. Im vergangenen Oktober fiel das Plus nicht nur deutlich stärker aus als Fachleute prognostiziert hatten. Auch das Vorkrisenniveau aus dem Monat Februar wurde erstmals wieder übertroffen. Und Deutschlands Vorzeigebranche, die Autohersteller, produzierte im November wieder mehr Fahrzeuge als vor der Krise.
Vor allem der deutschen Industrie ist es demnach zu verdanken, dass sich der ökonomische Schaden des zweiten Lockdowns in Grenzen halten dürfte. Die Zahlen der Autobranche würden zeigen, dass die Industrie von den deutlich gestiegenen Infektionszahlen und den neuerlichen von der Politik verhängten Corona-Einschränkungen kaum beeinträchtigt wird, unterstreicht Ralph Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank.
Das zeigen auch die aktuellen Produktionszahlen der Industrie, die zum sechsten Mal in Folge stiegen. Industrie, Bau und Energieversorger produzierten im Oktober zusammen 3,2 Prozent im Vergleich zum Vormonat mehr, wie das Bundeswirtschaftsministerium gestern mitteilte.
"Rückgrat der deutschen Wirtschaft"
Die Industrie sei "mit viel Rückenwind in den zweiten Lockdown gegangen" und könne nun "zu einer Stütze der Konjunktur werden", erklärte Ökonom Nils Jannsen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Jannsen stellt fest, dass die aktuellen Corona-Auflagen hauptsächlich "einzelne kontaktintensive Dienstleistungsbranchen" belasten würden.
"Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft beweist seine Stabilität in dieser besonderen Situation", kommentiert Jens Oliver Niklasch, Volkswirt bei der LBBW. Mit den Oktoberzahlen ließen sich die größten Sorgen vor einem erneuten scharfen Einbruch der Konjunktur im Schlussquartal zerstreuen.
Doch wie geht es weiter? Entscheidend sei, dass die Lockdown-Maßnahmen weder verschärft noch über den Winter verlängert werden - und dass die Industrie verschont bleibt, meint deshalb auch Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). 2020 werde es laut IW einen Einbruch von rund 5,5 Prozent geben.

Die Produktion bei VW geht weiter
Impfstoff sorgt für Optimismus
Insgesamt sind die Einschätzungen der Ökonomen aber einigermaßen optimistisch. "Die Impfstoff-News sind ein 'Game-Changer' und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt in den kommenden Monaten zur Normalität zurückkehren wird", lautet die Einschätzung von Michael Bissinger, Experte bei der DZ Bank.
So sieht das auch das IW: "Wenn das Impfen gut anläuft und die Infektionszahlen sinken, werden die Menschen zuversichtlicher und konsumieren und investieren mehr", sagte IW-Direktor Michael Hüther. "Setzt sich die Entwicklung erfolgreich fort, erreicht die deutsche Wirtschaft schon Ende des kommenden Jahres wieder ihr Vorkrisenniveau."
"Nach einem harten Corona-Winter wird sich die Wirtschaft dank der Fortschritte bei den Impfstoffen ab dem Frühjahr kräftig erholen", meint auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Sein Kollege Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank, erwartet eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau in der Eurozone etwa Mitte 2022.
Für die derzeit schwer gebeutelten Dienstleistungsbranchen, für Gastronomen, Hoteliers, für Kinobetreiber, Sportvereine und für das gesamte öffentliche kulturelle Leben werden die nackten Zahlen, auch wenn sie vielleicht dank einer robusten Industrie nicht so schlecht ausfallen wie befürchtet, nur ein schwacher Trost sein.