
Steigende Preise in Polen Ein "Schutzschild" gegen die Inflation
Polen erlebt gerade die höchste Inflation seit mehr als 20 Jahren. Die Regierung versucht dagegenzuhalten, indem sie die Mehrwertsteuer für viele Produkte vorübergehend senkt. Doch reicht das aus?
Die Menschen in Polen spüren es jeden Tag: im Supermarkt, an der Tankstelle, bei den Rechnungen für Strom und Heizung. Im Dezember lag die Inflation verglichen mit dem Vorjahresmonat bei 8,6 Prozent und damit noch deutlich höher als in Deutschland. Eigentlich sei alles teurer geworden, sagt eine Bürgerin im polnischen Fernsehen. Eine andere Frau schimpft: "Das ist eine Erhöhungs-Katastrophe! Raub am helllichten Tag!"
Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wird ausgesetzt
Der polnische Finanzminister Tadeusz Koscinski sagt, man könne in diesem Jahr sogar eine Inflation von mehr als zehn Prozent nicht ausschließen. Die Regierung versucht dagegenzuhalten, "Anti-Inflationsschutzschild" lautet ihre Wortneuschöpfung. Für einkommensschwache Haushalte gibt es Zuschüsse vom Staat. Außerdem sollen die Steuern auf besonders von der Inflation betroffene Produkte sinken. Die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Gas und Düngemittel will Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit Beginn des kommenden Monats vorübergehend sogar ganz abschaffen.
Tanktourismus aus Deutschland dürfte zunehmen
Die Mehrwertsteuer auf Sprit soll von 23 auf acht Prozent sinken. "An den Tankstellen werden die Polen noch niedrigere Spritpreise sehen, ich hoffe, schon in drei oder vier Wochen", so Regierungschef Morawiecki. Den Spritpreis will der Regierungschef so auf etwa fünf Zloty drücken, also auf ungefähr 1,10 Euro pro Liter. Damit wären Benzin und Diesel rund ein Drittel günstiger als in Deutschland. Der Tanktourismus in der deutsch-polnischen Grenzregion dürfte dann weiter zunehmen.
Steuersenkungen kosten bis zu 4,4 Milliarden Euro
Der Ökonom Witold Orlowski von der Technischen Universität Warschau sieht die Steuersenkungen mit Skepsis: "Natürlich werden sie eine Wirkung auf die Inflation haben, der Preis dafür ist aber ein riesiges Loch im Staatshaushalt." Die polnische Regierung selbst geht davon aus, dass ihre Mehrwertsteuersenkungen insgesamt bis zu 4,4 Milliarden Euro kosten werden. Bereits im Dezember hatte es eine erste Runde von Maßnahmen gegen die Inflation gegeben. Die Regierung spricht jetzt deshalb von einem "Anti-Inflationsschutzschild 2.0".
Ökonom fordert "Schwert" statt "Schutzschild"
Wirtschaftswissenschaftler Orlowski findet das Wort "Schutzschild" verräterisch, schließlich sei es eine Metapher aus der Welt der Ritter: "Einen Kampf gewinnt man nicht mit einem Schutzschild, sondern mit einem Schwert." Mit dem Schild allein könne man sich eine Zeitlang schützen, es ersetze aber nicht das Schwert. "Gegen die Inflation muss man kämpfen", sagt Orlowski.
Damit meint der Ökonom Sparmaßnahmen durch die Regierung, aber auch drastische Zinserhöhungen. Zwar hat die Polnische Zentralbank in den vergangenen Monaten mehrfach den Leitzins erhöht, nach Meinung von Orlowski agiert sie dennoch zu zögerlich.
Steuersenkungen laufen Ende Juli aus
Der Ökonom befürchtet, dass es in Polen zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen könnte. Darunter versteht man eine Situation, bei der steigende Preise zu höheren Löhnen und dann wiederum steigende Löhne zu höheren Preisen führen. Zentralbanken können diese Dynamik durch Zinserhöhungen durchbrechen.
Eine weitere Inflationsgefahr besteht in Polen darin, dass die Steuersenkungen zeitlich begrenzt sind. Ende Juli sollen sie wegfallen, die Preise könnten dann wieder nach oben schießen. Es sei denn, die Regierung verlängert die Steuersenkungen. Das wiederum würde aber erneut auf Kosten des polnischen Staatshaushalts gehen.