Interview

UN-Studie zur hohen Jugendarbeitslosigkeit "Der Frust wird politische Konsequenzen haben"

Stand: 22.05.2012 13:47 Uhr

Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist laut einer neuen UN-Studie dramatisch hoch. Es bestehe die Gefahr, dass es Europa mit einer "verlorenen" Generation zu tun bekommt - die politische Umwälzungen auslösen könnte, meint der Mitautor der Studie, Ekkehard Ernst, im Gespräch mit tagesschau.de.

tageschau.de: Herr Ernst, Sie haben das Phänomen Jungendarbeitslosigkeit auf der ganzen Welt untersucht. Sind die Gründe dafür zum Beispiel in Industriestaaten und Entwicklungsländern unterschiedlich?

Ekkehard Ernst: Unsere Studie zur Jugendarbeitslosigkeit zeigt ganz deutlich, dass es unterschiedliche Gründe gibt. In den Industriestaaten sind es vor allem krisenbedingte Gründe für den Anstieg. Dort ist die Jugendarbeitslosigkeit um fast ein Drittel angestiegen. In den Entwicklungsländern haben wir dagegen vor allem strukturelle Probleme, die verhindern, dass Jugendliche schneller einen Job finden. Dort wird die abnehmende Wachstumsdynamik auf den Weltmärkten über die nächsten Jahre auch zu einem weiteren Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit führen.

Zur Person

Ekkehard Ernst studierte Volkswirtschaft an der Universität Mannheim und der Universität des Saarlands und machte seinen Doktor an der "École des Hautes Études en Sciences Sociales" in Paris. Er ist Mitautor der UN-Studie zum Thema Jungendarbeitslosigkeit.

tagesschau.de: Europa ist hier also richtungsweisend - wen trifft es nach Ihrer Studie in der EU besonders hart?

Ernst: In der EU sind vor allem die südeuropäischen Länder besonders hart betroffen. Sie hatten auch schon vor der Krise relativ hohe Jugendarbeitslosigkeiten - aber dort hat sich die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen fast verdoppelt. Aber auch Länder wie Irland, die ja sehr stark unter einem Immobilienboom gelitten haben, sind relativ heftig von der Jugendarbeitslosigkeit betroffen.

tagesschau.de: Es gab schon vor der Krise Probleme in der Bildungspolitik. Nehmen wir das Beispiel Spanien: Welche Fehler hat man da gemacht?

Ernst: Es wurde vor allen Dingen am Markt vorbei ausgebildet. Das heißt, Jugendliche haben ein Ausbildungsangebot erhalten, das es ihnen nicht erlaubt hat, die Kompetenzen und Qualifikationen aufzubauen, die am Markt nachgefragt wurden. Die Jugendlichen sind dann häufig auch schon vorzeitig aus der Schule ausgestiegen, um einen Job zu finden, weil sie einfach keine Zukunft mehr im Bildungssystem gesehen haben. Es wird sehr schwierig werden, sie wieder zurückzuholen und ihnen eine Ausbildung zu geben, durch die sie sich eventuell in anderen Industrien, in anderen Sektoren einen neuen Job verschaffen können.

tagesschau.de: Wie könnte die Politik in der EU bzw. auf nationaler Ebene gegensteuern?

Ernst: In Europa ist es ganz wichtig, dass wir eine neue Wachstumsdynamik finden. Das heißt, eventuell ein Wachstumspakt, auch auf europäischer Ebene, ist extrem bedeutend, um in diesen Ländern entsprechende Stellen zu schaffen. Das Ausmaß der Arbeitslosigkeit ist dermaßen groß, dass es nicht ausreicht einzelne Stellschrauben anzupassen. Es muss stattdessen wirklich eine neue Wachstumsdynamik geschaffen werden. Und das kann besser auf europäischer Ebene erreicht werden als in den einzelnen Mitgliedsstaaten.

tagesschau.de: Angenommen, das Problem bleibt bestehen: Auf welche Folgen müssten wir uns einstellen?

Ernst: Die Jugendlichen, die jetzt aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, werden sich wahrscheinlich dauerhaft mit einem niedrigen Beschäftigungsniveau abfinden müssen - wenn sie nicht schnell wieder ins Arbeitsleben finden. Die Qualifikation, die sie eventuell vor der Krise hatten, geht verloren. Es wird eine extreme Frustration auftreten und natürlich wird das auch politische Konsequenzen haben. Und dann eventuell, wie schon in einzelnen Ländern gesehen, zu politischen Umwälzungen führen.

Die Fragen stellte Michail Paweletz, tagesschau24.