Interview

Interview zu Folgen der Katastrophe in Japan Angst vor Absturz der Wirtschaft

Stand: 17.03.2011 00:29 Uhr

Beben, Tsunami, Strahlungsgefahr: Japans Konzerne spüren die Folgen der Katastrophe und mussten die Produktion einschränken. Das treffe besonders die weltweite Versorgung mit elektronischen Chips, sagt Ökonom Gern im tagesschau.de-Interview. Zugleich warnt er vor einer weitaus größeren Gefahr.

tagesschau.de: Welche Wirtschaftszweige sind von der Katastrophe in Japan am stärksten betroffen?

Klaus-Jürgen Gern: Im Moment ist der gesamte ostjapanische Raum dadurch betroffen, dass die Stromversorgung nicht sichergestellt ist. Die größten Schwierigkeiten gibt es offenbar bei der Produktion von elektronischen Bauteilen, insbesondere Chips. Das hat Auswirkungen auf viele andere Industriezweige wie die Automobilindustrie, die diese Chips in großem Umfang verwendet.

Zur Person

Klaus-Jürgen Gern ist Japan-Experte am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW). Zu seinen weiteren Forschungsschwerpunkten gehören die internationalen Rohstoffmärkte und Konjunkturanalysen.

"Sorgen in Deutschland"

tagesschau.de: Welche Unternehmen spüren die Folgen am stärksten?

Gern: In Japan selbst sind das die Hersteller dieser Produkte. Es gibt aber über die Lieferketten auch Auswirkungen in anderen Teilen der Welt. Betroffen sind die Wirtschaftszweige, die auf Produkte aus Japan angewiesen sind, die kurzfristig nicht ersetzbar sind. Man hört inzwischen, dass auch in Deutschland Sorgen bestehen, ob die Versorgung mit diesen wichtigen Bauteilen, die zum Teil nur in Japan hergestellt werden, auf längere Sicht sichergestellt bleibt. Es besteht die große Unsicherheit, dass wir im Moment einfach nicht wissen können, wie lange die Produktion in Japan stark eingeschränkt ist.

tagesschau.de: Mit welchen Mitteln versuchen die Unternehmen, die Probleme in den Griff zu bekommen?

Gern: Die Unternehmen müssen erstmal versuchen, die Produktion dort wiederherzustellen, wo sie aufgrund der Schäden durch das Beben gestört ist, und die Produktionsanlagen wieder einzurichten. Man kann sich vorstellen, dass gerade die Anlagen im Mikrochipbereich extrem empfindlich sind und wahrscheinlich im großen Umfang um das eigentliche Bebenzentrum herum aus der Bahn geworfen worden sind. Darüber hinaus ist aber abzuwarten, ob die Stromversorgung in dieser bedeutenden ostjapanischen Region um Tokio herum in Bälde wieder so hergestellt werden kann, dass es nicht deswegen zu Produktionseinschränkungen kommt.

tagesschau.de: Wie lange müssen die betroffenen Unternehmen und die internationalen Partner mit Einschränkungen rechnen?

Gern: Hier ist zum einen die Frage, wie lange es dauert, bis sich der Boden in Japan wieder so weit beruhigt hat, dass von dieser Seite keine Gefahren und Beeinträchtigungen mehr ausgehen. Auch bei der anderen Frage der Energieversorgung lässt sich von hier aus nicht abschätzen, wie lange das dauert.

tagesschau.de: Durch den Tsunami wurden auch viele landwirtschaftliche Anbauflächen zerstört. Was bedeutet das für die Nahrungsmittelversorgung in Japan?

Gern: Es bedeutet natürlich Einbußen. Aber ich habe noch keine seriösen Schätzungen gehört, wie groß der Umfang der Schäden tatsächlich ist. Die durch Erdbeben und Tsunami geschädigten Bereich dürften - gemessen an der Gesamtfläche - nicht so groß sein, dass es hier wirklich zu sehr bedeutenden Problemen kommt. Anders wäre es, wenn wir mit radioaktiver Strahlung Probleme bekommen würden.

"Keine seriöse Schätzung möglich"

tagesschau.de: Wie groß sind die kurz- und langfristigen Schäden für die japanische Wirtschaft?

Gern: Man kann nur hoffen, dass es nicht zum Allerschlimmsten kommt: Es ist überhaupt nicht absehbar, was passieren würde, wenn die Kernregion Japans um Tokio herum durch radioaktive Strahlung geschädigt würde. Selbst wenn es dazu nicht kommt, gibt es derzeit so große Unwägbarkeiten, was insbesondere das Problem der Energieversorgung angeht, dass wir hier eine seriöse Schätzung nicht abgeben können. Wenn diese beiden Probleme nicht wären, würde man aufgrund der Erfahrung mit Naturkatastrophen der Vergangenheit sagen, dass die Auswirkungen nur sehr kurzfristig und über das Gesamtjahr kaum spürbar wären - selbst in Japan nicht. Aber wir haben diese beiden Faktoren, wovon der eine in seinem Ausmaß überhaupt noch nicht abzusehen ist und es noch zu ganz katastrophalen Entwicklungen kommen kann.

tagesschau.de: Wenn aufgrund der Radioaktivität zum Beispiel Standorte innerhalb Japans massiv aus verstrahlten Gebieten verlagert werden müssten: Wie schnell ließe sich so etwas realisieren?

Gern: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich darüber keine wirklichen Vorstellungen habe. Das sind dann Dimensionen - wenn wir von diesem schlimmsten Fall ausgehen, dass nennenswerte Teile der Hauptwirtschaftsregion in und um Tokio herum betroffen wären - das wären Dimensionen, die alles bisher Dagewesene sprengen würden. Wenn es sich auf die enge Region um Fukushima herum begrenzt, wäre das vergleichbar mit einer Naturkatastrophe, wie wir sie bisher kennen. Dann würde man davon ausgehen, dass in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung die Kosten und Schäden nicht sehr ins Gewicht fallen. Die Erfahrung ist, dass in großen Ländern solche Ereignisse für die Wirtschaft insgesamt nur sehr begrenzten Schaden anrichten - und Japan ist wirtschaftlich, aber auch geographisch gesehen ein relativ großes Land. Wenn es sich um ein hochentwickeltes Land handelt, gilt das umso mehr, weil die Möglichkeiten des Wiederaufbaus und der Umschichtung von Produktionen in andere Landesteile eher gegeben sind als in unterentwickelten Ländern.

tagesschau.de: Wie wirkt sich die Lage in Japan auf die Weltwirtschaft und die Weltmarktpreise aus?

Gern: Hier müssen wir die Entwicklung abwarten. Wir können uns nur Szenarien überlegen, die günstiger aussehen oder ungünstiger. Absehbar ist, dass der Bedarf an fossilen Brennstoffen in Japan zunimmt. Im Moment sind die Ölpreise zwar gesunken - das liegt daran, dass die Produktion in Japan gedrosselt ist und dass es Risiken gibt, dass die Produktion auch woanders gedrosselt werden muss, und von daher kurzfristig die Nachfrage nach dem Brennstoff zurückgeht. Auf etwas längere Sicht muss man aber davon ausgehen, dass die japanische Energieversorgung in stärkerem Maße als bisher auf fossile Energieträger umgestellt wird und dass die Nachfrage nach Erdgas, Flüssiggas - was als Substitut für die Kernenergie in Frage kommt - aber auch die Nachfrage nach Öl steigt und die Preise entsprechend zulegen werden.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.