Interview

Interview zum G20-Gipfel An den Ursachen der Finanzkrise vorbei

Stand: 01.04.2009 20:13 Uhr

In London haben die G20 strengere Regeln für die Finanzmärkte beschlossen. Der Wirtschaftsexperte Martin Hellwig bezweifelt aber, dass die G20 an der richtigen Stelle ansetzen. Im Interview mit tagesschau.de sagt er: Die G20 gehen nicht auf die Ursachen der Krise ein.

In London haben die G20 strengere Regeln für die Finanzmärkte beschlossen. Doch setzen sie an der richtigen Stelle an? Und was wäre wirklich sinnvoll, um die Krise einzudämmen und um eine Wiederholung zu vermeiden? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Finanzexperten Martin Hellwig.

tagesschau.de: Halten Sie die G20 für das richtige Gremium für internationale Verabredungen zur Krisenbekämpfung?

Martin Hellwig: Ich bin da skeptisch. Was ist die Legitimation der G20 im Vergleich zu den Vereinten Nationen oder dem Internationalen Währungsfonds? Beide haben eine sehr viel breitere Basis. Ich bin auch skeptisch, wie viel an internationaler Abstimmung wirklich nötig ist. Eine internationale Vereinbarung begründet ein Kartell von Regulierern, ist sehr bürokratisch und unterbindet schnelle Anpassungen und Experimentieren auf lokaler Ebene.

Zur Person

Prof. Martin Hellwig ist Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die internationalen Finanzmärkte. Von 1998 bis 2004 leitete er die unabhängige Monopolkommission. Im März wurde Prof. Hellwig zum Sprecher des "Lenkungsrats Unternehmensfinanzierung" gewählt. Er gilt international als einer der führenden deutschen Ökonomen.

tagesschau.de: Am Anfang der Krisenbewältigung muss eine scharfe Fehleranalyse stehen. Stimmen Sie der These zu, dass die Krise durch eine fatale Deregulierung, absurde Renditeerwartungen und überzogene Boni-Systeme ausgelöst wurde?

Hellwig: Ausgelöst wurde die Krise durch Fehlentwicklungen in den USA - Stichwort: hypothekengesicherte Papiere - und durch Fehlentwicklungen in Europa. Hier ist insbesondere Deutschland zu nennen. Das Stichwort lautet hier: Landesbanken und Zweckgesellschaften. Unabhängig von den Auslösern wurde die Krise dann zu dem, was sie geworden ist, weil das Finanzsystem insgesamt fehlerhaft konstruiert ist. Das System der Bankenregulierung, vor allem die Methode der Eigenkapitalregulierung, hat erheblich zur Krisendynamik beigetragen.

tageschau.de: Hat man das nicht voraussehen können?

Hellwig: Man hätte es voraussehen können, wenn man darüber nachgedacht hätte. Aber das ist nicht geschehen. Ich habe schon Mitte der 90er Jahre auf viele dieser Effekte hingewiesen. Ich musste aber feststellen, dass die Bankenaufsicht sich nicht für die Wissenschaft interessierte, weil man als Bankenaufsicht ja ohnehin weiß, was man macht. Aus der Sicht der Betroffenen war es auch nicht wichtig, weil es deren Interessen zuwiderlief.

Nach einer langen Debatte über die Ausdehnung der Eigenkapitalregulierung auf die sogenannten Marktrisiken, das heißt die Risiken möglicher Kursverluste auf Wertpapiere, kam im Frühjahr 1995 der Vorschlag, dass die Banken ihre eigenen Risikomodelle verwenden könnten, um zu bestimmen, wie viel Eigenkapital sie für diese Risiken benötigten. Schon wenige Monate später wurde dieser Vorschlag in das Basler Abkommen zur Bankenaufsicht eingefügt - ohne jegliche Vorstellung davon, wie das auf das Finanzsystem wirken würde.

Im Vergleich mit dem Aufwand, den ein Pharmaunternehmen hat, bis es ein neues Medikament auf den Markt bringen darf, ist das völlig unverhältnismäßig. Diese Ergänzung des Basler Abkommens von 1996 ist der Hauptgrund, warum die Banken seither ihr Eigenkapital drastisch reduzieren konnten, beziehungsweise mit ihrem Eigenkapital dramatisch mehr Aktivitäten durchführen konnten.

"Die Risikomodelle haben nicht funktioniert"

tagesschau.de: Diese Reform hat vorausgesetzt, dass die Risikomodelle funktionierten.

Hellwig: Aber sie haben nicht funktioniert. Sie haben die Risiken aus den Hypothekenpapieren in den USA falsch erfasst. Als man das im Sommer 2007 erkannte, stürzte der Markt für hypothekengesicherte Papiere in den USA ab. Dabei stellte man fest, dass viele dieser Papiere ohne vernünftige Refinanzierung gehalten wurden, etwa bei den Zweckgesellschaften, die die IKB oder die Sächsische Landesbank eingerichtet hatten. Das hat den Einbruch der Preise noch mal verstärkt.

tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass jetzt die richtigen Schlüsse gezogen werden?

Hellwig: Die Politik sagt derzeit recht pauschal: Wir brauchen mehr Regulierung. Vieles erinnert mich an die Art und Weise, in der die US-Regierung nach dem 11. September sagte: 'Im übrigen waren wir immer der Ansicht, dass der Irak ein Übeltäter ist.' Wir wissen aber, dass der Irak mit dem 11. September wenig zu tun und dass diese Haltung der US-Regierung dem Kampf der Al Kaida schadete. Herr Steinbrück und Herr Sarkozy nehmen die Krise zum Anlass zu sagen: 'Im übrigen haben wir immer schon gewusst, dass Hedgefonds Übeltäter sind und reguliert gehören.'

Sie finden Hedgefonds nicht wegen ihrer Risiken schlecht, sondern weil diese auf den Hauptversammlungen den Managern sagen, dass sie sich mehr um den Aktienkurs kümmern müssen, gegebenenfalls auf Kosten von Arbeitsplätzen. Über diese Dinge kann man viel sagen. Aber sie haben nichts mit der Finanzkrise zu tun. Wenn ich sehe, welchen Raum die Hedgefonds jetzt bei den G20 einnehmen, scheint mir: Für eine Beschäftigung mit den eigentlichen Ursachen gibt es zu wenig Aufmerksamkeit.

"Der Bund sollte sich einmischen"

tagesschau.de: Was halten Sie für erforderlich?

Hellwig: Im Augenblick wäre wichtig, dass man die Krise bereinigt. Das heißt, dass der Staat nicht nur Kapital und Garantien gibt, sondern sich auch aktiv um die Restrukturierung der Banken kümmert. Nicht im Sinne einer Politisierung. Sondern in dem Sinne, dass die offenen Probleme nicht ein Jahrzehnt bestehen bleiben. Die Probleme der Hypo Real Estate zum Beispiel haben nur teilweise mit der Finanzmarktkrise zu tun, teilweise auch mit Altlasten noch aus den 90er Jahren. Die Erfahrung zeigt: Wenn man solche Altlasten vor sich herschiebt, dann können sich die Kosten vervielfachen, auch die Lasten der Garantiegeber. Der Bund sollte deshalb nicht so zurückhaltend an die Restrukturierung der Banken herangehen.

tagesschau.de: Das ist im Fall der Landesbanken nicht gerade simpel.

Hellwig: Hier gibt es auch ein Föderalismusproblem. Am meisten von der Krise betroffen sind in Deutschland die Landesbanken. Diese 'Ministerpräsidenten-Finanzierungs-Institute' sind aber politisch tabu. Da steht gleich das Verhältnis von Bund und Ländern zur Diskussion. Wenn man sich aber die Milliardenbeträge anschaut, um die es bei diesen Banken geht, habe ich kein Verständnis dafür, dass man so tut, als könne es weiter 'business-as-usual' geben. Dazu ist das für den Steuerzahler viel zu teuer.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de