Ein Landwirt pflügt bei Dormagen (Nordrhein-Westfalen) im Morgennebel sein Feld.
interview

Deutsche Landwirte und die Agrarwende "Cappuccino-Effekt" als Ausweg aus der Krise

Stand: 16.01.2016 04:08 Uhr

Einen Cent für ein Ei, 30 Cent für einen Liter Milch - Deutschlands Landwirte verdienen zu wenig mit ihren Lebensmitteln. Doch Kritiker der konventionellen Landwirtschaft wie Jochen Fritz haben Hoffnung. Im tagesschau.de-Interview setzt er auf den "Cappuccino-Effekt".

tagesschau.de: Die Stimmung der Landwirte auf der Grünen Woche könnte besser sein. Viele Bauern stecken in der Krise. Gesunkene Preise sorgen für schrumpfende Einkommen. Wie bewerten Sie die Situation?

Jochen Fritz: Die Situation auf den Bauernhöfen hat sich zugespitzt. Wir haben Preise, die etwa bei der Milch 20 Cent unter den Produktionskosten liegen - das bedroht viele Betriebe. Vergangenes Jahr haben vier Prozent der Milchviehbetriebe aufgehört.

Zur Person

Jochen Fritz ist gelernter Landwirt und hat Agrarwissenschaften studiert. Er ist Sprecher von "Meine Landwirtschaft" und organisiert die Demonstration "Wir haben es satt" in Berlin.

Schulterschluss mit Verbrauchern

tagesschau.de: Deswegen sagen Sie bei ihrer Demonstration in Berlin "Wir haben es satt". Was genau passt Ihnen nicht?

Fritz: Wir demonstrieren für eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft, während Bundesregierung und Agrarindustrie auf Export und Mega-Ställe setzen. Das haben wir satt.

tagesschau.de: Viele konventionelle Landwirte entgegnen: "Wir machen Euch satt" und gehen ebenfalls auf die Straße. Wie ist ihr Verhältnis?

Fritz: Ich verstehe die Demonstration, aber wir gehen einen anderen Weg. Was wir aber feststellen: Beide Seiten haben die Problematik der Preis-Krise erkannt, nur die Lösungen unterscheiden sich. Wir suchen eher den Schulterschluss mit den Verbrauchern.

"Bei uns macht auch eine Arbeitsloseninitiative mit"

tagesschau.de: Sehen Sie denn eine Bereitschaft in der Gesellschaft, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben und sich so für artgerechte Tierhaltung einzusetzen?

Fritz: Der Ernährungsbericht des Landwirtschaftsministerium hat ergeben, dass 85 Prozent der Menschen bereit sind, mehr Geld auszugeben - vor allem für die Landwirte. Und laut einer anderen Studie sind 20 Prozent der Deutschen bereit, mehr Geld für eine artgerechte Tierhaltung zu bezahlen.

tagesschau.de: Aber das Phänomen des "bewussten Ernährens" ist doch eher eines von Gutverdienern. Sehen Sie ernsthaft eine Bereitschaft in allen Gesellschaftsschichten?

Fritz: Es wird immer einen Trendsetter geben, immer Vorreiter. Es haben ja auch nur einige Menschen angefangen, Cappuccino zu trinken - mittlerweile ist es eine Massenware. In genau einer solchen Situation sind wir jetzt. Wichtige Entscheider schwenken um, Köche setzen auf regionale Produkte. Das sind klare Zeichen. Essen ist wieder zu einem gesellschaftlichen Thema geworden.

tagesschau.de: Aber nur für diejenigen, die es sich leisten können.

Fritz: Ich glaube, dass sich die Kosten für Lebensmittel dann in den Griff bekommen lassen, wenn man weniger Fleisch isst. Die Zeit ist vorbei, wo wir davon ausgingen, unseren Konsum nicht anpassen zu müssen. Wie groß inzwischen das Bewusstsein für das Thema ist, zeigt sich an einem aktuellen Beispiel: So macht etwa auch die Arbeitsloseninitiative Oldenburg bei unserer Demo mit und sagt: Die Hartz-IV-Beträge müssen erhöht werden, weil wir nicht für diese Art der Landwirtschaft verantwortlich sein wollen.

Landwirte steigen um - oder aus

tagesschau.de: Während die konventionellen Bauern ächzen, jubeln Bio-Landwirte derzeit über Wachstum und steigende Umsätze. Ein Grund umzusteigen?

Fritz: Die Gesellschaft ist inzwischen bereit, mehr Geld auszugeben und die Bauern sind es auch. Das sieht man daran, dass einige Landwirte ihre Produktion umstellen und in artgerechte Tierhaltung investieren.

tagesschau.de: Klingt sehr optimistisch. Fast ein bisschen zu optimistisch.

Fritz: Die Landwirtschaft steht an einem Scheideweg. Entweder die Bauern gehen den Weg gemeinsam mit der Zivilgesellschaft oder mit der Agrarindustrie und Konzernen wie Tönnies, Wiesenhof und großen Molkereien. Jetzt muss die Politik die Weichen für eine Agrarwende stellen.

"Subventionen anders einsetzen"

tagesschau.de: Derzeit hat die Ökolandwirtschaft unter zehn Prozent Marktanteil in Deutschland. Das Ziel der Bundesregierung sind 20 Prozent. Was halten Sie für eine realistische Entwicklung?

Fritz: 20 Prozent wäre ohne Probleme machbar, wenn die Bundesregierung das Ziel konsequent verfolgen würde. Dafür müssten Subventionen aber anders eingesetzt werden. Derzeit deutet darauf aber nichts hin. Das ist aus meiner Sicht enttäuschend.

tagesschau.de: Also weiter wie bisher?

Fritz: In den südlichen Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg gibt es große Bemühungen, Landwirte bei der Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zu unterstützen. In den ostdeutschen Ländern ist es dagegen sehr schwierig. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Da gibt es deutliche Unterschiede in Deutschland - abhängig von den Regierungen.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de