Ein Preisschild für Paprika hängt an der Gemüsetheke in einem Supermarkt in Berlin.

Teuerungsrate im Juni Inflationsrate sinkt überraschend

Stand: 29.06.2022 15:00 Uhr

Die Inflation hat sich in Deutschland im Juni überraschend abgeschwächt. Waren und Dienstleistungen verteuerten sich um 7,6 Prozent. Das nährt Hoffnungen, dass die Inflation ihren Hochpunkt bereits überschritten hat.

Die Verbraucherpreise in Deutschland sind im laufenden Monat nicht so stark gestiegen wie erwartet. Waren und Dienstleistungen kosteten in der Bundesrepublik im Juni durchschnittlich 7,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt in einer ersten Schätzung mitteilte. Ökonomen hatten laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters für Juni mit einem Anstieg der Inflationsrate auf 8,0 Prozent gerechnet. Im Mai hatte die Inflation mit 7,9 Prozent noch den höchsten Stand seit dem Winter 1973/1974 erreicht.

Nach Einschätzung von Experten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) dürfte "der Hochpunkt der Inflation in Deutschland überschritten worden sein". Diese Einschätzung teilen jedoch nicht alle Experten. So rechnet etwa der Chefökonom des Vermögensverwalters HG Trust, Michael Heise, erst für September mit einem Hochpunkt der Inflation.

Zeigen Tankrabatt und 9-Euro-Ticket Wirkung?

Zur Begründung für die gesunkene Juni-Inflationsrate verweisen Experten auf die Benzinpreise, die im Juni unter anderem dank des Tankrabatts gesunken seien. Auch das 9-Euro-Ticket könnte Ökonomen zufolge für einen Sondereffekt gesorgt haben.

In welchem Ausmaß sich diese politischen Maßnahmen genau ausgewirkt haben, lasse sich aber mit den vorläufigen Ergebnissen noch nicht darstellen, schränkte das Statistische Bundesamt ein. Auf diese Effekte werde man mit der Veröffentlichung der endgültigen Ergebnisse am 13. Juli genauer eingehen.

Trotz Tankrabatt und 9-Euro-Ticket waren auch im Juni die Kosten für Energie einmal mehr der stärkste Treiber der allgemeinen Teuerung. So stiegen die Energiepreise um 38 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat und damit in einem ähnlichen Ausmaß wie schon zuletzt. Auch die Preise für Nahrungsmittel zogen mit einem Plus von 12,7 Prozent überdurchschnittlich an.

EZB steuert auf Zinswende zu

Die niedriger als erwartet ausgefallene deutsche Inflationsrate dürfte der Europäischen Zentralbank etwas den Druck nehmen, die Zinsen rasch und deutlich zu erhöhen. Zuletzt hatte die EZB signalisiert, sie werde auf ihrer kommenden Ratssitzung im Juli die Zinswende einleiten und die Nullzinspolitik beenden. Ökonomen rechnen mehrheitlich mit einer Erhöhung des Leitzinses in der Eurozone von 0 auf 0,25 Prozent.

Allerdings sprach sich der litauische Notenbankchef Gediminas Simkus nun für eine deutliche Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte als eine Option für die Zinsentscheidung im Juli aus.

Gefühlte Inflationsrate bei fast 18 Prozent

In der Wahrnehmung der Verbraucher sind die Preise derweil deutlich stärker gestiegen, als diese in der offiziellen Inflationsstatistik ausgewiesen werden. Das geht aus einer Studie der DekaBank hervor. Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18 Prozent, sagte DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.

"Das ist konjunkturhemmend", kommentierte Kater die starke Verteuerung. "Das Verbrauchervertrauen ist eingebrochen." Viele Haushalte müssten bereits auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen. "Die Sparquote sinkt bereits." Die Inflation drohe alle Bereiche der Wirtschaft zu erfassen.

Niedrigverdiener verzichten wegen Preisanstieg bereits

Wegen der Inflation schränken derzeit laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Haushalte mit niedrigem Einkommen ihr Konsumverhalten bereits deutlich ein. Rund 52 Prozent der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen bis 2000 Euro verzichteten etwa schon auf den Kauf diverser Lebens- und Genussmittel. Bei Schuhen und Kleidung wollen sogar 63 Prozent kürzertreten, davon fast die Hälfte nach eigenen Angaben "bedeutend".

Gleichzeitig zeigt die Erhebung, dass der Druck, Alltagsgüter zu reduzieren, sich auf die ganze Gesellschaft auswirkt. Über alle Einkommensgruppen hinweg wollten 39 Prozent der Erwerbspersonen künftig weniger Nahrungs- und Genussmittel kaufen, darunter zehn Prozent "bedeutend weniger". Bei Bekleidung und Schuhen wollen sich 53 Prozent einschränken, davon 18 Prozent "bedeutend".

Bundeskanzler Olaf Scholz will am 4. Juli in einer sogenannten Konzertierten Aktion zusammen mit Spitzenvertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber darüber beraten, wie die Preisentwicklung in den Griff zu bekommen ist.

Zuletzt spielte auch in den Tarifrunden mehrerer Branchen die allgemeine Entwicklung der Verbraucherpreise eine wichtige Rolle. Gewerkschaften setzen auf hohe Lohnsteigerungen, um die Inflationsrate auszugleichen und die Arbeitnehmer nach Möglichkeit vor großen Reallohnverlusten zu schützen. Andererseits waren Ökonomen bereits seit einiger Zeit vor einer Lohn-Preis-Spirale, bei der hohe Lohnsteigerungen die Teuerungsrate weiter antreiben könnten.

Ursula Mayer, HR, 29.06.2022 14:43 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. Juni 2022 um 14:00 Uhr.